| Die Bürde von SYRIZA

August 2015  Druckansicht
Von Nasos Iliopoulos

Unsere Gegner haben uns ernst genommen. Unsere Gegner haben geglaubt, dass wir für das System tatsächlich eine Gefahr darstellen. Nicht bezogen auf die wirtschaftliche, aber doch auf die politische Sphäre. Sie haben uns als eine Bedrohung für die Hegemonie des neoliberalen Paradigmas behandelt. Sie betrachteten uns als eigenständiges Paradigma; einem Paradigma, das es genauso zu vernichten galt, wie alle anderen Versuche, den Neoliberalismus in Frage zu stellen, und damit auch jede Hoffnung auf eine Überwindung dieses Systems in Europa.

Derart ernst haben wir uns selbst nicht genommen. Wir haben uns nie auf eine richtige Schlacht vorbereitet. Was uns nun in diese Situation geführt hat, war die Unverbindlichkeit, mit der wir unsere Strategie auf der Grundlage eines Best-Case-Szenarios geplant haben: dass wir nämlich eine Vereinbarung in unserem Sinne schließen würden, die eine Restrukturierung der Schulden sowie finanzielle Hilfen umfassen würde und uns dadurch in die Lage versetzen würde, unser politisches Programm mit schlimmstenfalls wenigen Abstrichen in die Praxis umzusetzen. Die zahlreichen Warnungen vor den Plänen unserer Gegner, die innerhalb von Syriza (zuweilen in aggressiver Weise) ausgesprochen wurden, blieben ungehört. Sie wurden nie zu einem Weckruf, um endlich mit den Vorbereitungen für die kommende Schlacht zu beginnen.

Während dieser Phase boten wir unseren Gegnern den Spielraum, den sie benötigten. Wie konnten wir nur glauben, dass wir uns auf die Schlacht vorbereiteten, wenn wir nicht einmal den leisesten Versuch unternahmen, die wichtigsten Waffen unserer Gegner zu neutralisieren: die Banken und die Massenmedien? Es ist ungeheuerlich, dass es uns in all diesen Monaten nicht gelungen ist, unsere eigene Steuergesetzgebung im Parlament durchzubringen, die uns einen kritischen Zugriff auf jene Ressourcen erlaubt hätte, die das tägliche Überleben in diesem Kampf sichern könnten. Es ist ungeheuerlich, dass wir nicht für die Wiedereinführung von Tarifverträgen gestimmt haben, die den arbeitenden Menschen die Mittel in die Hand gegeben hätten, für Demokratie und Würde an ihren Arbeitsplätzen zu kämpfen.

Für uns hielt der 20. Februar eine klare Botschaft bereit: Das Ziel, unsere linke Regierung zu demütigen, sollte um jeden Preis erreicht werden. Aber das war noch nicht ausreichend. All unsere Bemühungen und Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten ergriffen haben, mögen für eine friedliche und ruhige Phase des bourgeoisen parlamentarischen Betriebs geeignet gewesen sein, nicht jedoch für den aktuellen Ausnahmezustand.

Keine unserer politischen und organisatorischen Strukturen war auf eine Krisensituation ausgerichtet. Es scheint, dass wir in der Routine unserer Pre-Krisen-Normalität gefangen sind. Wenn wir uns jedoch ernsthaft mit der Unverbindlichkeit auseinandersetzen wollen, mit der Syriza Politik betreibt, und wenn es unser Ziel ist, uns auf einen Krieg vorzubereiten, dann müssen wir einen entsprechenden Umgang finden, wie wir parteiintern diskutieren. Wir müssen unsere rechthaberische Attitüde bei Diskussionen ablegen. Leider haben die bürgerliche Art Politik zu betreiben und die Kultur parlamentarischen Unsinns tiefe Wurzeln bei uns geschlagen. Im Gegensatz zum Elfenbeinturm bloßer Theorie ging es bei einer klassenkämpferisch ausgerichteten Politik immer um Praxis und Organisierung. Genau darin bestand unsere Prüfung und dieser Aufgabe waren wir nicht gewachsen.

Was ist also zu tun? Bislang scheint es so, tun wir vorrangig, was am Bequemsten erscheint: Statt uns dem echten Problem zu stellen, bekriegen wir uns in einem neuen innerparteilichen Grabenkampf. Es stimmt, dass das Programm von Syriza keines für die Drachme war. Aber es war auch keines für das Memorandum of Understanding. Wie kam es dazu, dass wir jetzt vor der Wahl zwischen zwei Optionen stehen, von denen keine zu unserem Programm passt? Gibt es einen besseren Beweis für die Beschränktheit der von uns gewählten Strategie?

Zuallererst müssen wir jedoch anerkennen, dass wir uns in einer Sackgasse befinden. Wir müssen auch anerkennen, dass jede mögliche alternative Strategie ebenfalls gescheitert wäre. Und wir müssen uns zudem einer wahrlich erschreckenden Erkenntnis stellen: Selbst wenn wir uns auf die Schlacht vorbereitet hätten; selbst wenn wir in den vergangenen Monaten all die notwendigen Schritte unternommen hätten, hätten wir uns aufgrund der Machtverhältnisse früher oder später in exakt derselben Lage wiederfinden können, die – und das wird jetzt klarer als je zuvor – die imperialistischen Kräfte begünstigt. Kämpfe gewinnen eben nicht diejenigen, die Recht haben, sondern die, die Macht haben. Was bedeutet also das Gesagte? Zuallererst dies: Wir dürfen keine Strategie verfolgen, die zu denselben Fehlern führen würde. Die Strategie eines „abgestimmten Ausstiegs“ etwa würde dieselben illusionären Hoffnungen hochleben lassen wie unser früheres Beharren auf eine „für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarung“. Es gibt keinen naheliegenden Grund, warum die Kräfte, die jetzt an der Zersetzung von Syriza arbeiten, plötzlich ihre Meinung ändern und einen vorteilhaften „abgestimmten Ausstieg“ anbieten sollten. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir nicht die Verantwortung dafür tragen, unsere Strategie gegenüber der EU grundlegend neu zu bestimmen. Aber dieses Mal sollten wir das richtig anpacken.

Die Sackgasse, in der wir uns befinden, ist sowohl strategischer als auch taktischer Natur. Das ist auch der Grund, warum wir uns – möglicherweise unbewusst – auf etwas Vertrauteres und Einfacheres zurückziehen: den innerparteilichen Streit. Letzteres ist der ungefährlichere Weg in Richtung zweier in gleicher Weise verhängnisvoller Optionen: entweder uns bei einer „humanen und rücksichtsvollen“ Verwaltung des Neoliberalismus zu verbrennen oder zu unseren früheren Taktiken als unbedeutende politische Kraft zurückzukehren. Für uns kann weder das eine noch das andere eine Option sein.

Um uns aus der aktuellen Lage zu befreien, müssen wir an unserer Kollektivität festhalten und damit beginnen, unsere Pläne auf umfassend demokratische Art und Weise neu zu diskutieren. Viel Zeit bleibt uns dabei beileibe nicht. Aber es stimmt auch, dass wir keine Befreiungsstrategie nur wenige Tage nach unserer größten Niederlage entwickeln können. Eine Bedingung gibt es allerdings noch. Wir müssen erkennen, dass die aktuelle Situation des Landes eine Sackgasse darstellt, der wir entfliehen müssen. Wir erleben keineswegs eine Stabilisierung der griechischen Wirtschaft und sollten uns auch nicht der Hoffnung auf Investitionen und Wachstum hingeben. Wir müssen so bald wie möglich eine neue Strategie aufsetzen. Ab jetzt erwarten uns nur noch schwierige Fragen.

Wie gelingt uns ein Befreiungsschlag? Wie können wir uns der Erpressungsversuche erwehren? Wie antworten wir auf die erzwungene Unterdrückung der Demokratie?

In welcher Weise sollten der soziale Widerstand organisiert und die Beteiligung sowie das Handeln der Bevölkerung als unsere wichtigsten Waffen gegen den unorthodoxen Wirtschaftskrieg reaktiviert werden, dem wir ausgesetzt sind?

Die einzige Bürde, die wir auf diesem Weg loswerden müssen, ist die „Unverbindlichkeit“, mit der wir bislang mit allen Fragen umgegangen sind.

Der Originaltext erschien zuerst in der Zeitung Avgi, 25.7.2015. Aus dem Griechischen von Sebastian Landsberger und Tim Jack

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