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Caring for Future – DIE LINKE vor der Wahl

Von Mario Candeias

Schwierige politische Konstellation, starke Gegenkräfte, innere Konflikte und Stagnation

Trotz erheblicher Erfolge sowohl im Parteiaufbau, der Organisierung, erstarkter sozialer Bewegungen (Fridays for Future, Mietenbewegung, Black Lives Matter, Anti-Polizeigesetze etc.) und einer LINKEN als wichtigem Teil und Partner darin sowie einiger “Leuchttürme” linken Regierens (vgl. Candeias 2019) stagniert die LINKE in Umfragen bei sieben Prozent (ca. zwei Prozent weniger als bei den letzten Wahlen). Der Blick auf mögliche Ursachen soll keineswegs vom Einsatz im Wahlkampf ablenken, vielmehr seine Bedeutung noch einmal verdeutlichen. Noch ist nichts entschieden und vieles im Fluss.

Doch schon vor der Pandemie war es nicht einfach für die LINKE, Sichtbarkeit zu erzeugen, angesichts einer dreifachen Polarisierung zwischen der regierenden, neoliberalen „Mitte“, der radikalen Rechten und den Grünen als deren liberal- ökologischem Gegenpol.[1] [1] In dieser Konstellation findet die LINKE keine richtige Rolle, vielen ist ihr „politischer Gebrauchswert“ nicht klar. Die Folge war, dass die Partei medial wenig durchdringen konnte bzw. sogar (absichtsvoll) beschwiegen wurde. Die Pandemie erschwerte die Situation zusätzlich, nicht nur weil derartige Krisen stets die Stunde der Exekutive sind und viele der linken Praxen ausgesetzt sind (Streiks, Demonstrationen, Organisierung im Viertel, Haustürbesuche oder einfach nur Treffen unterschiedlicher Gruppen und Ebenen) (vgl. IfG & Friends 2020). Eine besondere Schwierigkeit war auch,  sich erkennbar mit Blick auf das Krisenmanagement der Pandemie zu positionieren: Z.T. sah sich die LINKE gezwungen, harte Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus mitzutragen, während die Totalopposition von AfD und nach rechts-offenen Querdenkern besetzt wurde. Eine vernünftige und solidarische Zwischenposition, die v.a. soziale Folgen ins Zentrum stellte, aber zugleich Freiheits- und Gesundheitsrechte abzuwägen versuchte – wurde einmal mehr im (medialen) Diskurs marginalisiert oder als „unentschieden“ diffamiert. Hier konnte die FDP, in moderater Abgrenzung von der AfD, aber eben auch in ständiger (verantwortungsloser) Kritik an den Maßnahmen, von der Stimmung profitieren und sich in Umfragen auf bis zu 12 Prozent verbessern.

Im Ergebnis ist die LINKE zwar zunehmend besser in den aktiven Teilen der Bewegungen/Zivilgesellschaft organisiert und vernetzt, erreicht aber die anderen Teile der Bevölkerung (teilweise auch ihre eigene Wähler*innenbasis) nur unzureichend. Die neue Praxis der verbindenden Klassenpolitik konnte noch gar nicht ausreichend verallgemeinert werden und Früchte tragen, die alte Form der Partei als „antineoliberale Sammlungsbewegung“ (Jörg Schindler) aus der Zeit der Agenda 2010 hat sich wiederum längst erschöpft angesichts neuer gesellschaftlicher Konfliktlinien. Die Partei repräsentiert im lebendigen Sinne auf diese Weise immer stärker die aktiven und weniger die passiven Wählergruppen – ein Effekt, dem die klassenpolitische Ausrichtung eigentlich entgegen arbeiten sollte (vgl. Candeias 2019).

In diesen Zusammenhang besonders nachteilig war die Niederlage beim Berliner Mietendeckel, der vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts für unzulässig erklärt wurde. Das Immobilienkapital und seine (parteipolitischen und medialen) Repräsentant*innen hatten den Kampf um die öffentliche Meinung und die populare Unterstützung bereits verloren und waren parlamentarisch in der Minderheit. Doch dies ist der Grund, weshalb der Staat in weit verzweigten Verteidigungslinien organisiert ist: hier mit Rückgriff auf den juristischen Klassenkampf, um ein verabschiedetes und in Kraft getretenes Gesetz, das seine Wirkung bereits bewiesen hatte, zu Fall zu bringen und so jeden Schritt einer transformativen Veränderung zu verhindern (unabhängig von zahlreichen gegenteiligen juristischen Auffassungen zugunsten der Rechtmäßigkeit des Mietendeckels). Tatsächlich ging es um ein rein formales Argument: Das Land Berlin hätte nicht die Kompetenzen, um hier überhaupt tätig zu werden, weil die Bundesgesetzgebung dies bereits mit einer – wirkungslosen – Mietpreisbremse geregelt hätte. Rebellisches Regieren verboten! Dies hat nicht nur ernsthafte Konsequenzen für die Mieter*innen der Stadt und darüber hinaus, sondern auch für die LINKE. Es war ihr populärstes Projekt, ein wirklicher Meilenstein, durchgesetzt gegen viele Widerstände und unmittelbar spürbar für große Teile der Bevölkerung; es schaffte Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit.

Die Niederlage hat zwar unter den Aktivist*innen und großen Teilen der Bevölkerung eine „Jetzt-erst-recht-Stimmung“ gefördert, die Idee eines bundesweiten Mietendeckels gestärkt und die Initiative zur Volksabstimmung über die Enteignung großer Immobilienkonzerne beflügelt. Sie hat aber auch zu viel Enttäuschung und Verbitterung geführt. Wenn nicht einmal eine gewählte Regierung und vom Parlament beschlossene Gesetze etwas ändern können, weil ein konservatives Verfassungsgericht ihnen die Kompetenzen abspricht (entgegen einer Vielzahl anders argumentierender juristischer Stimmen und offiziellen Gutachten), so führt dies zu verbreitetem Fatalismus: „Die Linke meint es gut, aber sie kann am Ende nichts durchsetzen“.

Hinzu traten schwelende innerparteiliche Konflikte und Machtkämpfe, die von den Medien dankbar aufgenommen und verstärkt wurden: Zwar bilden „Identitäts- und Klassenpolitik eben gerade kein(en) Widerspruch. Doch zur Sicherung eigener Einflüsse wird dieser vermeintliche Konflikt ständig befeuert“, wie Daniel Reitzig (2021) im Jacobin schreibt. Diese Konfliktlinie falscher Gegensätze kann hier nicht ausgeführt werden (vgl. Riexinger 2021, Candeias 2021), führt aber dazu, dass Teile der potenziellen linken Wähler*innen und Aktiven sich von der Linkspartei abwenden. Die einen, weil sie die Angriffe gegen antirassistische, feministische, queere und ökologische Praxen nicht mehr ertragen. Die anderen, weil sie den dauernden Angriffen auf die Linkspartei, die angeblich die Interessen der „Arbeiter und Abgehängten“ nicht mehr vertreten würde, Glauben schenken. Zum Teil kommt es auch zu Parteiaustritten aus diesen Gründen – nicht in großer Zahl, aber die Frustration ist verbreitet genug, um die Mitgliederzuwächse der Vergangenheit zu stoppen.

Ein weiterer, eng damit verknüpfter innerparteilicher Konflikt ist der Umgang mit der ökologischen Frage. Für die Mehrheit in der Partei gehören die soziale und die ökologische Frage untrennbar zusammen, und gerade darin markiert sich der Unterschied etwa zu den Grünen. Einer öffentlich wirkmächtigen Minderheit zufolge renne die Partei jedoch mit ihrem radikal-ökologischen Programm nur den Grünen hinterher und lenke von den eigentlichen sozialen Kernthemen ab. Auch dies führt dazu, dass die Partei als unentschieden wahrgenommen wird. Zwar bekennt sie sich auch in den Augen von relevanten Teilen der Umweltverbände und der Klimabewegung „als einzige Partei“ (FFF) dazu, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Es fehlt allerdings an Glaubwürdigkeit, wenn einzelne, führende Vertreter*innen der Partei und v.a. Fraktion(en) dieses in den Medien immer wieder in Frage stellen und konterkarieren – wenn sie überhaupt in den Medien vorkommen. Dabei ist bei Umfragen unter Wähler*innen der LINKEN die ökologische Frage stets auf Platz zwei der Themen hinter der sozialen Frage. Vielleicht kann die Partei keine Wähler*innen der Grünen mehr in relevanter Zahl zu sich herüber ziehen, aber sie kann eine große Zahl an eigenen Wähler*innen an die Grünen verlieren, wie jede Wahl der letzten Jahre zeigt. Das ist ein weiteres Beispiel also, wie gesellschaftliche Widersprüche nicht in einer Weise verbunden werden, dass sie progressiv nach vorne hin aufgelöst werden (Stichwort „sozial-ökologischer Systemwechsel“, „linker Green New Deal“), sondern auf falsche Weise reproduziert werden und die eigene Basis spalten.

Mit einer mehrdeutigen Vielstimmigkeit und mixed messages hat die Partei Wähler*innen und Aktive verunsichert und so mindestens zweimal ein geschichtliches Gelegenheitsfenster verpasst: erst angesichts der Bewegung der Geflüchteten 2015f (Candeias 2018c) und dann beim Aufbruch von Fridays for Future 2018ff und der Zuspitzung der Klimakrise. Die Partei hatte die richtigen Programme, konnte diese aber nicht glaubhaft vertreten angesichts der harten Richtungskämpfe.

Hinzu kommen spezifische regionale Aspekte: Die Stärke der PDS bzw. der Partei DIE LINKE im Osten war eine große (wenn auch alte und oft passive) Mitgliedschaft sowie eine sehr mit der Partei identifizierte Stammwählerschaft. Diese Generation wird als Mitglieder und Wähler*innen binnen zehn Jahren vollständig wegbrechen. Dieser Prozess führt zu einer abnehmenden Verankerung vor Ort. Entweder erschließt sich die Partei eine neue Mitglied- und Wählerschaft oder sie geht als Generationenprojekt im Osten ihrem Ende entgegen. Hinzu kommen hausgemachte Fehler (Stichwort Brandenburger Zustimmung zu Polizeigesetzen, „sanfte“ Sparpolitik, verpasster Kohleausstieg) und ein Politikstil, der sich auf kleine Reformen, besseres Regieren oder besseres Opponieren, auf Politik der kleinen Schritte vor allem im parlamentarischen Raum konzentriert und nicht auf den »Geist der Abspaltung« (Antonio Gramsci), auf eine deutliche Unterscheidung und ein erkennbares, scharfes Profil gegenüber anderen Parteien setzt. Dennoch sind in den vergangenen Jahren auch im Osten wieder mehr jüngere Leute in die Partei eingetreten. Neue Mitglieder können den Verlust durch die ältere Generation nicht kompensieren, aber es handelt sich wie im Bundesdurchschnitt um überwiegend junge Neumitglieder, die aktiv werden wollen – gegen rechts, gegen eine als bedrohlich empfundene Gesamtentwicklung, für eine linke Politik vor Ort, mit den Leuten gemeinsam. Hier hat die Partei die reale Chance, zum Gegenpol der AfD zu werden. Zumindest in Thüringen hat sie das bereits erreicht.

Insgesamt ergibt sich so eine Melange aus demografischen, organisatorischen und politischen Problemen, ungelösten innerparteilichen Konflikten in einer politischen Gesamtkonstellation, die es ohnehin schwer macht, als wichtige Kraft sichtbar zu werden, die  – wenn es doch gelingt – sich übermächtigen Gegnern gegenübersieht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht wenig, wenn sich die Partei unter neuer Führung bei Wahlen behaupten und in Berlin erneut eine Regierungsbeteiligung erreichen kann.

Eine solche politische Konstellation kann sich aber – trotz teilweise guter Arbeit – in eine existenzgefährdende Dynamik übersetzen. Gerade das – und nicht die Fehler, die immer gemacht werden – markiert die prekäre Situation, in die die SPD (selbstverschuldet) schon länger geraten ist und in die nun auch die LINKE geraten kann. Das Verständnis von politischen Konstellationen ist wichtig, um Probleme und Möglichkeiten richtig einzuschätzen und eine zerstörerische und defätistische Stimmung zu vermeiden. Immer wieder treffen wir in Teilen der Partei DIE LINKE auf eine Haltung, in der die Organisation selbst schlechtgeredet wird, in der innere Zerwürfnisse wichtiger werden als die eigentlichen Gegner, wo in Diskussionen nicht um Gemeinsames, sondern um Trennendes gerungen und sich wechselseitig Strategielosigkeit vorgeworfen wird. Doch eine Partei, die sich selbst den Mut nähme, geriete erst recht in Existenznot. Eine Kultur „verbindender“ innerparteilicher Debatte ist notwendig, in der Differenzen klar benannt werden, Kritik befördert wird, aber die Produktion des Gemeinsamen im Vordergrund steht.

Dabei handelt es sich hier nicht um ein besonderes Problem der LINKEN, sondern um eines aller linken Parteien in Europa. Die linkspopulistischen Projekte von Podemos, La France Insoumise oder #Aufstehen (bei allen Unterschieden) sind ebenso an harte Grenzen gestoßen (oder gescheitert) wie die popularen Aufbrüche einer erneuerten Sozialdemokratie unter Corbyn und Sanders (letzterer konnte immerhin mit wichtigen Positionen die Politik Bidens nach links bewegen) oder eben die pluralen, „verbindenden“ Linksparteien wie Syriza, die LINKE oder die skandinavischen Schwesterparteien. Weder Vertreter*innen von Opposition noch von einer Linksregierung, weder von Reform- noch von radikalen, klassenpolitischen oder sozialistischen Strategien können beanspruchen, im Interregnum seit Beginn der großen Krise 2009ff das passende „Rezept“ gefunden zu haben (vgl. Candeias 2018a). Noch ist die richtige Partei-Bewegungsform für eine Periode verlorengegangener neoliberaler Hegemonie, des Aufstiegs radikal rechter und autoritärer Kräfte und eines grünen Kapitalismus in seinen Startlöchern nicht gefunden worden.

Die gesellschaftliche wie die Parteilinke haben viele richtige Antworten auf die Herausforderungen, aber noch nicht die notwendigen Praxen, nicht die notwenige Verankerung im Alltag, Nachbarschaften und Betrieben, nicht die ausreichenden Kommunikationskanäle und die richtige Ansprache für die große Pluralität an Zielgruppen. Programmatisch weist vieles in die richtige Richtung; es besteht auch weniger ein analytisches Problem als vielmehr ein Mangel an schlagkräftiger Organisation der Partei und der gesellschaftlichen Linken insgesamt. Die Mosaiklinke bleibt ein fragmentiertes Bild. An einer verbindenden Praxis gilt es noch zu arbeiten. Andernfalls werden sie zwischen den anderen Kräften zerrieben. Endet das Interregnum also ohne eine relevante, wirkmächtige Linke? Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, sich für eine stärkere Linke zu engagieren, und damit mit darüber zu entschieden, um für die Zukunft Wege offen zu halten, die vorhandenen Stärken entwickeln zu können.

Die politische Konjunktur vor der Wahl

Vier Ergebnisse der Bundestagswahl sind denkbar:

  1. Die arithmetische Möglichkeit einer grün-rot-roten Regierung mit den Grünen an der Spitze, zusammen mit den Sozialdemokraten und der LINKEN – dies ist aber unwahrscheinlich, auch weil die drei Parteien kein gemeinsames Projekt verfolgen, auch wenn nach Umfragen eine Mehrheit immer wieder denkbar wird. Sowohl SPD als auch Grüne versuchen eine solche Koalition zu vermeiden, vor allem, weil eine solche Regierung nur eine minimale Mehrheit im Parlament (oder nicht einmal die) hätte, sich aber einer massiven Gegenkampagne der Medien, des neoliberalen Mainstreams und der radikalen Rechten gegenübersähe und mit enormem Widerstand bei der Umsetzung der Projekte aus der Bürokratie und darüber hinaus aus dem Finanz- und Industriekapital, von Immobilienunternehmen und den Wohlhabenden zu rechnen wäre. Der sozial-ökologische Block, der diese Regierung unterstützen würde, umfasst nur etwa ein Drittel der Bevölkerung und ist nur teilweise als solcher organisiert. Das wäre eine eher schwache Konstellation.
  2. Die aussichtsreichste Koalition in Sachen Macht (nicht unbedingt Umfragen) wäre eine zwischen der CDU und den Grünen. Dies wäre ein Projekt zur Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Wichtige Kapitalfraktionen würden diese Art Modernisierungskoalition unterstützen, aber auch große Segmente der progressiven Teile der Bevölkerung. Für ein solches Projekt gäbe es daher einen großen gesellschaftlichen Konsens, auch wenn es viele Widersprüche birgt. Gerade für die Grünen ist es also taktisch sinnvoll, sich für beide Optionen offen zu halten, mit einer starken Neigung zu Schwarz-Grün. Aber jede*r muss sich klar machen, dass die Grünen ihre ehrgeizigen Pläne zur Abwendung des Klimawandels mit den Konservativen nicht umsetzen könnten, und schon gar nicht ihre Sozialagenda. Noch unwahrscheinlicher wäre dies in einer sogenannten Jamaica-Koalition in der auch die FDP vertreten wäre. Diese Ziele lassen sich nur in einer fortschrittlichen Koalition mit Linken und Sozialdemokraten verwirklichen.
  3. Aufgrund der inneren Widersprüche eines schwarz-grünen Vorhabens wäre eine dritte Koalition zur Machtsicherung eines geschwächten neoliberalen Machtblocks möglich, eine Koalition zwischen den geschrumpften Partnern der Großen Koalition – CDU und SPD – und einer opportunistischen FDP, die (dank viel medialer Unterstützung) wieder stärker im Parlament vertreten sein wird. Das würde die Fortsetzung und inkrementelle Reform des alten Merkel-Kurses bedeuten, inhaltlich schwach und projektlos, aber wohl mit stabiler Mehrheit. Man könnte diese „Deutschlandkoalition“ – Selbstbezeichnung der ersten Koalition dieser Art in Sachsen-Anhalt (eher ein „kleindeutsches Bündnis“, so Michael Bartsch im ND v. 10.8.21, 10) eine Koalition des Spätneoliberalismus nennen.
  4. Eine theoretisch mögliche vierte Koalition wäre die sogenannte Ampel zwischen SPD, FDP und den Grünen (die evtl. die Kanzlerin stellen könnten). Auf Landesebene scheiterte solch eine Koalition in den letzten Jahren immer wieder an einer stark nach rechts gerückten FDP, die sich jeder Klimapolitik widersetzt und eine neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik im alten Stil befürwortet. Daher wird die FDP zurecht als Blockade gegen fortschrittliche Politik wahrgenommen. In Rheinland-Pfalz wurde ein solches Bündnis bei den Wahlen sogar bestätigt, bisher das einzige erfolgreiche Beispiel. Aber es gibt eine ständige Debatte um die „Ampel“, die den sogenannten Mittelstand repräsentieren würde (eine Art ideologische Chimäre aus der sogenannten Mittelklasse und kleinen und mittleren Unternehmen), die eine Koalition ohne die Linke als auch ohne die seit 16 Jahren an der Macht stehende CDU ermöglichen würde. Aber das ist nur eine negative Bestimmung des gemeinsamen Regierungsprojekts. Wir halten es daher für unwahrscheinlich.

Für die Linkspartei wäre die erste Option die spannendste, vielversprechendste, aber auch gefährlichste. Option zwei wäre eine Chance, zur der sozial-ökologischen Opposition links einer grün-kapitalistischen Regierung zu werden, ein Kondensationspunkt für die aktive Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen. Wir könnten die radikaleren Teile der Wähler*innen der Grünen für uns gewinnen, die von zu vielen Regierungskompromissen mit der CDU/CSU frustriert wären, die den Klimawandel jahrzehntelang ignoriert hat. Die dritte Option wäre nicht nur die schlechteste für die Linke, überschattet von den Grünen als weitaus größere Opposition mit starker Medienpräsenz, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt – eine Koalition aus zwei Schritten vor und einem zurück bzw. eher umgekehrt, eine zu langsame Anpassung an wachsende soziale Verwerfungen und dramatisch beschleunigten Klimawandel, nicht in der Lage, mit den Problemen umzugehen oder einen neuen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen. Damit wären auch perfekte Voraussetzungen für den weiteren Aufstieg der radikalen Rechten geschaffen. Eine künftige konservativ-grüne Koalition ist also der Hauptangriffspunkt der Linken im Wahlkampf, gleichzeitig wäre eine solche Konstellation nicht nur die wahrscheinlichste, sondern auch die günstigste für die LINKE selbst.

Nur bleiben all diese Szenarien weit unter dem, was für die anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen nötig wäre. Ungeklärt bleibt, wie die finanziellen Folgen der Pandemie gestemmt werden sollen. Wie zugleich nie dagewesene Summen in die soziale und materielle Infrastruktur als auch in den sozial-ökologischen Umbau hin zur Klimaneutralität investiert werden könnten, – ohne Aufhebung der Schuldenbremse und eine wirksame Umkehr in der Steuerpolitik, die Kapital und Reiche deutlich stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt. Unklar bleibt ebenso, wie die notwendig tiefgreifenden Maßnahmen einer ökologischen Wende in unsere Produktions- und Lebensweise in der kurzen Frist, die uns bleibt, demokratisch umgesetzt werden sollen.

Der Wiederauf- und Ausbau der sozialen Infrastrukturen und ein sozial-ökologischer Systemwechsel sind immer noch eine verbindende Perspektive für ein breiteres progressives Projekt. Ein Gebrauchswert der LINKEN besteht auch darin, sagen zu können: Wer eine soziale und ökologische Politik will, muss links wählen, um SPD und Grüne nicht einem kapitalistischen Modernisierungskurs oder dem Weiter-so zu überlassen, sondern deren eigene linke Ansprüche zu stärken, die sie nur mit der LINKEN umsetzen können, und mit niemandem sonst. Vernünftig wäre es, vier Jahre Opposition zu nutzen, um sich stabiler aufzustellen und sich stärker gegen Schwarz- Grün (als wahrscheinlichste Option) zu profilieren. Doch dann könnte es auch zu spät sein, um die so dringenden sozial-ökologische Transformation einzuleiten. d Also stellen wir unsere erkennbaren „Mindestprojekte“ nach vorne und arbeiten an „produktiven Konflikten“ (Candeias 2020). Tun wir unseren Teil, damit wir Perspektiven für eine Zukunft der Linken offen halten und damit für eine Zukunft für alle.

Literatur

Candeias, Mario, 2018: Populist Momentum? Learning from Corbyn, Sanders, Mélenchon and Iglesias: an indirect reflection on the #aufstehen campaign in Germany, Rosa-Luxemburg-Stiftung, June, www.rosalux.de/publikation/id/39654/populist-momentum/ [2]

Ders., 2019: Left Party, … Now What? Three suggestions for a discussion upon strategy, in: Transform! Europe, www.transform-network.net/es/enfoque/overview/detail/strategic-perspectives-of-the-european-left/left-party-now-what/ [3]

Ders., 2020: Am Konflikt arbeiten. Über Zukunftsprojekte und linkes Regieren, in: LuXemburg online, Dezember, legacy.zeitschrift-luxemburg.de/beispielgebender-konflikt/ [4]

Ders., Mario, 2021: Die Theorie kann uns nur ein Kompass sein. Vorwort zu „Projekt Klassenanalyse Jena“, Hg. v. Klaus Dörre, Frankfurt/M (im Erscheinen)

Institut für Gesellschaftsanalyse & Friends, 2020: A Window of Opportunity for Leftist Politics? How to Continue in and After the Corona Crisis?, in: LuXemburg-Special, April, www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/LUXEMBURG/RLS_LUX_Mini_CORONA_EN_FINAL.pdf [5]

Reitzig, Daniel, 2021: Der Linksruck, der keiner war, in: Jacobin, 29. Juli, jacobin.de/artikel/der-linksruck-der-keiner-war-spd-saskia-esken-norbert-walter-borjans-kevin-kuehnert-olaf-scholz-agenda-2010-gerhard-schroeder-seeheimer-kreis/?fbclid=IwAR3SpTHZXj9adWAdWRJKDaWV32PYbK58rlG_Ni193Ac8Kefb9Oy_8W4M_-E [6]

Riexinger, Bernd, 2021: Für eine plurale LINKE mit sozialistischem Kompass. Einspruch gegen Sahra Wagenknechts Projekt, in: LuXemburg Online, Juni, legacy.zeitschrift-luxemburg.de/fuer-eine-plurale-linke-mit-sozialistischem-kompass-einspruch-gegen-sahra-wagenknechts-projekt/ [7]

Anmerkung

[1] [8] Die AfD macht die Grünen durch ihre Angriffe gegen die „grün-versifften 68er“, ihren „Genderismus“, ihren „Ökologismus der Gutbetuchten“ etc. gezielt selbst zum Repräsentanten des Dritten Pols. Die mittlerweile tief in den Mainstreammedien verankerte Polemiken um „Genderwahn“, „Cancel Culture“, die „Verbots-Partei“ und „Ökodiktatur“ haben zwar zerstörerische Folgen für das Niveau der gesellschaftlichen Debatte, haben aber zugleich das Profil der Grünen gestärkt.