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Der verpasste Frühling. Ägypten fünf Jahre nach der Arabellion

Von Julia Gerlach

Die ägyptische Regierung setzt alles daran, die Erinnerung an den Aufstand 2011 auszulöschen und die AktivistInnen zu verunglimpfen. Es gelingt ihnen – aber nicht ganz.

Der Tahrir-Platz wurde im Januar 2011 zu einem Symbol für das Streben nach Freiheit und Würde. Heute, fünf Jahre später erinnert auf diesem großen Platz in der Innenstadt von Kairo nur noch wenig daran. Da, wo im Januar 2011 die DemonstrantInnen ein Zeltlager errichteten und ihre Transparente spannten, wurde neuer Rasen mit Blumenrabatten angelegt. „Betreten verboten“, steht daran. Ein anderer Teil des Platzes musste der Einfahrt zu einem riesigen Parkhaus weichen. „Die Regierung setzt alles daran, die Erinnerung an die Revolution aus den Köpfen der Menschen zu löschen“, sagt die Aktivistin Esraa Abdelfattah, die für ihre Rolle beim Aufstand 2011 für den Friedensnobelpreis im Gespräch war. Nicht nur wurde das Denkmal, das 2012 für die Revolution errichtet wurde, längst wieder abgerissen und durch einen überdimensionalen Fahnenmast ersetzt, auch die AktivistInnen von 2011 sind betroffen: „Wir werden von den Medien systematisch verunglimpft und als Verräter und Agenten des Auslands dargestellt“, so Abdelfattah. Viele wurden auch verhaftet und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Menschenrechtsorganisationen sprechen von bis zu 40 000 politischen Gefangenen und Ägypten steht weit oben auf der Liste der Staaten, in denen JournalistInnen verfolgt werden und die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist. Mit Abdelfattah al-Sisi regiert ein Präsident der weit repressiver ist, als der 2011 gestürzte Hosni Mubarak.

„Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit!“, skandierten die DemonstrantInnen, die am 25. Januar 2011 zum Tahrir-Platz strömten, doch keine ihrer Forderungen wurde erfüllt. Fünf Jahre danach sind die Armen Ägyptens noch ein bisschen ärmer geworden und die Schere zwischen den Schichten ist noch weiter auseinandergegangen.

Die Regierung von Abdelfattah al-Sisi versucht darüber hinwegzutäuschen und beschwört die Erinnerung an die Regierungszeit von Gamal Abdel Nasser. Überall in Kairo hängen Poster, die al-Sisi und sein großes Vorbild nebeneinander zeigen. Ähnlich wie Nasser, setzt auch al-Sisi auf Großprojekte, um die Wirtschaft aus der Krise zu führen. So sollen ägyptische und ausländische Investoren angelockt werden, am Nil in Kraftwerke und Infrastruktur zu investieren. Zuletzt wurde im August 2015 die Erweiterung des Suezkanals eingeweiht. Als nächstes soll entlang des Schifffahrtsweges eine Wirtschaftszone geschaffen werden. Allerdings zeichnet sich ab, dass diese Art von Projekten nicht geeignet ist, kurzfristig die Armut in Ägypten zu lindern; hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen al-Sisi und Nasser: Denn anders als das historische Vorbild verfolgt al-Sisi keine Strategie der grundlegenden sozialen Reform. Vielmehr sind unter seiner Regierung viele der alten Eliten, die nach dem Aufstand 2011 ins Ausland flüchteten, an die Schaltstellen der Wirtschaft zurückgekehrt. Viele BeobachterInnen sprechen deswegen von einem Comeback Mubaraks. Doch das neue Regime ist nicht einfach nur eine Wiederauflage des der alten Zeit: Anders als Mubarak, der von einer machthungrigen Clique von politisch engagierten Geschäftsleuten umgeben war, hat al-Sisi noch keine zivile Entourage um sich geschart. Er scheint vielmehr auf Kreise im Militär zu setzen.

Seit Jahrzehnten spielt die ägyptische Armee auch in der Wirtschaft eine wichtige Rolle und diese wurde in den vergangenen fünf Jahren deutlich erweitert. Viele Infrastrukturprojekte werden von armeeeigenen Firmen ausgeführt und die Armeeführung mischt mit, wenn es um die Vergabe wichtiger Aufträge geht. Die Lage der ArbeiterInnen und die Situation der vielen Armen verbessert dies nicht. Weitere Einschränkungen sind zu befürchten, da Ägypten auf engere Wirtschaftsbeziehungen mit China setzt. Peking plant den Bau mehrerer Fabriken und Arbeitsrechte werden dabei keine große Rolle spielen.

Die Wirtschaftskrise ist eng mit dem Problem des Terrorismus verknüpft. Mit dem Verweis auf den Kampf gegen den Terror bittet die Regierung die Bevölkerung um Geduld: So sei es doch kein Wunder, dass der Aufschwung auf sich warten lasse, solange das Land von Terroristen angegriffen werde. Besonders betroffen ist der Tourismus; ausgerechnet der Sektor, von dem besonders viele ÄgypterInnen leben; ihnen geht zunehmend die Geduld aus. Das liegt auch daran, dass viele inzwischen das harte, willkürliche Vorgehen gegen die AnhängerInnen des 2013 gestürzten Präsidenten Mursi und die Opposition allgemein als wichtigen Grund sehen, weshalb es überhaupt zum Terrorismus gekommen ist. Präsident al-Sisi wurde 2014 zum Präsidenten gewählt, weil er den Menschen versprochen hat, den Terror zu besiegen. Doch besonders auf der Halbinsel Sinai wird der Kampf, den sich die Armee mit radikalislamischen Gruppen liefert, immer härter und viel deutet darauf hin, dass der Absturz des russischen Passagierflugzeugs im November 2015 auf das Konto einer dort ansässigen Terrorgruppe geht. Möglicherweise war es ihr gelungen, einen Mitarbeiter der Flughafensicherheit anzuwerben. Für einen Präsidenten, der aus dem Militärgeheimdienst stammt, eine ausgesprochen peinliche Angelegenheit. Auch der Anschlag auf ein Ferienhotel in Hurghada, bei dem im Januar mehrere Touristen verletzt wurden, zeigt, dass die Sicherheitskräfte weit davon entfernt sind, den Terror zu besiegen. Stattdessen gerät das Land immer stärker in einen Teufelskreis aus Gewalt, Repression und Armut.

Noch hält die Regierung stand: Das liegt auch daran, dass Kairo großzügige Unterstützung vor allem aus Saudi Arabien bekommt. Mehr als 18 Milliarden Euro haben Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate seit dem Sturz von Präsident Mursi an Kairo überwiesen und gerade erst kündigte Riad weitere 6,5 Milliarden Euro Investitionen an. So konnte die Zahlungsunfähigkeit verhindert und die Energiekrise abgemildert werden.

Saudi Arabien stand der Arabellion von Anfang an skeptisch gegenüber und stellte bereits früh seine Ölmilliarden ein, um den Sturz der alten Regime zu verhindern beziehungsweise ihre Rückkehr an die Macht zu befördern. Syrien und Jemen stellen hier Ausnahmen dar, da es sich bei Baschar al- Assad und Ali Abdullah Salah um Angehörige religiöser Minderheiten handelt und Saudi Arabien sie gerne durch ihnen geneigte sunnitische Herrscher ersetzen möchte. Was Ägypten angeht, hat die Regierung in Riad jedoch nichts unversucht gelassen, den Aufstand gegen die Regierung zum Scheitern zu bringen. Als sich abzeichnete, dass Mubarak nicht zu halten war, setzte Riad auf großzügige Unterstützung für die Generäle, die nach seinem Sturz die Macht unternahmen. Auch förderten sie die Salafisten, die ein Gegengewicht zur größten islamistischen Opposition, der Muslimbruderschaft bildeten. Als 2013 der gewählte Präsident Mohammed Mursi gestürzt wurde und Abdelfattah al-Sisi als neuer starker Mann das Ruder an sich nahm, schickte Saudi Arabien Soforthilfe. So fiel in diesem Sommer der Strom und damit die Klimaanlagen deutlich seltener aus, als unter Mursi. Neuerdings bröckelt allerdings die Beziehung zwischen Kairo und Riad. Der neue König von Saudi Arabien ist nicht mehr bereit, Kairo bedingungslos zu finanzieren und verlangt Gegenleistungen. So soll Ägypten mehr Soldaten bereitstellen, um Saudi Arabiens Krieg im Jemen zu unterstützen.

Das Scheitern der Revolution in Ägypten hat viele Gründe: Schuld haben die AktivistInnen, die zum Aufstand gegen die Regierung Mubarak mobilisierten, ohne eine Strategie für die Zeit danach erarbeitet zu haben. Schuld sind die Islamisten, die zwar die Mehrheit der Bevölkerung für sich gewinnen konnten, aber nur an ihre eigenen Interessen und die Ausweitung ihrer Macht dachten. Vor allem ist der demokratische Neuanfang jedoch an der Macht des alten Systems gescheitert. Die Militärs, die seit 1952 am Nil regieren, verfügen über ein sehr tief verankertes und sehr effektives Herrschaftssystem, das sich nicht so einfach stürzen lässt. Die Armeespitze geht sogar gestärkt aus der Arabellion hervor.

Unter Mubarak war die Armeespitze immer mehr aus der Politik verdrängt worden und sie spielte zunehmend die Rolle des Wächters im Hintergrund, der nur eingreift, wenn die Nation gefährdet wird. Aus der Sicht der Generäle war der Aufstand von 2011 deshalb eine willkommene Chance: Die Armee stellte sich an die Spitze des Aufstands und entledigte sich Mubaraks, der ihnen zu mächtig geworden war und zudem versucht hatte, seinen Sohn zum Nachfolger aufzubauen. Die Armee sicherte sich die Zustimmung der Bevölkerung, in Zukunft wieder direkt zu regieren. Es gelang ihr dann, die verschiedenen politischen Kräfte gegeneinander auszuspielen, und heute hat sie weder von den Islamisten noch von den Nicht-Islamisten ernsthaft Widerstand zu befürchten. Die Bilanz aus fünf Jahren Revolution ist ein klarer Sieg für die Armee-Führung. An ihrer Stärke ist die Revolution gescheitert. Zumindest weitgehend.

Wer nämlich genau hinschaut, entdeckt sogar auf dem Tahrir-Platz Überbleibsel. In einer Ecke sind zumindest Teile der berühmten Graffiti-Mauer an der Mohammed Mahmoud Straße erhalten. Als Omar Fathy, der sich damals noch Omar Picasso nannte, 2011 zum ersten Mal sein Bild an die große Mauer am Tahrir-Platz malte, da rümpften viele die Nase, warfen ihm Schwarzmalereien vor. Kurz darauf wurde das Bild allerdings zu einem der bekanntesten und am meisten fotografierten Graffitis Ägyptens. Es zeigt ein Gesicht, in dem die Züge des 2011 gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak mit dem seines Nachfolgers, dem Oberkommandierenden der Armee Mohammed Hussein al-Tantawi ineinander verfließen. Immer wieder wurde die Mauer am Tahrir-Platz von der Stadtverwaltung übergemalt, doch immer war Omar Picasso schnell wieder dort und malte sein Bild neu. „Der Regierung ist mein Bild ein Dorn im Auge, aber ich gebe nicht auf und male es immer wieder neu!“, sagte er damals. Und er ergänzte es je nach Lage, so bekam der Wiedergänger Mubaraks bald Schatten: Die Präsidentschaftskandidaten Amr Moussa und Ahmed Schafik malte er hinzu und im Sommer 2012 ergänzte er Mohammed Mursi. Das letzte seiner Bilder malte Omar Picasso Ende Juni 2013 und zwar direkt an die Mauer des Präsidentenpalastes. Diesmal zeigte es als letzte Figur in der Reihe den Umriss eines Militärs mit Schirmmütze. „Uns war es gelungen, einen neuen Aufstand zu organisieren und zum zweiten Mal in nur eineinhalb Jahren wurde im Sommer 2013 ein Präsident gestürzt. Allerdings war schon damals klar, dass wir direkt auf eine neue Militärdiktatur zusteuerten“, sagt er. Das wollten viele seiner MitstreiterInnen jedoch nicht wahrhaben: „Sie hielten mich für einen Pessimisten und ich wurde für mein Bild scharf kritisiert“, erzählt Omar Picasso. Heute erinnert er sich dennoch mit Wehmut an diese Zeit. Es gibt nur noch wenige, die sich trauen, kritische Bilder an öffentliche Mauern zu malen und auch nur mündlich die Regierung zu kritisieren, ist gefährlich. „Ich kann mir das nicht leisten. Ich muss an meine Familie denken“, sagt Omar Picasso. Er arbeitet inzwischen als Dekorateur, malt lustige Bilder für Kindergeburtstage und Hochzeiten: „Eines ist aber klar: Ich werde nie vergessen, wie schön es war, die Mauern zu bemalen und ich werde nie aufhören, davon zu träumen, dass ich es noch einmal mache“, sagt er. Wie er denken viele und schöpfen daraus Hoffnung. „Nie in der Geschichte hat es eine Revolution gegeben, die in nur fünf Jahren die Freiheit gebracht hat. 2011 haben viele Menschen das Gefühl von Freiheit kennengelernt, sie werden sich immer daran erinnern und danach sehnen“, sagt die Aktivistin Abdelfattah: „Ich bin überzeugt, dass wir nicht am Ende, sondern vielmehr am Anfang der Revolution stehen.“