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Editorial (Heft 1/2009)


Luxemburg ist neu. Von Rosa Luxemburg nimmt die Zeitschrift nicht nur den Namen. Sie orientiert sich an ihrer Haltung, dass optimistischer Wille sich mit intellektueller Skepsis verbinden muss. Sie bringt Gesellschaftsanalysen und linke Praxis zusammen und unternimmt die Analysen von einem engagierten Standpunkt aus, in dem das eigene Handeln, die Politik der Linken, immer schon Teil dessen ist, was zu analysieren ist. Und sie orientiert sich an dem Wissen, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen und Kämpfe um konkrete Verbesserungen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Sie müssen zusammen gedacht und erkämpft werden.

Die Zeitschrift nimmt ihre Arbeit in der Krise auf. Krisen erschüttern, überschreiten Grenzen, machen Angst – und lassen hoffen. Neue Zusammenhänge müssen begriffen werden, Vertrautheiten zerfallen. Krisen erzwingen Entscheidungen. Handlungen, Ideen und Visionen werden plötzlich dringend danach beurteilt, welche Zukunftsfähigkeit sie besitzen: Führen sie aus der Krise? Welche Sicherung vor Krisen bieten sie? Welche Welt wird dann sein? Welche Pfade sollen wir einschlagen? Beim Aufgreifen und Beantworten dieser Fragen geht es um strategische Politik.

Die Krise zeigt Grenzen und Endlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft. Aber die Akkumulation des Kapitals läuft nicht einfach aus. Sie ist verbunden mit Macht- und Herrschaftsprojekten. Neue Akteure kommen hinzu, Öffnungen der Politik werden erzwungen. Bislang aber sind die Lösungsvorschläge und Praktiken zu ihrer Umsetzung, die Zielsetzungen und Verfahren von der alten Macht geprägt. Es scheint also weiter die Zeit der Herrschenden, nicht der Beherrschten. Die Momente des Zerfalls sind Anlass für und Begleiterscheinungen von Neuordnungen und Machtstabilisierungen. Der ganze politische Raum ändert sich. Die Herrschenden suchen nach neuen Politiken, Eingespieltes verliert seine Selbstverständlichkeit, alte Verhältnisse werden umgewälzt. Die kapitalistische Produktionsweise wird neu organisiert.

Auch die gesellschaftliche Linke muss sich verändern, sich neu zusammensetzen. Sie muss strategisch denken und handeln: Wie jetzt auf die Krise reagiert wird, legt langfristig fest, wie und wohin es weitergeht. Eine tiefe Krise erfordert radikale Reaktionen – die alte neoliberale Macht führt es vor. Kein »Weiter so«, keine Bescheidenheit, keine betulichen Konzepte werden in der Krise weiterhelfen; ebenso wenig die aufgeregte Verkündigung, dass nun alles ganz anders ist. Die Linke muss zugleich die aktuelle Krise, ihre neoliberalen Ursachen, ihre langfristigen historischen Fundamente (Fossilismus, Konsumismus, Imperialismus und Militarismus) und ihre kapitalistische Natur ins Blickfeld nehmen. Sie benötigt kritische Gesellschaftsanalysen ebenso wie die Kunst der Strategie, Projekte der Verbindung von alltäglichen Kämpfen und gesellschaftlichen Alternativen. Sie muss neu sprechen und kämpfen lernen, sich mit gesellschaftlichen Akteuren verbinden und für ihre großen, traditionellen Visionen neue Anknüpfungspunkte finden, der Zukunft einen Ort im Hier und Jetzt einräumend.

Das Heft will Zeit-Schrift sein. Es will Diskussionen und Analysen der linken Debatten zusammenbringen und fruchtbar machen. Der Blick soll nicht eingeengt werden durch die üblichen Trennungen in Richtungen, Strömungen und Schulen, Theorie und Praxis, Analyse und Politik, Ökonomie und Kultur, das alltägliche Leben und die Logik der Systeme. Im Mittelpunkt stehen Diskussionen, Strategien und Kämpfe von unten, der sozialen Bewegungen, der Gewerkschaften, der Intellektuellen, der globalen Linken.

Die Redaktion

 

Heinz Vietze: “Eine sozialistische Zeitschrift. Für Dialog und strategische Intervention”

Es soll zusammenwachsen, was zusammengehört, so Willy Brandt am 10. November 1989, am Tag nach der Öffnung der Grenze und dem Mauerfall. Das Zusammenwachsen der deutschen Linken aber ist immer noch nicht abgeschlossen. Es waren die gemeinsamen Demonstrationen in Ost und West im Sommer 2004 gegen die Hartz-Gesetze, die einen Einschnitt markierten. Der gemeinsame Antritt von PDS und WASG bei den Bundestagswahlen 2005 und ihre Vereinigung 2007 zur Partei DIE LINKE waren weitere Schritte.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde seitdem zu einer gesamtdeutschen linken Stiftung, sie wurde europäisch und global. In allen sechzehn Bundesländern und auf vier Kontinenten hat sie jetzt ihre Büros. Die Aufgabe der kritischen Bewahrung der sozialistischen Vision, wie sie zunächst im Vordergrund stand, ordnet sich nun ein in den Zweck der Beförderung einer radikalen Realpolitik im Sinne Rosa Luxemburgs durch politische Bildung, Gesellschaftsanalyse und den internationalen Dialog sowie die Studienförderung. Vor diesem Hintergrund einer neuen Vielfalt von Aufgaben hat die Mitgliederversammlung der RLS im Dezember 2008 beschlossen, die Autorenzeitschrift »Utopie kreativ « abzulösen durch eine neue Zeitschrift, deren erste Ausgabe jetzt vorliegt.

Die neue Zeitschrift der RLS nimmt ihre Arbeit in einer gesellschaftlichen Situation auf, in der Gesellschaftsanalysen und politische Strategien der Linken – Partei(n), Gewerkschaften und Bewegungen – aufgrund der Krise des neoliberalen Kapitalismus überdacht werden müssen. Die Notwendigkeit einer strategischen Intervention wird gegenwärtig besonders deutlich. Es geht darum, in der Tradition des eingreifenden solidarischen Denkens die Handlungsfähigkeiten der Linken zu erweitern. Die Zeitschrift ist einem pluralen Projekt der gesellschaftlichen Linken und ihrer Strategie- Entwicklung verpflichtet – mit Blick auf sozialistische Transformation der Gesellschaft. Sie soll zu einer Plattform des Dialogs der »Mosaik-Linken« (Hans Jürgen Urban) werden und dazu beitragen, sie zu gemeinsamer Intervention zu befähigen. Der Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat gemeinsam mit der Redaktion beschlossen, dass diese Zeitschrift sich den herausfordernden Titel gibt »Luxemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis«. Sie wird erst beweisen müssen, dass sie dieser großen Tradition und enormen Herausforderung gerecht wird. Dafür braucht sie jede Unterstützung – durch solidarische Kritik, Optimismus, eigene Beiträge, Nutzung ihrer Ergebnisse.

Ich möchte allen danken, die sich für dieses neue Zeitschriftenprojekt engagiert haben – der Redaktion, den schon jetzt gewonnenen Autorinnen und Autoren, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung und nicht zuletzt dem VSA-Verlag und den Gestalterinnen der Zeitschrift. Und mit Luxemburg kann man dieser Zeitschrift nur eines mit auf den Weg geben: »Rücksichtsloseste revolutionäre Tatkraft und weitherzigste Menschlichkeit – dies allein ist der wahre Odem des Sozialismus.« Dazu gehört auch eine Schreibweise, die schärfste Analyse und lebendigste Darstellung vereint. Rosa Luxemburg selbst hat dazu in einem Brief an Leo Jogiches vermerkt: »Ich habe das Bedürfnis, so zu schreiben, dass ich auf die Menschen wie der Blitz wirke, sie am Schädel packe, selbstredend nicht durch Pathos, sondern durch die Weite der Sicht, die Macht der Überzeugung und die Kraft des Ausdrucks.« Dies wird ohne einen kulturvollen Streit nicht möglich sein – ganz im Sinne von Martin Luther: »Man lasse die Geister aufeinanderplatzen – aber die Faust haltet stille.«

Heinz Vietze
Vorsitzender des Vorstandes
der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Berlin, den 31. Juli 2009