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»Die Stadt von morgen beginnt heute«

Sandy Kaltenborn im Gespräch mit Tashy Endres

Kotti & Co protestiert gegen die Berliner Wohnungspolitik

Tashy Endres: Seit Mai 2012 steht am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg das Protestcamp von Kotti & Co. Ihr protestiert dort gegen steigende Mieten, Verdrängung und für die Rekommunalisierung des sozialen Wohnungsbaus in Berlin. Wie ist die Gruppe entstanden?

Sandy Kaltenborn: Als wir im März 2011 eine erneute Mieterhöhung bekommen haben, sammelte eine Nachbarin Unterschriften und schickte sie zur Hausverwaltung, aber es gab keine Reaktion. Da war der Punkt erreicht, wo wir gesagt haben: Jetzt reicht’s! Mit ein paar NachbarInnen haben wir dann ein Treffen einberufen. Anfangs ging es darum, ob wir mit den Eigentümern, dem Vermieter, mit den Hausverwaltungen und vielleicht auch mit Hilfe des Bezirks verhandeln und Lösungen finden können, wie man die Miete und die Betriebskosten senken kann. Aber wir liefen gegen Mauern. Die Hausverwaltungen redeten nicht mit uns. Und so sind wir sukzessive in ein politisches Feld reingerutscht: Es musste nicht rechtlich, sondern politisch gehandelt werden, nicht auf kommunaler, sondern auf Landesebene. Eine Gesetzesänderung musste her.

Was sind eure Ziele und Forderungen im Einzelnen?

Die Kernforderungen sind zwei: Erstens ein Mieterhöhungsstopp und eine Mietensenkung, weil die Mieten jetzt schon zu hoch sind. Das wäre eine Brückenlösung, um zu gewährleisten, dass bis man das System sozialer Wohnungsbau Berlin grundlegend ändert, nicht schon alle NachbarInnen verdrängt sind. Längerfristig geht es um die Entwicklung eines Modells, wie das Land Berlin den privaten sozialen Wohnungsbau wieder in Landeseigentum übernehmen kann und eine Selbstverwaltung der Mieter und Mieterinnen ermöglicht wird.

Als wir das Protestcamp aufgeschlagen haben, hatten wir keinen ausgearbeiteten Plan. Wir haben gesagt, wir bleiben so lange, bis das Problem gelöst ist. Einen dicken Kopf und Beharrlichkeit hatten wir schon vorher, und wir haben eine starke Gemeinschaft, die durch die Nachbarschaft und die Mietergruppe gewachsen ist. Das ist durch das Protestcamp noch mal stärker geworden und weitet sich aus. Das Gecekonduist ja ein Protestcamp, das politische Signale aussendet. Und es ist ein sozialer Treffpunkt, ein Raum, in dem sich die Nachbarschaft noch mal anders kennenlernen kann. Aber es können natürlich auch andere Leute dazukommen.

Die Zusammenarbeit zwischen zum Teil sehr unterschiedlich politisierten NachbarInnen ist ja zentral bei Kotti & Co. Wie funktioniert das?

Wir haben von Anfang an gesagt: »Wir sind unterschiedlich.« Das betrifft nicht nur die politische Ausrichtung, sondern auch (nicht) religiöse Einstellung, sexuelle Orientierung etc. Uns geht es hier um die hohen Mieten, die Verdrängung und auch um Rassismus. Da ist es gleichgültig, ob Leute eher konservativ oder religiös eingestellt sind oder wie ich eher links.

Wir sind keine politische Gruppe im engeren Sinne. Wir haben zwar Meinungen und Positionen, aber wir sind immer sehr vorsichtig bei explizit politischen Statements. Auch jetzt bei der Unterstützung des Camps diskutieren wir das, und dann müssen alle gehört werden. Viele hat das irritiert. Aber es geht nur so. Wenn man für Mieterrechte eintritt, dann gelten die erst mal für alle!

Wie hat sich das Verhältnis von Kerngruppe, AnwohnerInnen und Unterstützerumfeld entwickelt?

Den Begriff der Kerngruppe gibt es eigentlich erst, seit wir das Gecekondu errichtet haben. Die Kerngruppe ist unsere Mietergemeinschaft. Nach der Besetzung sind weitere Leute dazugekommen. Einige wollen Sachen in die Hand nehmen, andere unterstützen uns ein bisschen im Alltag oder hängen ab. Um uns und andere leichter zu erkennen, haben wir für zwei Kategorien Buttons gemacht: »Kerngruppe« und »Family«. Die zweite ist auch sehr wichtig, denn viele von denen, die täglich im Gecekondu sind, gehören natürlich auch dazu. Aber manche von ihnen wollen nicht zur Kerngruppe, weil es ihnen zu viel ist. Viele haben Familie oder wenig Zeit, und das erfordert viel Respekt und Toleranz. Man muss seine eigenen Befindlichkeiten oft zurückstellen. Es gibt auch NachbarInnen, die es zwar toll finden, aber gar nicht mitmachen. Der Zuspruch ist wahnsinnig groß, aber der Schritt, sich zu organisieren, eben auch. Wir haben tolle Treffen gehabt, wo wir uns vielleicht zwischendurch gestritten, aber auch geweint haben. Die Basis ist Vertrauen und das kann man nicht organisieren, das muss man leben. Das Begehren ist, einen Menschen kennenzulernen und im produktiven Sinne misszuverstehen und nach vorne zugucken. Was uns eint, ist, dass wir unsere Zukunft gestalten wollen. Das fängt bei bezahlbaren Mieten an.

Ihr habt zur Unterstützung aufgerufen und dazu gezielt Gruppen angesprochen…

Den Aufruf zur Unterstützung haben wir an alle gerichtet, die das Problem anerkennen und bereit sind, an einer Lösung zu arbeiten. Ich habe dabei auch keine Revolutionsgedanken im Hinterkopf, auch wenn ich ein Linker bin und mir andere gesellschaftliche Verhältnisse äußerst wünsche. Andere haben Vorstellungen, die ich nicht teile, aber respektiere. Leider lassen sich viele Linke ohne Hintergedanken nicht ein. Denn das heißt immer erst mal, dass ich nicht von vornherein weiß, was richtig ist, sondern dass ich das mit anderen zusammen gestalte. Wenn ich ein Ergebnis festlege, endet das in Paternalismus und in äußerst schrägen sozialen Begegnungen.

Für konkrete Hilfe wie bei Nachtschichten haben wir Gruppen angesprochen, von denen wir den Eindruck hatten, dass sie sich auf diese Unterschiede einlassen können und auch keine Berührungsängste mit der realpolitischen Ebene haben. Wir machen ja fast einen utopischen Wurf mit unserer Forderung nach Rekommunalisierung. Wir wollen, dass das Wohnen, die Gebäude (wieder) zum Eigentum der Leute werden. Das ist was anderes als Baugruppenmodelle oder ähnliches. Wir wollen eine Selbstverwaltung. Eine erfolgreiche Bewegung braucht immer beides: etwas in der Zukunft und etwas ganz real Angesiedeltes.

Wo siehst du die größten Erfolge und Herausforderungen bisher?

Der größte Erfolg von Kotti & Co ist die Stärkung der Gemeinschaft. Das eröffnet Perspektiven, die wir heute noch gar nicht absehen können. Andererseits haben wir es geschafft, die Thematik sozialer Wohnungsbau in die Politik und die Öffentlichkeit zu pushen, sodass sie nicht mehr ignoriert werden kann und jetzt nach Lösungen gesucht wird. Das ist fast schon ein historischer Erfolg. Wir haben auch vielen Leuten Mut gemacht und so etwas wie Solidarität geübt. Viele Menschen aus der Nachbarschaft – gerade aus der ersten Gastarbeitergeneration – wurden in der Öffentlichkeit bislang kaum oder nur als Objekte wahrgenommen. Durch den Protest haben sie sich jetzt in eine Subjektposition katapultiert. Medien berichten. Das ist ein Selbstermächtigungsschritt. Sie erfahren, dass die eigene Geschichte und die der Migration, des Stadtteils einen Wert haben. Viele fühlen sich von uns inspiriert. Das wissen wir alle und das macht uns glücklich. Die Wohnungsbaugenossenschaften haben mittlerweile Respekt vor uns. Nachdem sie anderthalb Jahre nicht mit uns geredet haben, sind sie nun recht handzahm und geben Auskunft, wollen sich mit uns treffen. Auch das ist ein Erfolg.

Ihr veranstaltet eine Konferenz zur Zukunft des sozialen Wohnungsbaus. Ihr habt erkämpft, dass sie im Berliner Abgeordnetenhaus stattfindet. Was erhofft ihr euch von ihr?

Ich glaube, man darf diese Konferenz nicht überbewerten. Sie ist ein Baustein auf dem Weg, Modelle zu entwickeln, wie das Land Berlin aus dieser Misere der Verträge aus den 1970er Jahren rauskommen kann, die aus meiner Perspektive verbrecherisch sind. Wir haben mittlerweile mehr Expertise organisiert, als der Senat und die Verwaltung oft zu bieten hat. Wir reden hier von etwa 150000 Wohnungen, also von bis zu 500000 Menschen. Das ist eine Größe bei 3,5 Millionen in der Stadt. Da muss man eingreifen, wenn man die Verdrängung verhindern möchte und die Stadt, wie sie gerade noch ist, etwas behalten möchte. Ich gehe davon aus, dass dieser Prozess mehrere Jahre dauern wird, bis wir die Häuser selber verwalten. Aber das ist die Richtung, in die wir gehen wollen. Hoffentlich auch andere.

Wie erzeugt ihr politischen Druck und gesellschaftliche Mehrheiten?

In dem Dreiergespann einer vermeintlichen Öffentlichkeit hat man auf der einen Seite die MieterInnen, auf der zweiten die Politik und den Senat und auf der dritten die Medien. Nun gibt es noch die Wissenschaft, einen Kunst- und Kulturbetrieb. Aber man muss sich natürlich auch um andere Öffentlichkeiten kümmern, um andere Diskursfelder zu gestalten. Das fängt bei uns in der direkten sozialen Realität im Protestcamp an, über Veranstaltungen, über Bündnisse, die man schließt, über Diskussionen. Wir haben zwei Unterstützungs-Aufrufe erhalten, einen von 20 WissenschaftlerInnen aus der Migrations- und Rassismusforschung und einen von 50 KünstlerInnen, StadtsoziologInnen, ArchitektInnen und KulturarbeiterInnen. Es geht darum, in ganz verschiedenen Bereichen Bündnis- und GesprächspartnerInnen zu suchen. Wir haben so alle viel voneinander gelernt, politisch, sozial, über uns selbst. Das geht weit über die Mieten-Thematik hinaus – da spiegelt sich die ganze Gesellschaft im Kleinen. Deswegen sagen wir auch, die Stadt von morgen beginnt heute.

 

Anmerkungen

1 Gecekondu bezeichnet informelle Siedlungen in der Türkei und bedeutet etwa »über Nacht gebaut«. Wenn man innerhalb einer Nacht ein Haus auf öffentlichem Boden errichtet, darf man nach altem osmanischem Recht an diesem Ort bleiben. Das Gecekondu am Kottbusser Tor war zuerst eine Konstruktion aus Paletten und ist mittlerweile ein winterfestes Haus, in dem Treffen, Veranstaltungen und Konzerte stattfinden und rund um die Uhr Tee und Kaffee serviert werden.