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Der Weisse Arbeiter

Von W.E.B. Du Bois

In unserer Rubrik Wiedergelesen [1] veröffentlichen wir hier einen Auszug aus dem 1935 erschienenen Essay “Black Reconstruction in America 1860-1880“ von W.E.B. du Bois. Der Autor analysiert darin, wie sich die Klassenspaltung zwischen Schwarzer und Weißer Arbeiterschaft in den USA historisch entwickelte.

 

Die Bedingungen für eine echte und neue Demokratie in Amerika waren denkbar günstig. Wie damals üblich war die politische Macht zwar zunächst stark an die soziale Herkunft und Besitz, an die Aristokratie der Geburt und des Bildungsstandes geknüpft. Doch sie basierte nie ausschließlich auf Landbesitz. Land war verfügbar, und sowohl Land als auch Besitz waren für jeden noch so armseligen Arbeiter[1] [2] grundsätzlich erreichbar. Schon früh öffneten die immer zahlreicheren Schulen ihre Tore auch für arme Arbeiterkinder. Die soziale Herkunft spielte immer weniger eine Rolle, und Amerika wurde für die Welt zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Also machte sich die Welt – noch vor der Unabhängigkeitsrevolution – auf den Weg nach Amerika. Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts kamen neunzehn Millionen Immigranten in die USA.

Die neuen Arbeitskräfte, die in die Vereinigten Staaten kamen, waren zwar arm und an Unterdrückung und einen niedrigen Lebensstandard gewöhnt, doch sie waren nicht gewillt, sich nach ihrer Ankunft in Amerika dauerhaft als arbeitende Klasse unterzuordnen. Und vor diesem Hintergrund muss die Arbeiterbewegung der weißen Amerikaner*innen untersucht werden. Die erfolgreiche, gut bezahlte amerikanische Arbeiterklasse bildete durch ihren Besitz und ihre Ideale ein Kleinbürgertum, das stets bereit war, sich auf die Seite des Kapitals zu schlagen und einfache Arbeiter – weiß und schwarz, ausländisch und einheimisch – auszubeuten. Die Tatkräftigen und unternehmerisch Gesinnten unter den Immigranten verinnerlichten das vorherrschende amerikanische Ideal, dass Arbeiter von der Notwendigkeit dauerhafter Schinderei befreit werden und ein zunehmender Teil von ihnen in die Klasse der Ausbeuter aufsteigen könnte, also zu jenen werden könnten, die ihre Einkünfte vornehmlich durch den Profit aus der Beschäftigung von Arbeitskräften erwirtschafteten.

In seiner Rede in Hartford, Connecticut, am 5. März 1860, brachte Abraham Lincoln diese Idee unumwunden zum Ausdruck: „Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich vor 25 Jahren als Tagelöhner arbeitete, Schienen zuschnitt oder auf einem Plattbodenboot arbeitete – das normale Schicksal eines Sohnes aus jeder beliebigen armen Familie.“ Anschließend brachte er die weit verbreitete Philosophie jener Zeit auf den Punkt: „Ich will, dass jeder die Gelegenheit bekommt – und ich glaube, auch ein Schwarzer hat dieses Recht – seine eigene Situation zu verbessern – wo er vielleicht darauf hofft, dieses und nächstes Jahr als Arbeiter angestellt zu werden, sich anschließend selbstständig zu machen, und schließlich Leute einstellen kann, die für ihn arbeiten. Das ist das wahre System.“

Er beschwor damit die weitverbreitete amerikanische Vorstellung vom Sohn, der es im Leben weiter bringt als der Vater; die Möglichkeit des armen Mannes, es zu Wohlstand und Macht zu bringen, was die europäische Vision von einer Arbeiterklasse, die für die Besserstellung aller Arbeiter kämpft, nicht nur weniger wünschenswert, sondern für den Durchschnittsarbeiter auch weniger möglich erschienen ließ, als er vielleicht einst angenommen hatte.

Diese Arbeiter wendeten sich nicht aus moralischer Überzeugung gegen die Sklaverei, sondern aus Angst, durch die Konkurrenz auf das Niveau von Sklaven herabgestuft zu werden. Sie wollten eine Chance haben, Kapitalisten zu werden; und sie sahen diese Chance durch die Konkurrenz mit einer Arbeiterklasse bedroht, deren Status am unteren Ende der ökonomischen Struktur dauerhaft und unveränderlich erschien. Anfangs kritisierten sie die Sklaverei, und bereits im siebzehnten Jahrhundert fragten deutsche Einwanderer in Pennsylvania unschuldig bei den Quäkern nach, ob die Sklaverei denn mit ihrer „Goldenen Regel“ in Einklang stand. Doch ganz allmählich, als immer mehr Einwanderer in die harte und verzweifelte Konkurrenz mit schwarzen Arbeitern gerieten, änderte sich ihre Haltung. Während dieser Jahre eignete sich der weiße Arbeiter langsam das frühe amerikanische Ideal von Reichtum und Eigentum an; er entfloh der Schuldknechtschaft und erlangte sogar das allgemeine Wahlrecht. Er musste zusehen, wie befreite Schwarze mit niedrigem Lebensstandard in großer Zahl in Städte wie New York und Philadelphia einzogen und dort um die Jobs konkurrierten, auf die auch die Unterschicht ungelernter weißer Arbeiter angewiesen war.

Insbesondere die Iren konkurrierten um die unmittelbar verfügbaren Arbeitsplätze, und die Arbeitgeber, getrieben von Rassismus und Sympathie mit den Südstaaten, wollten die Zahl der Schwarzen keinesfalls erhöhen, solange die Ausländer [Iren] genauso billig arbeiteten. Die Ausländer ihrerseits machten die Schwarzen für die geringen Löhne verantwortlich. Das Ergebnis war ein Rassenkrieg; es gab Unruhen, die zunächst die aufflammende Feindseligkeit unter Gruppen von Arbeitern widerspiegelten, die um ihren Brotverdienst kämpften; doch dann wurden sie zu ausgewachsenen Rassenunruhen. Im Jahr 1829, verwundete und tötete ein weißer Mob in Cincinnati drei Tage lang befreite und entlaufene Sklaven und zerstörte Eigentum. Der Großteil der schwarzen Bevölkerung, die bereits mehr als Zweitausend Einwohner*innen zählte, verließ die Stadt und machte sich auf den Weg nach Kanada. In Philadelphia trug sich zwischen 1828 und 1840 eine Reihe von Unruhen zu, die bis nach dem Bürgerkrieg andauerten. Die Unruhen von 1834 nahmen die Form einer offenen Feldschlacht an und dauerten drei Tage lang an. Einunddreißig Häuser und zwei Kirchen wurden zerstört. Ihnen folgten weitere Unruhen 1835 und 1838. Und bei zweitägigen Ausschreitungen im Jahr 1842 wurde sogar die Miliz mit ihrer Artillerie zu Hilfe gerufen.

Über die 1840er Jahre kam eine ganz andere Klasse von Arbeitern in Amerika an, nämlich die englischen und deutschen, die bereits durch eigene Organisationen versucht hatten, gegen die Ausbeutungsmaschine zu kämpfen, und schließlich bis zu einem gewissen Grad die Marxsche Neustrukturierung der Industrie durch Gewerkschaften und Klassenkampf angestrebt hatten. Die Haltung dieser Menschen gegenüber dem Schwarzen war unterschiedlich und widersprüchlich. Zunächst verkündeten sie lautstark ihre prinzipielle Ablehnung der Sklaverei. Es war eine Phase der umfassenden Lohnsklaverei. Dann sahen sie das Heil für amerikanische Arbeiter zunehmend im frei verfügbaren Land im Westen. Es war ein Ausweg, der in Europa nicht zur Verfügung stand: Eine große Menge an Land, fruchtbarem Land; Land, das seinen eigenen Märkten Tag für Tag näher rückte, auf das sich der Arbeiter zurückziehen und durch das er das industrielle Gleichgewicht wiederherstellen konnte, das in Europa durch die Enteignung des Bodens zerstört worden war. Mit anderen Worten: Der Arbeiter erkannte in Amerika eine viel größere Chance, seinen Lohn zu erhöhen und seine Arbeitsbedingungen zu beeinflussen, als in Europa. Die Gewerkschaften hätten somit über eine materielle Basis verfügen können, die in Deutschland, Frankreich oder England gar nicht möglich gewesen wäre. Merkwürdigerweise schuf diese Erkenntnis in der weißen Arbeiterschaft jedoch keine zunehmende Sympathie für den Sklaven, sondern wandelte sich in Konkurrenz und Feindschaft.

Selbst der weiseste ihrer Anführer hatte keinen klaren Blick dafür, wie Sklavenarbeit im Zusammenspiel und in Konkurrenz mit freier Lohnarbeit letztlich jede Arbeit auf Sklavenarbeit reduzierte. Daher zog es die Gewerkschaften und Arbeiterführer zu jener politischen Partei, die gegen Produktionsprämien war und Einwanderer willkommen hieß. Dabei wurde jedoch vergessen, dass die tragende Säule dieser Demokratischen Partei die auf Sklavenarbeit basierende Plantagenoligarchie der Südstaaten war.

In ihrer Konkurrenz mit dieser Bevölkerungsgruppe spiegelten die neuen Einwanderer nicht einfach eine allgemeine Haltung Amerikas gegenüber Schwarzen wider; sie fühlten sich gerade durch die Sklavenkonkurrenz bedroht – eine Bedrohung, die von schwarzen Menschen ausging. Die Schwarzen arbeiteten für wenig Lohn, teils aus Gewohnheit, teils um in der Konkurrenz zu bestehen. Weiße Arbeiter sahen, dass Schwarze Teil einer millionenstarken Gruppe von Arbeitern waren, die per Gesetz als Sklaven galten und deren Konkurrenz im Süden weiße Arbeiter aus dem Arbeitsmarkt ausschloss und im Norden ihre Löhne und stabilen Lebensverhältnisse bedrohte. Als sich die Arbeiterfrage nach Westen verlagerte und mit der Landfrage verschmolz, wurde die Konkurrenz durch Schwarze immer bedeutender. Neu eingewanderte Arbeiter hatten ein viel klareren Blick für die enorme Bedeutung der großen Mengen an frei verfügbarem Land, die Amerika besaß, und die es von Europa mit seinem Monopol beim Landbesitz unterschieden. Doch auf diesem freien Land trafen sie nicht nur auf eine Handvoll freier Schwarzer, sondern auf die Bedrohung durch eine große Zahl an Sklaven. Die Haltung gegenüber Schwarzen war im Westen daher noch viel unversöhnlicher als im Osten. Es bestand die Möglichkeit der direkten Konkurrenz mit Sklaven und der Einverleibung des Landes im Westen in die Sklavenwirtschaft. Dies musste um jeden Preis verhindert werden. Zudem mussten auch freie Schwarze daran gehindert werden, zu kommen. Darauf bestanden die armen weißen Einwanderer aus den Südstaaten.

Unterdessen belastete die Not des schwarzen Arbeiters weiterhin das Gewissen und die Wirtschaftsphilosophie Amerikas. Dass der Arbeiter ein Schuldsklave, d.h. im Grunde ein Leibeigener sein sollte, stand in fundamentalem Widerspruch zum amerikanischen Ideal; dementsprechend hatte es seit der Unabhängigkeitsrevolution unablässig Forderungen nach der Abschaffung der Sklaverei gegeben. Im Norden waren im Ergebnis nach und nach alle Schwarzen befreit worden. Doch die vergleichsweise geringe Zahl der so befreiten Schwarzen erhöhte sich nun durch neu eintreffende entflohene Sklaven aus den Südstaaten. Dadurch war die missliche Lage des schwarzen Arbeiters unauflöslich mit der Situation der Sklaverei im Süden verbunden. In den 1830er Jahren kam unter Gelehrten und Arbeitern die Forderung nach der sofortigen Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten auf.

Diese Forderung fand ihren Ausdruck allen voran im leidenschaftlichen Kampf des William Lloyd Gar­rison, eines armen [weißen] Schriftsetzers, der jedoch gleichwohl ein gebildeter Denker mit unerschütterlichem Mut war. In dieser Bewegung [der Abolitionisten, d.Ü.] ging es nicht um Profit oder Löhne. Es ging schlicht und einfach darum, dass die Reduzierung eines Menschen auf eine Ware unter jeder denkbaren Voraussetzung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellte; und zwar von solchem Ausmaß, dass eine derartige Praxis unverzüglich beendet werden müsse. In der Folge der Emanzipation würden sich dann die Fragen der Arbeit, der Löhne und der politischen Macht stellen. Doch zuallererst musste nun die allgemeine menschliche Freiheit und Anerkennung grundlegender Menschlichkeit eingefordert werden, die die Sklaverei auf so blasphemische Weise verwehrte. Diese Freiheitsphilosophie war eine logische Fortsetzung der liberalen Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts, die darauf bestand, dass Freiheit nicht Zweck, sondern unverzichtbares Mittel für den Beginn menschlichen Fortschritts darstellte, und dass Demokratie nur dann funktionieren könnte, wenn die feudalen Privilegien, Monopole und Ketten beseitigt wären.

Die Propaganda vom Entflohenen Sklaven [Fugitive Slave] ließ die Abolitionsbewegung sehr real werden. Wenn ein intelligenter Mensch sagte: „Ich wurde besessen wie ein Ochse. Ich habe meinen eigenen Körper gestohlen und nun verfolgt mich das Gesetz und die Peitsche, um mich wieder zum Ochsen zu machen,“ so gab es keine Rechtsauffassung, die solch eine Logik rechtfertigen konnte. Gleichzeitig sah die weiße Arbeiterschaft – auch wenn sie Letzteres nicht leugnete und in Teilen auch Sympathie zeigte – in jenem entflohenen Sklaven und den Millionen von Sklaven, die ihm folgen würden, die bereit und darauf aus waren, für weniger als den üblichen Lohn zu arbeiten, eine Konkurrenz um ihre eigenen Arbeitsplätze. Was sie nicht begriffen, war, dass der versklavte Schwarze eine wesentlich gewaltigere und verheerendere Konkurrenz darstellte, als der befreite Schwarze.

Es gab somit zwei Arbeiterbewegungen: Jene Bewegung, die dem schwarzen Arbeiter einen Mindeststatus geben wollte, der ihm ermöglichen würde, seine eigene Arbeitskraft zu verkaufen; und eine andere Bewegung, die die Löhne erhöhen und die Bedingungen der amerikanischen Arbeiterklasse, die mittlerweile zum Großteil aus eingewanderten Ausländern bestand, verbessern und mit dem neuen amerikanischen Kapitalismus verhandeln wollte, wie der neue Reichtum aufgeteilt werden sollte. Eine universelle Philanthropie und breitere Kenntnis von den Elementen menschlichen Fortschritts hätten die beiden Bewegungen dazu geführt, sich zu vereinen und in ihrer Vereinigung unbesiegbar zu sein. Doch war es für die weißen Arbeiterführer der 1830er-Jahre schwierig, für manche gar unmöglich, dies zu erkennen. Sie hatten ihre jeweiligen Einzelinteressen und Anliegen, von denen eines die Konkurrenz durch freie, schwarze Arbeiter war. Darüber hinaus fürchteten sie eine neue und überwältigende Konkurrenz durch schwarze Arbeiter, wenn erst einmal alle Sklaven befreit sein würden. Was sie hingegen nicht sahen oder verstanden, war, dass diese Konkurrenz bereits bestand und auch weiterhin bestehen und sogar verstärkt werden würde, wenn der Schwarze weiterhin ein Sklavenarbeiter bleiben würde. Andererseits hatten die Abolitionisten auch keinen Blick für die Not des weißen Arbeiters, insbesondere des geringqualifizierten oder ungelernten weißen Arbeiters.

***

In all dem bisher gesagten haben wir die weißen Arbeiter des Südens ignoriert. Der Grund dafür ist, dass die Arbeiterbewegung sie ignorierte und die Abolitionisten sie ignorierten; und vor allem ignorierten sie die Kapitalisten im Norden und die Plantagenbesitzer im Süden. Sie waren in vielerlei Hinsicht eine beinahe vergessene Menschenmasse. Cairnes beschreibt die Phase kurz vor dem Bürgerkrieg im von der Sklavenwirtschaft lebenden Süden: „Er ist in drei Klassen unterteilt, die sich grob voneinander unterscheiden und keinerlei gemeinsame Interessen haben – die Sklaven, auf denen alle gängige Industrie beruht, die Sklavenhalter, die all deren Früchte ernten, und ein unproduktiver recht- und gesetzloser Pöbel, der weit verstreut unter Bedingungen lebt, die sich wenig von jenen der Barbarei unterscheiden.“

Bei alledem, was über die Vorkriegssüdstaaten gesagt und geschrieben worden ist, verliert man schnell die Tatsache aus dem Blick, dass dort im Jahr 1860 etwa fünf Millionen Weiße lebten, die keine Sklaven hielten. Selbst unter den zwei Millionen Sklavenhaltern hatte eine Oligarchie von nur etwa 8.000 die Kontrolle über den Süden. Wie ein zeitgenössischer Beobachter bemerkte: „Zwanzig Jahre lang habe ich nicht ein einziges Mal vernommen, wie sich die Gentlemen aus den Südstaaten jemals auf diese nicht-sklavenbesitzenden Weißen als Teil dessen bezogen hätten, was sie als den Süden ansahen.“ Sie waren größtenteils ungebildet und verwahrlost; nur 25 Prozent von ihnen konnten lesen und schreiben.

Die Lebensbedingungen der armen Weißen sind vielfach beschrieben worden: “Eine armselige Holzhütte oder zwei sind die einzigen sichtbaren Behausungen. Hier leben, oder besser gesagt, finden Unterschlupf, die elenden Ackerbauern, beziehungsweise, eine noch ärmlichere Klasse, die ihren prekären Lebensunterhalt durch den Verkauf von Feuerholz in der Stadt bestreitet. […] Diese Hütten […] sind verdreckte Verschläge. Das Bett, wenn es so etwas wie ein Bett überhaupt gibt, ist eine Schicht aus irgendeinem Material in einer Ecke, das jedem Geruchsempfinden spottet. Und wenn das Bett schon widerwärtig ist, wie steht es dann erst um den Boden und den Innenraum insgesamt? Und die Menschen selbst? Puh! Wasser zum reinigenden Gebrauch ist unbekannt. Ihre Gesichter sind mit über Wochen angesammeltem, schlammigem Dreck überzogen. Sie reiben höchstens einmal darüber, wenn sie einen Fremden sehen, nur um den gröbsten Schmutz zu beseitigen. […] Diese armen Kreaturen scheinen überrascht, dass man sie überhaupt anspricht, und wenn sie eine Frage beantworten, dann tun sie dies gebeugt, wie Angeklagte.”

Olmsted sagte: „In Charleston habe ich so viel Überbelegung, Dreck und Elend gesehen wie in jeder etwa gleichgroßen Stadt im Norden; und mehr Belege für Brutalität und gewalttätiges Verhalten, die ich unter einer vergleichbaren Bevölkerung dieser Klasse jemals beobachtet habe.“

Es ist zwischen zwei Klassen von armen Weißen unterschieden worden: Die Weißen in den Bergen und die armen Weißen im Tiefland. „Unterhalb eines verdreckten und unansehnlichen Hauses, am Fuße der Böschung auf den Kieseln am Flussufer, sitzt eine fünfköpfige Familie, alle schlecht gekleidet und verdreckt; eine alte Frau mit triefenden Augen, eine jüngere Frau mit einer Masse aus verknoteten Haaren um ihre Schultern, die zweifellos ein Baby stillt; ein kleines Mädchen mit denselben rötlichen Anzeichen schottischer Herkunft; ein Junge, und ein jüngeres Kind, die um ein mit Ziegelsteinen eingefasstes Feuer herumsitzen. Darauf stehen ein paar eiserne Kochtöpfe mit einem dreckigen Brei darin, der wie Schlamm aussieht, vermutlich aufgewärmter Sorghumhirsesirup, der zusammen mit ein paar Stückchen Maisbrot ihr Frühstück darstellt.

Die meisten von ihnen sind Analphabeten und entsprechend mehr als ungebildet. Manche von ihnen haben indianische Vorfahren und ein paar weisen Anzeichen schwarzer Vorfahren auf. Der sogenannte ‚Mountain Boomer‘ [in etwa: Bergstreuner oder Hinterwäldler, d.Ü.], so bemerkt ein Beobachter, „hat wenig Selbstachtung und überhaupt kein Selbstvertrauen […] solange sein Maisvorrat reicht, lebt der ‚Cracker‘ [pej. für „Weißer“, d.Ü.] fröhlich vor sich hin; zu essen hat er eine Art Maisbrot, das aus mit Salz und Wasser vermengtem geriebenen Maismehl besteht und auf dem offenen Kohlenfeuer gebacken wird. Als Beilage gibt es was auch immer der Wald ihm bietet, so er es denn schafft, sich aufzuraffen und etwas zu schießen oder fangen. […] Die sittliche Regellosigkeit ihres Lebens löst bei ihnen keinerlei Scham aus. […] Doch trotz dieser niederen moralischen Vorstellungen können sie sich in religiöser Hinsicht äußerst stark ereifern.“

Oberhalb dieser niederen Masse entstand eine weiße Mittelschicht. Es gab einige Kleinbauern, deren Erträge ihnen mehr als nur die karge Selbstversorgung ermöglichten, die aber keine Plantagen besaßen. Es gab Aufseher. Es gab eine wachsende Klasse von Kaufleuten, die mit den Sklaven und freien Schwarzen Handel betrieben und oftmals zu größeren Kaufleuten wurden, die dann mit den Produkten der Plantagen handelten. Einige arme Weiße stiegen in die Klasse der akademischen Berufe auf, sodass die Kluft zwischen den Plantagenbesitzern und der Masse der Weißen zum Teil durch diese kleinere Zwischenschicht überbrückt wurde.

Während sich Männer wie Helper gegen die Herrschaft der Plantagenbesitzer über die armen Weißen auflehnten und zum Klassenkampf und zur Vernichtung der Plantagenbesitzer aufriefen, wurde dieser Impuls zugleich durch die tiefsitzende Feindseligkeit gegenüber dem Schwarzen untergraben – egal ob Sklave oder frei. Erst wenn der schwarze Arbeiter aus den Vereinigten Staaten vertrieben oder mit der Zeit ausgelöscht sei, könne der Kampf gegen die Plantagenbesitzer geführt werden. Die armen Weißen und ihre Anführer konnten sich einen gemeinsamen Kampf weißer und schwarzer Arbeiter gegen die Ausbeuter nicht einmal ansatzweise vorstellen. Tatsächlich waren die naturgemäßen Anführer der armen Weißen – also der Kleinbauer, Kaufmann, Beamte, der weiße Handwerker und der Sklavenaufseher – allesamt an die Plantagenbesitzer gebunden und standen den Sklaven und selbst der Masse der weißen Arbeiter in zweierlei Hinsicht gegenüber: Einerseits bildeten sie die Polizeieinheiten, die gemeinsam mit den Plantagenbesitzern patrouillierten und ab und zu uneingeschränkt Gewalt gegen widerspenstige oder entflohene Sklaven ausüben durften; außerdem bestand für sie immer die Möglichkeit – indem sie Geld sparten, investierten, oder einfach Glück hatten – selbst Plantagenbesitzer zu werden; das einzig erstrebenswerte Ziel für sie war das großartige Leben des Plantagenbesitzers der Südstaaten.

Es gab in den Südstaaten zwischen 1850 und 1860 zwar ein paar kraftlose Berufsverbände der weißen Handwerker, darunter die der Schriftsetzer, Schiffsbauer und Eisengießer, doch keine wirkliche Arbeiterbewegung.

Charles Nordhoff gibt an, dass ihm im Jahr 1860 ein wohlhabender Weißer aus Alabama sagte, dass die Plantagenbesitzer in seiner Heimatregion die Einstellung freier Handwerker insgesamt beenden wollte. „In meinem eigenen Betrieb sind die Zimmerleute, Schmiede und Radmacher allesamt Sklaven, und so bin ich von den freien Handwerkern unabhängig.“ Und ein gewisser Alfred E. Mathews bemerkt: „Ich habe gesehen, wie weiße Handwerker gezwungen waren, abseits zu stehen und die Not ihrer Familien zu ertragen, während die Sklavenhandwerker, die reichen und einflussreichen Männern gehörten, sehr viel Arbeit hatten; und ich habe gehört, wie diese weißen Handwerker die schlimmsten Flüche gegen die Institution der Sklaverei und die Sklavenaristokratie ausstoßen.“

Das daraus folgende Aufbegehren der armen Weißen kam, ebenso wie die Revolte der Sklaven, durch Migration zustande. Und ihre Migration wurde nicht nur nicht unterbunden, sondern sogar gefördert. Im Ergebnis verließen die armen Weißen den Süden in großer Zahl. Im Jahr 1860 lebten 399.700 Weiße aus Virginia nicht in ihrem Heimatstaat. Aus Tennessee wanderten 344.765 von ihnen aus; aus North Carolina 272.606 und aus South Carolina 256.868. Die Mehrheit von ihnen ging in den Mittleren Westen, und es ist gut möglich, dass die Südstaaten somit ebenso viele Siedler in den Westen entsandten wie die Staaten im Nordosten; doch während die Siedler aus dem Nordosten freies Land forderten, forderten die Südstaatler nicht nur freies Land, sondern auch den Ausschluss der Schwarzen vom Arbeitsmarkt und dem Wahlrecht. Sie hatten sehr große Angst vor der Konkurrenz des Schwarzen auf dem Arbeitsmarkt, egal ob versklavt oder frei.

Es war also die Anwesenheit des armen Weißen aus den Südstaaten im Westen, die das Verhältnis der Free Soil Bewegung zur Arbeiterbewegung erschwerte. Wenngleich der Pionier des Westens in seiner politischen und ökonomischen Philosophie ein radikaler Befürworter von Demokratie und Gleichheit war, so diente seine Wahlstimme und sein Einfluss nicht der Abolitionsdemokratie – nicht vor, nicht während und nicht einmal nach dem Bürgerkrieg. Im Gegenteil: Die Abolitionsdemokratie wurde durch die Vorstellung von „Rasse“ behindert und gestoppt; der Westen stand daher lange Zeit jener industriellen Demokratie entgegen, die die amerikanischen Arbeiter womöglich hätte befreien können, weil die Menschen dort nicht bereit waren, den amerikanischen Staatsbürger schwarzer Abstammung in diese Demokratie einzubeziehen. Die Arbeiter im Norden organisierten sich und kämpften gegen die Aufhebung der Rassentrennung in der Industrie, um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten durchzusetzen, und sie sahen die ökonomische Erlösung zunehmend in den fruchtbaren Weiten des Westens. Es begann eine Bewegung weißer Arbeiter und Pioniere im Westen, begleitet von einer Bewegung von Plantagenbesitzern im Westen und schwarzen Arbeitern im Süden. „Land und noch mehr Land“ wurde zum Schlachtruf des politischen Führers in den Südstaaten, der schließlich in der Forderung nach der Wiederaufnahme des afrikanischen Sklavenhandels gipfelte. „Land und noch mehr Land“ wurde ebenso zum Schlachtruf des Kleinbauern im Norden. Die beiden Kräfte trafen in Kansas aufeinander, und in Kansas nahm der Bürgerkrieg schließlich seinen Anfang.

Der Süden kämpfte für die Erhaltung und Expansion seines landwirtschaftlichen Feudalismus. Die Beibehaltung der Sklavenwirtschaft bedurfte eines kontinuierlichen Nachschubs an fruchtbarem Land, billigerer Sklaven und eines Mindestmaßes an politischer Macht, um den Status der Sklaven rechtlich zu zementieren und den „freien Schwarzen“ abzuschaffen. Der Kauf Louisianas lieferte Sklaven und Land, doch der Großteil des Landes befand sich im Nordwesten. Das Vordringen nach Mexiko hatte zwar ein Imperium eröffnet, doch wurde die Verfügbarkeit dieses Landes zum Teil durch den Verlust Kaliforniens an freie Arbeiter wieder verloren. Dies erforderte die bereits anvisierte Expansion der Sklaverei in Richtung Kansas, wo sie den Süden in Konkurrenz zu weißen Arbeitern brachte: Eine Konkurrenz, die den Sklavenstatus gefährdete, Sklavenaufstände begünstigte und die Wahrscheinlichkeit der Flucht von Sklaven erhöhte.

In diesem Krieg ging es darum, zu bestimmen, ob die Vereinigten Staaten ein System beibehalten sollten, in dem der Kapitalist nicht nur die Rohmaterialien des Landes, nicht nur das Land, sondern auch den Arbeiter selbst besaß; oder ob der Arbeiter seine persönliche Freiheit behalten würde und sie durch zunehmende politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit auf der Grundlage weit verbreiteten Landbesitzes durchsetzen würde.

Dies bringt uns zur Phase des Bürgerkriegs. Bis zum eigentlichen Kriegsausbruch weigerte sich der Großteil der amerikanischen Arbeiterbewegung schlicht und einfach, die Nöte schwarzer Arbeiter als ihr Problem anzuerkennen. Bis kurz vor dem Krieg sprach sie von der Befreiung der weißen Arbeiter und der Organisation stärkerer Gewerkschaften, ohne dabei ein Wort über vier Millionen schwarze Sklaven zu verlieren, oder überhaupt einen Gedanken an diese zu verschwenden. Während des Krieges waren die Arbeiter verbittert und nachtragend. Sie waren gezwungen, in einem Konflikt zwischen Kapitalisten zu kämpfen, an dem sie kein Interesse hatten, und sie brachten ihren Groll auf jene merkwürdig menschliche Art zum Ausdruck, indem sie die unschuldigen Opfer der ganzen Situation schlugen und ermordeten – die freien Schwarzen in New York und in anderen Städten im Norden. Auf Seiten der Südstaaten hingegen entsandten fünf Millionen nicht-sklavenbesitzende arme weiße Bauern- und Arbeiterfamilien ihre Männer aber tausendfach in den Kampf, um für ein System zu sterben, das sie ebenso wie den schwarzen Sklaven entwürdigt hatte. Kann man sich etwas Paradoxeres als diese Konstellation überhaupt vorstellen?

Amerika tat sich während dieser ersten Blütezeit der Moderne hervor und fügte zur Kunst der Schönheit, dem Geschenk der Renaissance, und der Glaubensfreiheit, dem Geschenk von Martin Luther und Papst Leo X., eine Vision der demokratischen Selbstregierung hinzu: Die Gestaltung und Beherrschung des politischen Lebens durch die intelligenten Entscheidungen freier und selbstbestimmter Menschen. Welch eine große Idee, und welch ein großartiger Ort für ihre Umsetzung – endloses, unendlich fruchtbares Land, natürliche Reichtümer, wie sie die Erde selten zuvor offenbart hatte, eine unendlich vielfältige, mit allen Talenten ausgestattete Bevölkerung, die in den Feuern der Armut und Kaste verbrannt wurde, sich nach dem unbekannten Gott sehnte; und selbstbewusste Pioniere, die anderen Menschen und dem Teufel furchtlos gegenübertraten. Es war das höchste Abenteuer, die letzte große Schlacht des Westens, ein Kampf um jene menschliche Freiheit, die den menschlichen Geist von seiner niederen Fleischeslust befreien und ihm das Träumen und Singen ermöglichen würde.

Und dann lehnte sich ein ungerechter Gott lachend über die Befestigungsmauern des Himmels und ließ einen schwarzen Menschen in die Mitte des Ganzen fallen.

Dies stellte die Welt auf den Kopf. Die Demokratie entwickelte sich zurück in Richtung des Römischen Imperiums und des Faschismus; es wurde ein System der Kasten und der Oligarchie wiederbelebt, das die Freiheit durch Sklaverei ersetzte und der großen Mehrheit der Menschen die Menschlichkeit versagte.

Allerdings geschah dies nicht ohne Kampf. Nicht ohne das Winden und die Selbstzerfleischung des Geistes und das bedauernswerte Wehklagen verlorener Seelen. Sie sagten: Die Sklaverei war falsch, aber nicht ganz falsch; die Sklaverei muss verschwinden, nicht nur sich verlagern; Gott hat schwarze Menschen erschaffen; der Wille Gottes geschehe; Sklaverei zum Ruhme Gottes und schwarze Menschen als seine und unsere Diener; Sklaverei als Pfad zur Freiheit – die Freiheit der Schwarzen, die Freiheit der Weißen; die Freiheit der Weißen als das Ziel der Welt, und die Versklavung der Schwarzen als Weg dorthin. Hoch lebe die weiße Welt, nieder mit der schwarzen!

Dann kam die als Bürgerkrieg bekannte Schlacht, die 1854 in Kansas begann und mit der Präsidentenwahl 1876 endete – zwanzig grauenvolle Jahre. Der Sklave wurde befreit; stand einen Augenblick lang im Lichte der Sonne; und wurde dann wieder zurück in Richtung der Sklaverei gedrängt. Amerika stellte sich mit seinem ganzen Gewicht hinter ein auf der Hautfarbe basierendes Kastensystem. Die Welt der Nicht-Weißen wurde von England, Frankreich, Deutschland, Russland, Italien und Amerika in die Knie gezwungen. Eine neue Sklaverei entstand. Der aufsteigende weiße Arbeiter wurde zu [kolonialen] Kriegen um Profite auf Grundlage der Hautfarben-Kaste verführt. Die Demokratie starb, außer in den Herzen der Schwarzen. Tatsächlich lässt sich das heutige Elend der weißen Arbeiterklasse weltweit direkt auf die Versklavung der Schwarzen in Amerika zurückführen, die die Voraussetzung des modernen Handels und der modernen Industrie war und freie Arbeiter weiterhin bedrohte, bis sie 1863 schließlich zumindest teilweise abgeschafft wurde. Die Kaste der Dunkelhäutigen, die sich daraus ergab und die vom Kapitalismus geschaffen und beibehalten wurde, wurde von der weißen Arbeiterbewegung angenommen, gebilligt und weitergegeben. Die Folge war die Unterwerfung schwarzer Arbeiter unter weiße Profite auf der ganzen Welt. Die Mehrheit aller Arbeiter weltweit wurde somit durch die Sturheit der weißen Arbeiter zur Grundlage eines industriellen Systems, das die Demokratie ruinierte und in Weltkrieg und wirtschaftlicher Depression zur höchsten Blüte gelang. Diese Geschichte soll im vorliegenden Buch erzählt werden.

Habt ihr Muße, Geborgenheit, Seelenfrieden,
Obdach, Nahrung, der Liebe sanften Balsam?
Oder was ist es, das ihr euch so teuer
durch euren Schmerz und eure Angst erkauft?
Die Samen, die ihr sät, erntet ein anderer;
den Reichtum, den ihr findet, behält ein anderer;
die Gewänder, die ihr webt, trägt ein anderer;
die Waffen, die ihr schmiedet, führt ein anderer.

Percy Bysshe Shelley [Auszug aus: Men of England ]

Aus dem Englischen von Jan-Peter Herrmann

Anmerkung

[1] [3] Anm. d. Übers.: Um der Sprache des englischen Originaltexts gerecht zu werden und historisch einigermaßen zu entsprechen, ist in der deutschen Übersetzung bewusst auf gegenderte Formen verzichtet worden.