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Das Problem hinter Trump

Von Keeanga-Yamahtta Taylor

Donald Trump hat sein Amt als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika angetreten. Die Fassungslosigkeit, die dieser Wahlsieg bei vielen ausgelöst hat, gilt es nun in Widerstand und Selbstorganisierung zu verwandeln. Dafür ist es allerdings entscheidend zu verstehen, wie es zu diesem Wahlsieg kommen konnte. Vereinfachende Erklärungen helfen hier nicht weiter. Etwa wenn die Wahl Trumps auf CNN als »whitelash« bezeichnet wird, als Racheakt der weißen Wähler*innen gegen die Schwarzen, die 2008 und 2012 für Obama gestimmt haben. Solche Thesen greifen zu kurz und unterschlagen viele unbequeme Wahrheiten über die Demokratische Partei. Auch überschätzen sie die Unterstützung, die Trump und seine Politik in weiten Teilen der Bevölkerung genießen. Abgesehen davon, dass auch viele Millionen Weiße Obama gleich zweimal gewählt haben, hinkt die These auch insofern, als sie suggeriert, schwarze Amerikaner*innen hätten von der Präsidentschaft Barack Obamas profitiert – und zwar auf Kosten der Weißen. Die Angst und Abscheu gegenüber Trump führen dazu, dass Obamas Verdienste verklärt werden. Natürlich sollten wir nicht unterschätzen, welche Symbolkraft es hat, wenn ein schwarzer Amerikaner in das höchste Amt eines Landes gewählt wird, das auf dem Rücken schwarzer Sklav*innen errichtet wurde. Aber wir sollten uns nicht blenden lassen: Obamas Präsidentschaft war kein Geschenk an die schwarze Bevölkerung. Im Gegenteil, sie steht für eine leidvolle Kontinuität von Rassismus, Diskriminierung und Ungleichheit. Die Arbeitslosigkeit unter schwarzen Amerikaner*innen ist auch acht Jahre nach Obamas Wahlsieg noch doppelt so hoch wie unter Weißen. 38 Prozent der schwarzen Kinder leben weiterhin unter der Armutsgrenze, und 55 Prozent der Arbeiter*innen, die meisten von ihnen schwarze Frauen, verdienen nach wie vor weniger als 15 Dollar pro Stunde. Das Unvermögen der Regierung Obama, die Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung relevant zu verbessern, hat überhaupt erst zur Entstehung von #BlackLivesMatter geführt.

Es gibt ein weiteres Problem, wenn man Trumps Wahlsieg auf einen »whitelash« verkürzt: Jede Kritik an der Politik der vergangenen acht Jahre wird als rassistischer Akt verkannt. Das ähnelt dem Argument, wonach Hillarys Wahlkampf angeblich am Sexismus gescheitert sei. Natürlich haben Rassismus und Sexismus entscheidend zu Trumps Erfolg beigetragen und gewalttätige weiße Rassist*innen haben durch Trump Aufwind bekommen. Direkt nach der Wahl Trumps wurden über 1 000 rassistisch motivierte Gewalttaten registriert. Wenn wir Trumps Erfolg jedoch allein in diesem Kontext verstehen, kommen wir zu dem falschen Schluss, es habe in den USA einen generellen Rechtsruck gegeben und die weiße Bevölkerung sammle sich jetzt hinter Trump.

Das passt aber so gar nicht zu anderen Daten: 85 Prozent der Amerikaner*innen finden, dass Obamacare durch eine nationale Gesundheitsversorgung für alle ersetzt werden sollte. 60 Prozent befürworten die Anhebung des Mindestlohns auf mindestens 10 Dollar, 59 Prozent fordern 12 Dollar und 48 Prozent sogar 15 Dollar – politische Konzepte, die sowohl von den Republikanern als auch von den Demokraten geradezu verteufelt werden.

61 Prozent der US-Bürger*innen sind überzeugt, dass die Reichen zu wenig Steuern zahlen – im vorigen Jahr waren nur 52 Prozent dieser Meinung. 69 Prozent glauben, dass bezahlbarer Wohnraum wichtig ist. 63 Prozent finden, dass der Wohlstand ungleich verteilt ist. 50 Prozent der weißen Amerikaner*innen wissen, dass Schwarze von der Polizei schlechter behandelt werden und dass es noch viel zu tun gibt, ehe Gleichberechtigung erreicht ist. All dies passt nicht zu der Vorstellung eines rechtsradikalen weißen Amerikas. Wie aber können wir das Wahlergebnis dann erklären?

Beginnen wir mit der einfachen Tatsache, dass Millionen von Menschen gar nicht zur Wahl gegangen sind. Von den 238 Millionen Wahlberechtigten haben 60 Millionen für einen Rassisten und Sexisten gestimmt. Das ist schlimm – aber es heißt doch, dass Trump lediglich von einem Viertel der Wahlberechtigten gewählt wurde. Davon lässt sich nicht auf das Denken der Amerikaner*innen insgesamt schließen.

Das Versagen der Demokraten

Viele Medien und Analyst*innen bezeichnen die Entscheidung, nicht zur Wahl zu gehen, als Apathie. Das ist einfach und erspart einem die Frage, wie sich eine solche Gleichgültigkeit erklären lässt – gerade in einem Moment, in dem so viel auf dem Spiel steht. Um diese Wahlenthaltung zu verstehen, ist es deshalb nötig, sich auch die Demokratische Partei genauer anzusehen. Seit ihrem Wahldebakel haben die Demokraten wahlweise den Sender Fox News, das FBI, die sozialen Netzwerke oder Russland für ihre Niederlage verantwortlich gemacht. Es gibt kaum Versuche, sich dem eigenen politischen Versagen zu stellen. Warum scheitert ausgerechnet die Partei, die von sich behauptet, die kleinen Leute zu vertreten, regelmäßig an Fragen der Fairness und Gerechtigkeit? Hier geht es nicht um Kommunikationsprobleme. Die Niederlage ist vielmehr einer Politik zu verdanken, die sich voll und ganz der neoliberalen Logik verschrieben hat. Deshalb drehte sich Clintons Wahlkampf in erster Linie um das unangenehme Verhalten Trumps – und eben nicht um die Frage, was die Demokraten unternehmen könnten, um das Leben der Menschen besser zu machen. Clinton konnte schlecht behaupten, dass ihre Partei einen echten Richtungswechsel einleiten würde. Schließlich war sie es, die in den letzten acht Jahren an der Macht war. Also stellte sie eine dritte Wahlperiode Obama in Aussicht, ohne zu begreifen, dass das Millionen von Menschen nicht reichte. Als Obama antrat, tat er das mit dem Versprechen auf echte Veränderung. Wenn große Erwartungen und Hoffnungen nicht erfüllt werden, münden sie in noch größere Enttäuschungen. Natürlich stimmt es, dass die Republikaner jede Zusammenarbeit verweigert haben und Obama keinen Erfolg gönnen wollten. Aber das Hauptproblem war, dass Obama selbst die Prioritäten so gesetzt hatte, dass im Grunde alles beim Alten bleiben musste. Wenn man Markt, Privatisierungen und die Werte des Neoliberalismus so emphatisch befürwortet, schränkt das die Möglichkeiten wirklicher Veränderung massiv ein. Das heißt, wir können weder den Aufstieg Trumps noch des Trumpismus verstehen, wenn wir uns nicht mit den Fehlern der Demokraten beschäftigen. In jedem reaktionären Moment steckt das politische Versagen der gemäßigten Mitte. Das kleinere Übel hat noch immer dem größeren den Weg bereitet. Obamas Entscheidung, zweieinhalb Millionen Menschen aus den USA deportieren zu lassen, hat es Trump ermöglicht, diese Politik noch nachdrücklicher zu verfolgen. Förderte Obamas Regierung die Privatisierung von Schulen und höhlte dabei das öffentliche Erziehungswesen aus, so wird Trump dies mit noch größerem Eifer verfolgen. Wir müssen uns auch fragen, warum die größte Protestaktion gegen die Amtseinführung von Trump von Frauen organisiert wurde, die sich gar nicht als Aktivistinnen sehen und ihre Demonstration auch nicht als Protest verstanden wissen wollen, während die größten politischen Organisationen im Land nach wie vor orientierungslos sind und völlig unfähig, Trump etwas entgegenzusetzen. Es sind diese Organisationen, die uns gleichzeitig weismachen wollen, dass wir nun um jeden Preis die Demokratische Partei unterstützen müssen, um den verrückten Republikanern Einhalt zu gebieten. Die Parteiführung erwartet, dass die Arbeiterklasse und die Armen schweigend leiden und Demokraten wählen. Natürlich, Trump ist eine Katastrophe für die Arbeiterklasse. Aber die Demokraten waren nicht viel besser: eine Katastrophe in kleinen Schritten.

All jene, die nicht mehr angelogen werden wollen und sich vorgenommen haben, eine Partei, die ihnen nicht hilft, auch nicht mehr zu wählen, werden nun beschimpft. Etwa wenn das schlechte Wahlergebnis auf die niedrige Wahlbeteiligung in armen und vorwiegend schwarzen Wohngebieten geschoben wird. Aber auch, wenn die liberale Mittelschicht die weiße Arbeiterklasse beschuldigt, »gegen ihre eigenen Interessen zu wählen« – als ob eine Entscheidung für die Demokratische Partei für sie einen Unterschied gemacht hätte.

Keine Wahl

Die Interessen der Arbeiterklasse finden sich bei unseren Wahlen auf keinem Stimmzettel. Solange man nur zwischen zwei Parteien wählen kann, läßt sich Unmut nur auf drei Arten ausdrücken: Man kann sich für die eine Partei entscheiden, für die andere, oder beide ablehnen. Wer jedoch behauptet, ein Großteil der Menschen sei entweder reaktionär oder politikverdrossen, weil er sich für die Präsidentschaftswahlen nicht interessiert, der begreift nicht, was momentan in diesem Land passiert. Viele Menschen sind verärgert, geradezu angewidert vom politischen Status quo. Die Occupy-Bewegung, #BlackLivesMatter, der beeindruckende Widerstand gegen die Pipeline in North Dakota und die 13 Millionen Menschen, die für Bernie Sanders gestimmt haben – sie alle sind ein deutlicher Beweis dafür. Wenn die Probleme so groß werden, dass sie sich nicht länger ignorieren lassen, wenn Millionen von Menschen plötzlich einen Sozialisten wählen, oder wenn Schwarze in den Straßen protestieren und randalieren, dann sind die Medien gezwungen, Erklärungen zu liefern. In der Regel werfen sie dann Schlaglichter auf den einen oder anderen Aspekt, selten wird daraus jedoch ein vollständiges Bild. Ich will dies an vier Nachrichtenmeldungen aus dem vergangenen Jahr illustrieren. Die erste betrifft den Drogenkonsum in diesem Land. Zwei Millionen Menschen in den USA sind opiatabhängig, davon überdurchschnittlich viele Weiße. Zwischen 2009 und 2014 sind fast eine halbe Million Menschen daran gestorben, etwa viermal so viele wie 1999. Die zweite Meldung betrifft den Rückgang der Lebenserwartung weißer Frauen. Noch nie war in einem Land der sogenannten Ersten Welt die Lebenserwartung rückläufig. In vergleichbaren Ländern außerhalb der USA nimmt die Lebenserwartung weiter zu.

Warum also geht sie hier bei weißen erwerbstätigen Frauen zurück? Weil immer mehr an einer Überdosis sterben, sich das Leben nehmen oder alkoholabhängig werden. Die dritte Meldung betrifft steigende Zahlen an Schießereien und Morden in schwarzen Wohnvierteln von Chicago. Im Jahre 2016 wurden dort 4 379 Menschen bei Schießereien verletzt, 797 davon sind gestorben. Die überwältigende Mehrheit waren Schwarze. Die idiotischen Medienberichte behaupten, es handle sich um Racheakte. Dies ist in etwa so zutreffend wie wenn Politiker*innen die Gewalt damit erklären, dass schwarze Jugendliche keine Vorbilder hätten oder ihre Eltern versagten. Was so gut wie nie angesprochen wird: dass in Chicago so viele Schwarze arbeitslos sind wie in keiner anderen Stadt des Landes, nämlich ein Viertel der Bevölkerung; dass die Hälfte der schwarzen Männer zwischen 20 und 24 weder einen Ausbildungs- noch einen Arbeitsplatz hat; dass die Stadt die dritthöchste Armutsquote des Landes aufweist und dass in keiner anderen Stadt der USA Schwarze und Weiße räumlich so getrennt leben. Die letzte Meldung betrifft das Schrumpfen der sogenannten Mittelschicht. In den 1970er Jahren gehörten 61 Prozent der US-Bürger*innen dieser Kategorie an. Heute ist die Zahl unter 50 Prozent gesunken, aufgrund der wachsenden Ungleichheit. Allein im letzten Jahr ist das Einkommen des reichsten Prozents der Bevölkerung um sieben Prozent gestiegen, das der reichsten 0,1 Prozent um neun Prozent. Ganz ähnlich sieht es aus, wenn man sich das Vermögen von Haushalten anschaut: Die 20 reichsten Prozent verfügen über 84 Prozent des Reichtums, während den unteren 40 Prozent weniger als ein Prozent gehört. Die Medien wollen uns weismachen, dass all das vor allem mit dem Rust Belt <ref>Rust Belt (»Rostgürtel«) bezeichnet die älteste Industrieregion der USA, gelegen im Nordosten um die Großen Seen. Seit ihrem Niedergang ab den 1970ern steht Rust Beltfür wirtschaftlichen Niedergang, Arbeitslosigkeit und die Verslummung der Städte, Anm. d. Red.</ref> zusammenhängt und mit den abgehängten weißen Arbeiter*innen. Tatsächlich ist es aber auch die Geschichte von rund 240.000 schwarzen Familien, deren Häuser in den letzten acht Jahren zwangsversteigert wurden. Es ist auch die Geschichte von Schulschließungen in Großstädten und dem radikalen Abbau von Stellen für schwarze Erzieher*innen und Lehrer*innen.

Wir sind viele

Über diese vier Entwicklungen, die ich hier genannt habe, ist in den letzten Jahren viel berichtet worden, jedoch immer getrennt voneinander. So entsteht der Eindruck, es handle sich hier um verschiedene Gruppen, die sich grundlegend unterscheiden. Was aber passiert, wenn wir diese Nachrichten zu einer einzigen Geschichte zusammenführen? Dann verstehen wir plötzlich, dass es nicht nur eine Gruppe ist, die unter Ängsten, Erschöpfung und Enttäuschung leidet – sondern dass sehr viele von diesen Entwicklungen betroffen sind. Dann können wir verstehen, dass im Ringen um eine andere Gesellschaft für die weiße Normalbevölkerung genauso viel auf dem Spiel steht wie für alle anderen. Wir würden ihr Elend nicht mehr so gleichgültig abtun und

behaupten, dass sie angeblich nicht im gleichen Maß leiden wie wir Schwarze oder People of Colour. Vielleicht würden wir erkennen, dass der Vorteil weißer Hautfarbe in einem Land, in dem 19 Millionen Weiße in Armut leben, gar nicht so weit reicht. Anscheinend verhindert Weißsein allein nicht, dass sich Millionen zu Tode trinken und an Drogen sterben. Wenn wir all diese Meldungen zu einem Narrativ verbinden, verstehen wir besser, warum sich Sozialismus einer wachsenden Beliebtheit erfreut und warum Menschen in den letzten Jahren immer wieder auf die Straße gehen, um gegen zunehmenden Rassismus und ökonomische Ungleichheit zu protestieren. In diesem Land gibt es 400 Milliardär*innen. Sie sind der Grund dafür, dass es 47 Millionen Arme gibt. Unsagbaren, widerlichen Reichtum gibt es nicht ohne unbeschreibliche, widerliche Armut. Dies ist das Gesetz des freien Marktes.

Aber wie gelingt es dem einen Prozent, so an seinem Reichtum festzuhalten, wo wir doch so viele sind? Rassismus, die Verteufelung von Migrant*innen, Homophobie und Transphobie, Sexismus, Nationalismus – all das bringt uns dazu, uns gegenseitig zu beharken, während sie ihren Reichtum anhäufen. Aber das Wissen um Rassismus, Ungleichheit, Armut und Ungerechtigkeit allein reicht nicht. Für den Kampf um eine sozialistische Zukunft brauchen wir politische Programme und Werkzeuge, müssen wir uns zusammenschließen, um handlungsfähig zu werden.

Hillary Clinton hat einen Wahlkampf der niedrigen Erwartungen geführt. Es ging darum, dass die Durchschnittsbürgerin ihre Hoffnungen nicht zu hoch ansetzen solle. Bernie Sandersʼ Wahlkampf hingegen hat Begeisterung ausgelöst, weil er zu Recht viel gefordert hat. Sein jetziges Bekenntnis zur Demokratischen Partei droht allerdings, diese politische Revolution leerlaufen zu lassen. Zu hoffen, dass sich die Demokratische Partei für eine Umverteilung von Ressourcen einsetzen wird, ist so sinnvoll wie die Hoffnung, Orangensaft aus einem Apfel pressen zu können. Wir müssen unabhängige Organisationen und politische Parteien gründen, die nicht mit den Demokraten verbunden sind und die die Hochs und Tiefs der Wahlzyklen überdauern. Wir müssen Organisationen aufbauen, die demokratisch sind, multiethnisch, militant und gleichzeitig auf solidarischem Handeln basieren. Solidarität heißt dann, sich gemeinsam darüber klar zu werden, dass unser Schicksal uns verbindet und dass jenseits ganz unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen die Befreiung der einen von der Befreiung aller abhängt.

Eine andere Welt ist möglich. Eine andere USA ist möglich, aber nur, wenn wir uns organisieren und dafür kämpfen. Zum Schluss möchte ich noch aus einer Botschaft zitieren, die am Tage der Amtseinführung an der Eingangstür der Kita meines Sohnes hing. Dort hieß es: »Nicht verzweifeln. Halte die Augen weit offen. Wir sind viele. Bleib zuversichtlich und stark.«

Der Text erschien zuerst bei Verso in: Gopal, Anand et al., 2017: The Anti-Inauguration. Building resistance in the Trump era.

Aus dem Amerikanischen von Gerhard Wolf