| Der Klimagipfel in Bolivien: Auftrieb für die globale Klimabewegung

Mai 2010  Druckansicht

von Tadzio Müller

Vom 19. bis zum 22. April fand in Bolivien ein alternativer Klimagipfel statt. Der bolivianische Präsident Evo Morales setzte damit einen Kontrapunkt zur offiziellen Klimapolitik, die 2009 in Kopenhagen grundsätzlich gescheitert ist. Seinem Aufruf folgten 30 000 Menschen: Regierungsdelegationen, gipfelstürmende Autonome, UN-Bürokratinnen, Kokabauern aus den Anden und noch viele mehr. Ihre Bilanz ist überwiegend positiv: Die Basisgruppen und sozialen Bewegungen haben es geschafft, viele ihrer Forderungen in der Abschlusserklärung unterzubringen – die bolivianische Regierung hat mit sich verhandeln lassen. Dies scheint sich als ein Charakteristikum des zweiten Zyklus globaler sozialer Kämpfe herauszuschälen: Der politische Raum für radikale, sogar antikapitalistische Positionen ist gewachsen. Die bolivianische Regierung hat das Abschlussdokument bereits offiziell bei den UN eingereicht. Darin wird eine Systemänderung verlangt – nicht nur von den industrialisierten Ländern mit hohem Energieverbrauch, sondern beispielsweise auch von den (linken) Regierungen Lateinamerikas.

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Die Vorgeschichte: Scheitern der offiziellen Klimapolitik

Kopenhagen, Dänemark, Dezember 2009. Das Ausmaß des Scheiterns des Klimagipfels übertrifft sogar die niedrigen Erwartungen der noch jungen globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Keiner der führenden Emittenten, ob die USA oder die EU, Japan oder Australien ist bereit gewesen, die notwendigen drastischen Emissionsreduktionen (von den notwendigen Umverteilungsprozessen ganz zu schweigen) zu akzeptieren. Wieso auch: In einer „fossilistisch-kapitalistischen Wirtschaft“ (Altvater 2007) bedeuten Emissionsreduktionen politisch inakzeptable Reduktionen des Wirtschaftswachstums. Also wird unter Führung der USA außerhalb der offiziellen Prozesse der so genannte Copenhagen Accord verhandelt. Dieser Text gibt zwar vor, die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius beschränken zu wollen, schlägt zur Einhaltung dieses Ziels aber nur freiwillige Emissionsreduktionen vor, ohne Verifikations- oder Sanktionsmechanismen.[1] Es ist der couragierte Widerstand von Ländern wie Venezuela, Sudan und Bolivien, der verhindert, dass die Vollversammlung der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) den Accord akzeptiert. So wird er bloß „zur Kenntnis genommen“ (noted). Das von vielen in den Bewegungen und NGOs befürchtete Worst-Case-Szenario, dass ein schlechtes Abkommen einem „Greenwashing“ unterzogen wird, kann so nicht zustande kommen. Nur politisch Farbenblinde könnten den Accord wirklich für grün halten. Die angeblich „letzte Chance zur Rettung des Planeten“ verstreicht ungenutzt, nachdem zwei Wochen lang auf dem Gipfel das Verschwinden ganzer (Insel-)Staaten und die Evakuation derer Bevölkerungen ohne mit der Wimper zu zucken als neue Normalität diskutiert wurde.

Doch nicht nur aus der Perspektive derjenigen, denen gar kein Klimaabkommen noch lieber ist, als ein schwaches, sind die Gipfelwochen kein komplettes Desaster. Viele in der entstehenden globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit, vor allem diejenigen, die von vorneherein die Hoffnungen auf ein „faires, rechtsverbindliches und ambitioniertes Abkommen“[2] für Augenwischerei hielten, weisen auf eigene Erfolge hin: Die Demonstration am Samstag den 12.12.2009 war vermutlich die größte explizite Klimademonstration bisher, mit ca. 100.000 Teilnehmenden; das Klimaforum, der Alternativgipfel in Kopenhagen, versammelte über 50.000 Personen in zwei Wochen, und verfasste eine exzellente und weit verbreitete Abschlusserklärung; die letzte große Aktion, Reclaim Power war mit ihrer neuartigen Vorstellung der Beziehung zwischen „Innen“^ und „Außen“^, zwischen Bewegung auf der Straße, NGOs und Regierungen Ausdruck einer neuen Phase der Bewegungspolitik (De Marcellus 2010). In diesem Sinne war es durchaus bedeutungsvoll, dass Hugo Chávez in seiner Rede auf dem Gipfel den Slogan zitierte, den die Bewegungen auf der Straße und in den alternativen Workshops artikulierten: Change the System, not the Climate!

In dieser Situation des Scheiterns der offiziellen Klimapolitik einerseits und der möglichen Entstehung einer neuen sozialen Kraft, innerhalb derer sich eine neue Beziehung zwischen Bewegungen und Institutionen (wie z.B. Regierungen) entwickelt, wagte Boliviens Präsident Evo Morales einen interessanten Schritt: Er beruft eine Art alternativen Klimagipfel ein – genauer: die Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel und den Rechten der Mutter Erde[3] – auf dem sich alle progressiven Kräfte treffen sollen, die eine explizit kapitalismuskritische Klimapolitik entwickeln wollen. Stattfinden soll der Gipfel in Cochabamba, einer Stadt, die in den globalen Bewegungen vor zehn Jahren durch den Guerra de la Agua – den „Wasserkrieg“ –berühmt wurde, als die größtenteils indigene Stadtbevölkerung sich militant und erfolgreich gegen den Verkauf der städtischen Wasserversorgung an den US-Multi Bechtel wehrte. Auf dem Spiel steht viel: Dem Scheitern der offiziellen Klimapolitik stehen von linker Seite nämlich bisher vor allem die üblichen moralisierenden Appelle und „richtigen“^ Forderungen gegenüber, aber keine ausreichende soziale Kraft, diese durchzusetzen. Anders gesagt: Einfach nur zu sagen, dass der Kapitalismus am Klimawandel Schuld ist, mag zwar richtig sein, bringt uns aber angesichts der real existierenden weiteren Expansion des fossilistischen Systems – allen Versuchen zum Trotz, eine Art „grünen Kapitalismus“ zu instituieren (Kaufmann/Müller 2009) – nicht viel weiter. Wie sieht eine antikapitalistische Klimapolitik aus? Wie kann sie durchgesetzt werden? Und vielleicht am wichtigsten: von wem?

Wer kann eine antikapitalistische Klimapolitik durchsetzen?

Diese und andere Fragen sollten nun in Cochabamba von einer so noch nie da gewesenen Akteurskonstellation diskutiert werden – nämlich Regierungs- und Bewegungsakteure auf Augenhöhe.

Einerseits wären da die progressiven lateinamerikanischen Regierungen, einige von ihnen organisiert im ALBA-Block (Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerikas: Venezuela, Kuba, Bolivien, Nicaragua, Honduras), von denen die bolivianische mit einigem Abstand die bewegungsnächste ist.[4] Dazu kommt, dass diese Bewegungen zum Großteil indigene waren, Morales selbst Aymara ist. Die Relevanz dieser Tatsache liegt darin, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung, mehr noch als andere linke Bewegungen, sich stark auf das Agenda-Setting, auf die politische Führung oft indigener so genannter „Frontline Communities“ verlässt (also jener Gruppen, die direkt und am schärfsten von Klimawandel sowie den so genannten „falschen Lösungen“ betroffen sind). Zuletzt ist Morales wohl derjenige Präsident, der am überzeugendsten einen explizit antikapitalistischen Klimadiskurs entwickelt. So gesehen also die perfekte Regierung, um einen derartigen Gipfel zu organisieren.

Wenn man aber vom Diskurs absieht und die materielle „Basis“ des bolivarianischen Projektes ins Auge nimmt, sieht die Sache plötzlich etwas anders aus. Während nämlich in der Vorbereitung des Gipfels viel über die Pachamama, also über die Mutter Erde und ihre Rechte gesprochen wird, gründet sich das linke lateinamerikanische („bolivarianische“) Projekt in einer politischen Ökonomie des „Neuen Extraktivismus“, wie es der uruguayische Intellektuelle Eduardo Gudynas (2010a) genannt hat. Zwar haben die linken Regierungen in Lateinamerika durchaus bedeutende Fortschritte in der Armutsbekämpfung gemacht und ernstzunehmende Umwälzungen in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen begleitet (sind also aus ihnen hervorgingen und haben sie weitergetrieben). Es handelt sich hier um einen neo-keynesianischen Desarrollismo (Entwicklungsstaat) mit stark umverteilenden Politiken. Jedoch: Diese sehr begrüßenswerten Politiken werden durch die Ausbeutung eben jener Pachamama finanziert, deren Rechte in Cochabamba auf der Agenda stehen: seien es Minen (Kohle, Lithium, Kupfer…), Dämme, Petroleum, oder hyperintensive Soya-Monokulturen. Gudynas dazu: „Die progressiven Regierungen reduzieren ökonomische Entwicklung auf ökonomisches Wachstum, welches wiederum vor allem durch die Ausweitung von Exporten und der Erhöhung von Investitionen erreicht werden kann. Der neue Extraktivismus ist eines der zentralen Mittel, diese Ziele zu erreichen.“ (Gudynas 2010b)

Das bolivianische/bolivarianische Projekt weist also gleich zwei zentrale Widersprüche und Konfliktlinien auf. Erstens, den Widerspruch zwischen Diskurs und materieller Basis: Allen schönen Reden zum trotz beruht Boliviens Fähigkeit, Armut im Lande effektiv zu reduzieren, stark auf hohen Preisen für Naturgas, also auf einer fossilistischen, extraktiven Ökonomie. Nach der von der Klimabewegung oft beschworenen „echten Alternative“ zum kapitalistischen Wachstumswahnsinn sieht dies kaum aus.

Zweitens, die sozialen Konflikte, die beinahe notwendigerweise um traditionelle Ressourcenextraktion herum entstehen. Zwei kurze Beispiele: Im bolivianischen San Cristobal zum Beispiel kam es bei Protesten gegen eine Silbermine kurz vor der Klimakonferenz zur Besetzung von Unternehmensgebäuden und Blockaden von Zugschienen. Gefordert wurde ein Ende der Umweltzerstörung, sowie Wasser und Elektrizität für die umliegenden Gemeinden.[5] Im Südwesten des Landes gibt es heftige Proteste gegen Wasserkraftwerke, welche die bolivianische Regierung zusammen mit Brasilien bauen will.

Das neo-extraktivitische Entwicklungsmodell, ebenso wie die Notwendigkeit der manchmal auch repressiven Kontrolle der Konflikte, die um dieses Modell herum entstehen, verträgt sich natürlich herzlich schlecht mit einer Konferenz über die Rechte der Pachamama, wo mit globalen Bewegungsakteuren über sozial gerechte Lösungen der Klimakrise debattiert werden soll. Was also tun? Die bolivianische Regierung entschloss sich kurzerhand, derartige lokale und nationale Fragen von der Agenda der Konferenz auszuschließen – mit der hanebüchenen Erklärung, dass lokale Fragen auf einer internationalen Konferenz nichts zu suchen hätten – und mithin auch jene Gruppen und Bewegungen, die der Regierung und ihrem Entwicklungsmodell kritisch gegenüberstehen. Wen das zumindest entfernt an das zynische Doppelspiel einer Angela Merkel erinnert, die einerseits auf internationalen Gipfeln gerne als Klimaretterin daherkommt, zuhause aber fleißig Kohlekraftwerke bauen lässt, dem sei verziehen. Die Exklusion dieser Fragen vom Gipfel veranlasste MAS[6]-kritische Gruppen zur Bildung einer alternativen „18 Arbeitsgruppe“, der Mesa 18, auf der das bolivianische Modell sowie der neue Extraktivismus kritisch hinterfragt wurden – eine Art Gegengipfel zum Alternativgipfel. Das Problem einer Kritik von Evo Morales und seiner MAS von links ist die politische Rechte, die in der wohlhabenden „Halbmond“-Region in Boliviens Tieflandgürtel eine starke, konterrevolutionäre Autonomiebewegung organisiert hat, und eine reelle Bedrohung der Stabilität des Landes und der Fortsetzung von Morales’ Regierung darstellt. Als sich daher zwei Parlamentsabgeordnete der Rechten unter die TeilnehmerInnen der Mesa 18 mischen wollten, wurden diese als Faschisten beschimpft und kurzerhand rausgeworfen. Warum? Weil die Anti-MAS-Linke mit aller Kraft den Eindruck vermeiden muss, mit der Rechten gemeinsame Sache gegen Evo zu machen.[7]

Auf der einen Seite also die bolivianische Regierung mit all ihren Widersprüchen – diese wiederum eine Reflexion der Komplexität der „neuen Linken“ in Lateinamerika. Und auf der anderen Seite? Dort treffen wir auf jenen Prozess, der mit einer gewissen Prise gramscianischem Optimismus[8] als die entstehende globale Bewegung für Klimagerechtigkeit bezeichnet werden kann.[9] Hervorgegangen ist diese aus der Fusion von Teilen der globalisierungskritischen Gipfelprotest- und Sozialforums-Zusammenhänge mit radikalen und vom Versagen der UNFCCC radikalisierten Umweltgruppen und -aktivis­tIn­nen. Diese Fusion begann zu einer Zeit, da einerseits der Neoliberalismus immer mehr an ideologischer und integrativer Kraft verlor, und andererseits der Klimawandel sich immer mehr auf die polit-ökonomische Agenda drängte, sowohl als Umweltproblem, als auch als neue, grüne Entwicklungschance.

Zweiter Zyklus der globalisierungskritischen Bewegungen

Was aber manchmal als neue Bewegung erscheint, ist aber auch gleichzeitig einfach der nächste Zyklus der globalen sozialen Kämpfe im Zeitalter dessen, was vor zehn Jahren noch unproblematisch „Globalisierung“ genannt wurde. Der erste war bestimmt von der gemeinsamen Ablehnung des Neoliberalismus („One No, many Yeses“), der Ablehnung des thatcherschen Diktums, es gäbe keine Alternative („Andere Welten sind möglich“), sowie der weitgehenden Ablehnung der Zusammenarbeit mit institutionellen linken Akteuren, von staatlichen ganz zu schweigen. Die Charta des Weltsozialforums zum Beispiel verbietet explizit die Mitarbeit von Parteien, und eines der populärsten linken Theoriebücher der letzten zehn Jahre war John Holloway’s (2002) Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen.

Im zweiten Zyklus scheint sich hier einiges zu verschieben:[10] Weil einerseits der Neoliberalismus in Institutionen wie linken/sozialdemokratischen Parteien, Gewerkschaften und eben auch einigen Regierungen immer schwächer wird, und andererseits seine Krise die Schwäche der anti-neoliberalen Bewegung aufzeigte – Stichwort fehlende Institutionalisierung von Erfolgen – ändert sich seit geraumer Zeit die Art und Weise, wie in den globalen Bewegungen die Beziehung zu Institutionen gedacht wird. Wo früher ein krasser aber der Situation angemessener Anti-Institutionalismus herrschte, findet sich heute Offenheit und neue Verbindungen. Die oben schon angesprochene Reclaim Power-Aktion, in deren Vorbereitung (post-)autonome AktivistInnen mit Regierungen sowie einer ganzen Reihe von früher abfällig als „NGOs“bezeichneten Akteuren zusammenarbeitete oder zumindest verhandelte, ist ein Beispiel dafür – die Unklarheit der Beziehung zur UNFCCC ein anderes. Und die Konferenz in Cochabamba natürlich ein drittes.

Der zweite Unterschied in der Strategie dieses neuen Zyklus bezieht sich auf jenes „Eine Nein“, und die „vielen Jas“^: Nach dem Ende der neoliberalen Hegemonie ( nicht „des Neoliberalismus“ als solchen [11]) gibt es kein einendes „Nein“ mehr. Gleichzeitig gibt es deutlich mehr politischen Raum, in dem radikale, sogar antikapitalistische Positionen artikuliert werden können. All dies, gepaart mit der wachsenden Dringlichkeit der Klimakrise, führt dazu, dass die entstehende Klimagerechtigkeitsbewegung unter mehr Druck steht, tatsächlich durchführbare, „positive“ Vorschläge vorzulegen, als damals die globalisierungskritische. Und auch hier sind Fortschritte gemacht worden: Auf der Arbeit vorgelagerter Gruppen und Bewegungen (wie zum Beispiel der Durban Group[12]) aufbauend, hat sich in der neuen Bewegung die Idee der „Klimagerechtigkeit“ schnell als einender Diskurs etabliert, der einige gemeinsame „Richtungsforderungen“ (Trott 2007) beinhaltet: fossile Ressourcen sollen im Boden gelassen werden; die industrielle Landwirtschaft mit lokalen Systemen der Ernährungssouveränität ersetzt werden; die ökologische Schuld des Nordens soll anerkannt werden, und noch einige mehr.[13] Das Problem hierbei ist, dass diese Forderungen sich nicht notwendigerweise überall gleich anhören, und sich zum Beispiel für Kämpfe im Süden mehr eignen, als in den urbanen Regionen des Nordens: Heißt Klimagerechtigkeit eigentlich in Europa dasselbe wie in Lateinamerika?[14] In Bolivien dasselbe, wie in Brasilien? Eines bleibt sich aber vom ersten Zyklus zum zweiten gleich, und lässt sich wieder einmal in der Poesie der Zapatistas ausdrücken: Damals hieß es „fragend schreiten wir voran“ (caminamos preguntando). In diesem Sinne wurden auf der Konferenz kaum Fragen beantwortet, sondern vor allem gestellt.

Ergebnisse der Konferenz in Cochabamba

Über 30.000 TeilnehmerInnen, fast 10.000 davon aus dem Ausland – vor allem LateinamerikanerInnen, und überraschend viele aus Nordamerika. Europa und Asien sind, dank des isländischen Vulkans, sehr schlecht vertreten, Afrika noch schlechter, vermutlich wegen der Abwesenheit von Fördergeldern. Trotzdem: Nun sind wir hier in Cochabamba, um über die strukturellen Veränderungen zu reden, von denen wir wissen, dass sie notwendig sind. Regierungsdelegationen aus Ländern aller Kontinente, gipfelstürmende Autonome, UN-Bürokratinnen, Kokabauern aus den Anden. Im Vorfeld des Gipfels waren 17 Arbeitsgruppen zu allerlei Themen gegründet worden, die lange Diskussionen über E-Mail geführt haben. Man stelle sich die Übersetzungsschwierigkeiten vor: Nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell. Wie reden eigentlich autonome Bewegungsaktivistinnen mit UN-Bürokraten? Interessant waren in dieser Hinsicht vor allem die zentralen Strukturen der Konferenz, die Arbeitsgruppen (mesas), als Versuch, die verschiedenen Sprachen, Arbeitsweisen und strategische Ziele verschiedener Akteure zusammenzubringen. Die Arbeitsgruppen waren mit Sicherheit problematisch – jedoch nicht (notwendigerweise), weil sie schlecht organisiert waren, sondern eben gerade, weil sie Ausdruck offener Fragen sind.

Es könnten viele Geschichten über diese konflikthafte Kooperation erzählt werden: Darüber, wie in der Arbeitsgruppe zu Wäldern die Bewegungen erfolg- und ruhmreich einen Versuch der Regierung abwehrten, das bei vielen vor allem indigenen Gruppen unbeliebte UN-Programm REDD (Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation) zu unterstützen; oder wie Via Campesina zusammen mit einigen internationalen Verbündeten in letzter Minute verhinderte, dass die Konferenz vorschlägt, eine Art neuer „Internationalen von Oben“ zu gründen. Aber diese Details würden jetzt zu weit führen. Stattdessen sollte man einen Blick auf die Schlussdeklaration des Treffens werfen, die es politisch durchaus in sich hat, und eine manchmal etwas verwirrende Vielfalt von Forderungen beinhaltet, von denen viele direkt von den Bewegungen kommen (was passiert eigentlich mit Bewegungsforderungen, die von Regierungen übernommen werden?), andere wiederum direkt der Strategiewerkstatt der bolivianischen Regierung entspringen.

Der Text[15] beginnt mit angenehm antikapitalistischer und wachstumskritischer Rhetorik: „Das kapitalistische System hat uns eine Logik der Konkurrenz, des Fortschritts und des unbegrenzten Wachstums aufgezwungen (…) Ein Gleichgewicht mit der Natur kann es nur geben, wenn es Gleichheit zwischen den Menschen gibt (…) Das Modell, das wir vorschlagen, ist jenes einer Entwicklung, die weder destruktiv, noch unbegrenzt ist.“ Alles schön und gut, und angesichts der Wachstumsdebatte, die im globalen Norden bald richtig losgehen wird, nicht uninteressant. Aber was wird konkret vorgeschlagen? Und wo liegen die Probleme dieser Vorschläge?

Am meisten Aufsehen – auf einer riesigen Konferenz, die von den Medien des Nordens fast gänzlich ignoriert wurde – erregten wohl das geplante „globale“ Referendum zum Klimawandel, und der Vorschlag, einen internationalen Umwelt-/Klimagerichtshof einzurichten. Das Referendum, so wurde in Diskussionen immer wieder klar, ist ein Projekt, das im lateinamerikanischen Kontext sehr viel Sinn machen würde – hier gibt es eine lange Geschichte der concientisacion, der „Bewusst-machung“ durch Referenden und so genannte consultas – aber viele AktivistInnen aus dem Norden und auch aus Asien sahen das eher als problematisch an: Wollen wir wirklich wissen, was Europa über den Klimawandel denkt? Gar die USA? Und wie halten wir eigentlich ein Referendum in China ab?

Der internationale Klimagerichtshof ist ein ähnlich ambivalentes Projekt: Einerseits ist die rechtliche Institutionalisierung der Erfolge und Forderungen sozialer Bewegungen mit Sicherheit ein wichtiger Teil des 2Gewinnens“. Andererseits müsste, um eine derartige Institution zu schaffen, von allen Teilen der Bewegung sehr viel Arbeit geleistet werden – und wollen wir unsere Kräfte gerade wirklich in derartige internationale institutionelle Prozesse investieren? Wir erinnern uns, wohin der lange Marsch durch die Institutionen die Grüne Partei gebracht hat…

Eine ganz zentrale Forderung: Der globale Norden soll seine Klimaschuld an den globalen Süden anerkennen und beginnen, dafür zu zahlen, bis zu 6 Prozent des jährlichen BIP sollen dafür aufgebracht werden. Im Prinzip eine sehr gute Sache, dagegen lässt sich wenig sagen. Jedoch stellt sich die Frage, über welchen institutionellen Mechanismus diese Gelder laufen sollen: bitte nicht die Weltbank. Und – dies aber eine Frage, die vorsichtiger gestellt werden muss – an wen? „Regierungen im globalen Süden“ ganz im Allgemeinen? Hier verdeckt der Begriff „globaler Süden“ unter Umständen doch zu sehr Konflikte zwischen Regierungen und Teilen der Gesellschaft. Hier geht es nicht darum, die Forderung abzulehnen, nur darum, darauf hinzuweisen, dass noch einige konzeptionelle Arbeit aussteht.

Überhaupt wird dem „globalen Norden“ die Erklärung kaum gefallen: Er wird angehalten, Verantwortung für so genannte „Klimaflüchtlinge“ zu übernehmen, diese aufzunehmen, wenn nötig – und zwischen 2013 und 2017 seine Emissionen um 50 Prozent gegenüber dem 1990 Basisjahr zu reduzieren. Immer wieder tauchen im Text auch „die Indigenen“, ihre Lebensweise und Ökonomie auf: einerseits als Legitimationsquelle und moralischer Anker, andererseits als rhetorische Anti-Wachstumsmaschine. Hier bleibt wohl zu hoffen, dass die Lebensweisen nicht nur die Konfrontation mit dem globalen Norden überleben, sondern auch den neuen Extraktivismus der lateinamerikanischen neuen Linken. In diesem Sinne ist es interessant, wenn auch kaum überraschend, dass sich eine zentrale Forderung der Bewegung nicht im Text wieder findet: fossile Ressourcen im Boden lassen. Das hätte den Genossen Evo und Hugo sicherlich kaum gefallen.

Jenseits der „offiziellen Forderungen“ – und hiermit kommt der Überblick über die Resultate des Gipfels zu einem Ende – geschieht natürlich immer Positives, wenn normalerweise verstreute Bewegungen aufeinandertreffen: Ein ursprünglich in Lateinamerika artikulierter, und in Europa von Climate Justice Action aufgenommener Ruf für einen Aktionstag am 12. Oktober („direkte Aktion für Klimagerechtigkeit“) wurde so zu einer möglichen Aktionswoche für das Klima, in die momentan von liberalen Netzwerken wie 350.org hin zu Jubilee South und den allgegenwärtigen GenossInnen von Via Campesina viele involviert sind.

Kristallkugel: the good, the bad, and the unclear

Die Effekte, gar „Erfolge“ sozialer Bewegungen sind immer äußerst schwer zu beurteilen, vor allem gerade mal vier Tage nach Ende der Konferenz. Aber zumindest ein paar Dinge lassen sich jetzt schon erkennen. Erstens, die bolivianische Regierung hat wenige Tage nach der Konferenz die Ergebnisse der Konferenz schon als offizielle Einlassung bei der UNFCCC eingereicht. Das heißt, die Forderungen der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung sind nun auf eine noch nie da gewesene Art offizielles Diskussionsmaterial der UN. Dass die UNFCCC unter Umständen eine immer weniger relevante Institution sind, sei dahingestellt. Das Dokument wird auch eine nach innen einende Wirkung haben. So hat das oft verfahren agierende NGO-Netzwerk Climate Justice Now! angekündigt, inner- und außerhalb der UN den „Cochabamba Accord“ zu unterstützen. Ob dies aber auch heißt, dass Positionen, die sich nicht im Text finden, marginalisiert werden, muss abgewartet werden, aber das Potenzial für eine solche Entwicklung existiert mit Sicherheit.

Über den Text hinaus ist wahrscheinlich, dass – trotz der Tatsache, dass die großen nördlichen Medien die Konferenz geflissentlich ignorierten – Cochabamba zu einer Stärkung antikapitalistischer und bewegungsorientierter Diskurse in der Klimadebatte beitragen wird: Dass ein Präsident, ja gleich mehrere, ihre institutionelle Position benutzen, um Kapitalismus explizit mit Klimawandel zu verbinden, ist in der gegebenen Situation uneingeschränkt positiv; und dass die Rolle von Bewegungen neben Institutionen wie den UNFCCC, auf die sich weiter positiv bezogen wird, betont wird, ebenso. Auch innerhalb der globalen Bewegungen wird sich etwas verschieben: Der vor mehreren Jahren begonnene Prozess, in dem sich die globalen Kämpfe (auch) auf die Frage der Klimagerechtigkeit einstellten, wird in Cochabamba beschleunigt worden sein.

 

Literatur

Altvater, Elmar, 2007: Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik. Münster

De Marcellus, Olivier, 2010: Failure and Victory in Copenhagen. O.O.

Gudynas, Eduardo, 2010a: The New Extractivism in South America. americas.irc-online.org/pdf/reports/1001theses.pdf

Ders. 2010b: >El Modelo de Desarrollo en Debate<, Le Monde Diplomatique, Edición Boliviana, April, 7.

Holloway, John, 2002: Change the World without taking power, London

Kaufmann, Stephan und Tadzio Müller, 2009: Grüner Kapitalismus: Krise, Klima und kein Ende des Wachstums. Berlin (193.96.188.183/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/R21GrünerKapitalismus.pdf)

Müller, Tadzio, und Ben Trott, 2009: Wie institutionalisiert man einen Schwarm? LuXemburg 2, 22f

Trott, Ben, 2007: >Walking in the right direction?<, Turbulence 1

[1] Selbst das 22-Grad Ziel“„ hat von einigen Ländern des Südens Kritik auf sich gezogen: wessen Überleben hat hier Priorität?

[2] So die bis zum bitteren Ende von Gruppen wie Avaaz und Greenpeace vertretenen Positionen.

[3] pwccc.wordpress.com/

[4] Evo Morales selbst kommt aus dem mittlerweile relativ parteiförmigen Movimiento al Socialismo, einer aus den Communities der KokabäuerInnen des bolivianischen Hochlandes hervorgegangenen Bewegung. Er ist seit Anfang 2006 bolivianischer Präsident. .

[5] www.democracynow.org/2010/4/20/two, 27.4.2010.

[6] Die von Morales geführte Partei Movimiento al Socialismo (Bewegung zum Sozialismus).

[7] Auf die Komplexität „interne2^ indigener Politiken, und die vielfältigen Spaltungen (zum Beispiel zwischen dem 2Indigenismus“ und dem weniger ethnisch konnotierten 2Katarismus“) sei hier nur verwiesen, diskutiert werden können sie nicht.

[8] Antonio Gramsci sprach, in einem faschistischen Gefängnis sitzend, einst von der Notwendigkeit eines Pessimismus’ des Intellekts, und eines Optimismus’ des Willens.

[9] Wobei dazu gesagt werden sollte, dass es auch eine weitere „Klimabewegung“ gibt, an deren rechten Flügel wir Akteure wie Oxfam und andere finden, die vor 5 Jahren das unsägliche „Make Poverty History“ anstießen.

[10] Für eine ausführlichere Version des folgenden Arguments vgl. Müller/Trott 2009.

[11] Turbulence Collective, 2009: Life in Limbo. Turbulence 5.

[12] www.durbanclimatejustice.org

[13] Vgl. www.climate-justice-now.org/category/events/bali/

[14] Dazu www.climate-justice-action.org/resources/documents/what-dös-climate-justice-mean-in-europe/

[15] cmpcc.org/

Dieser Artikel ist erschienen in der Reihe Standpunkte International_05-2010 der Rosa-Luxemburg-Stiftung.