| Kampf der Giganten. Streitbare Imperialismustheorien

Von Ingo Schmidt

Konzernherrschaft, Kapitalexport und Krieg – um diese Themen kreiste die marxistische Imperialismusdebatte des frühen 20. Jahrhunderts. Dahinter stand die politische Frage, wie die sozialistische Arbeiterbewegung auf koloniale Expansion und zunehmende Spannungen zwischen den Kolonialmächten reagieren sollte. An die Stelle formaler Kolonien sind seither verschiedene Formen imperialistischer Herrschaft getreten und die sozialistische Arbeiterbewegung wurde zuerst sozialstaatlich befriedet und danach den Anforderungen internationaler Wettbewerbsfähigkeit unterworfen. Konzernherrschaft, Kapitalexport und Krieg aber sind geblieben. Insofern ist es durchaus naheliegend, bei der Analyse des heutigen Imperialismus und Kapitalismus und dem Nachdenken über einen politischen Neubeginn nach dem Scheitern der Sozialismen des 20. Jahrhunderts auf die alte Debatte zurückzugreifen. Nicht so, als stünde dort schon alles und man müsse nur die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Sondern gerade, weil in der historischen Darstellung des Imperialismus und Kapitalismus in den entsprechenden Debattenbeiträgen deutlich wird, dass Konzernherrschaft, Kapitalexport und Krieg heute ganz andere Formen angenommen haben als im frühen 20. Jahrhundert.
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| Unter Marx’ Banner. Ungelöste Probleme von Theorie und revolutionärer Realpolitik

Von Michael Brie

Auf dem Gründungsparteitag der KPD am 31. Dezember 1918 hielt Rosa Luxemburg die letzte öffentliche Rede ihres Lebens. Das Parteiprogramm begründend rief sie: »Nun, Parteigenossen, heute erleben wir den Moment, wo wir sagen können: Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner.« (Luxemburg 1918a, 494) Sie machte aber auch deutlich, welcher Marx gemeint war – nämlich der von 1848 und nicht jener Marx, dessen Vorstellungen zur Grundlage der Strategie der SPD in den 1880er und 1890er Jahren geworden war. Beide unterschieden sich ihrer Ansicht nach hinsichtlich des Verhältnisses von kurz- und langfristigen Zielen.
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| Unterdrückte aller Länder… Warum Sozialismus internationalistisch sein muss

Von Michael Löwy

Unter marxistischen Vordenker*innen gibt es nur wenige, die sich einer internationalistischen Agenda des Sozialismus so sehr verpflichtet fühlten wie Rosa Luxemburg. Sie war jüdisch, polnisch und deutsch, aber ihr einziges »Mutterland« war die Sozialistische Internationale. Dennoch verleitete ihr radikaler Internationalismus sie auch zu fragwürdigen Positionen in der nationalen Frage. Was ihr Geburtsland Polen angeht, stellte sie sich zum Beispiel nicht nur gegen die von den »Sozialpatrioten« der Polnischen Sozialistischen Partei von Piłsudski erhobene Forderung nach nationaler Unabhängigkeit, sondern lehnte auch die Unterstützung eines polnischen Rechtes auf Selbstbestimmung (und auf Abspaltung von Russland) ab. Bis 1914 begründete sie diese Haltung vor allem »ökonomistisch«: Polens Wirtschaft sei gut in die russische integriert, die Unabhängigkeit eine rein utopische Forderung von reaktionären aristokratischen und kleinbürgerlichen Schichten. Für sie waren Nationen im Wesentlichen »kulturelle« Phänomene, weshalb sie »kulturelle Autonomie« als die angemessene Antwort auf nationalistische Bestrebungen ansah. Was in ihrem Ansatz gar nicht vorkommt, ist jedoch die politische Dimension der nationalen Frage, die Lenin hervorgehoben hat: das demokratische Recht der Völker auf Selbstbestimmung.
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| Luxemburgismus. Geschichte einer politischen Verfolgung

Von Holger Politt

Mit dem Kampfbegriff Luxemburgismus wurde versucht, spezifische Merkmale im politischen Denken Rosa Luxemburgs zusammenzufassen. Dabei ging es darum, sie aus dem nach Lenins Tod in der Sowjetunion und in der Kommunistischen Internationale kanonisierten Marxismus-Leninismus auszuschließen. Der Ausdruck war von Anfang an pejorativ gemeint, denn keiner der damaligen Anhänger*innen Luxemburgs wäre auf die Idee gekommen, ihr Denken auf diese Weise zu charakterisieren. Zu sehr galt sie als umstrittene, streitbare, indes konsequente Marx-Schülerin. Der Begriff machte also nur Sinn aus Sicht eines neu geschaffenen ideologischen Konstrukts, des sogenannten Marxismus-Leninismus. Dieser sollte einerseits den Bruch Lenins mit zentralen Elementen der Marx’schen Lehre bemänteln, andererseits den Anspruch durchsetzen, dass es sich hierbei um eine legitime und logische Weiterentwicklung der Marx’schen Theorie handelt. Mit der Diskreditierung vermeintlich »luxemburgistischer« Strömungen verbindet sich ein nur wenig bekanntes Kapitel der Bolschewisierung und politischen Verfolgung insbesondere polnischer Kommunist*innen. Die Aufarbeitung dieser Geschichte erinnert auch an den oft vergessenen Einfluss Luxemburgs auf die kommunistischen Bewegungen im Nachbarland.
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| Radikalität und Sanftheit. Rosa Luxemburg als sozialistische Feministin

Von Drucilla Cornell

Wenn es bei Rosa Luxemburg einen Grundtenor gibt, dann die Rebellion gegen jede Herrschaft des Menschen über den Menschen. Die jamaikanische Philosophin Sylvia Wynter hat gezeigt, wie koloniale Herrschaft auf der Unterscheidung und Hierarchisierung zweier Typen von Menschen (»Man1« und »Man2«) basieren. Dabei geht es stets um die Frage, wem eine Seele und volle Menschlichkeit zugesprochen wird und wem nicht. Luxemburgs Konzepte sind eng verknüpft mit dem Projekt, diese Unterscheidung im Namen einer menschlichen Praxis zu überwinden – und damit auch Imperialismus, Kolonialismus und Kapitalismus.
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| Innere Kolonien. Care als Feld einer »neuen Landnahme«

Von Tove Soiland

Neoliberalismus ist mehr als die Privatisierung von Bahn, Strom und Post. Ebenso wenig kann er auf die Deregulierung von Arbeitsmärkten, die globale Handelsliberalisierung und die damit verbundene Dominanz des Finanzkapitals reduziert werden. Der Neoliberalismus ist auch und vielleicht sogar vorrangig eine fundamentale Restrukturierung der Art und Weise, wie Menschen sich reproduzieren müssen. Angesichts der heute weltweit sich mehrenden Proteste von Frauen, die zu Generalstreiks aufrufen (vgl. LuXemburg 2/2018), stellt sich für eine linke Politik die Frage, ob sich gegenwärtig nicht genau hier die wichtigsten antikapitalistischen Kämpfe formieren.


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| Fünfzehn Tage, die die Welt erschütterten – die Januarkämpfe 1919 und die Morde an Luxemburg und Liebknecht

Von Ingar Solty

Die Novemberrevolution von 1918 war im Grunde keine. Erst im Zusammenhang mit der weitergehenden, zweiten Revolution Anfang 1919 und der Kontextualisierung der deutschen Ereignisse in einem globalen Revolutionszyklus zwischen 1916 und 1923 erscheint sie als solche.

Friedrich Ebert wollte sie nicht. Alle zentralen Errungenschaften – allgemeines Wahlrecht, Frauenwahlrecht usw. usf. – waren vom Kaiserreich, das politisch massiv geschwächt war, bereits selbst vorgeschlagen worden. Diejenigen Maßnahmen, die 1918 möglich, nötig und populär gewesen wären, nämlich die »Aufteilung des Großgrundbesitzes; revolutionäre Sozialisierung der Industrie; Personalreform der Verwaltung und der Justiz«, wurden als »Möglichkeiten […] ausgelassen«, so der Schriftsteller Kurt Tucholsky 1928 (GW 1, 30).
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| Rudern gegen den Strom. Lehren und Lernen mit Rosa Luxemburg

Von Miriam Pieschke

Es gibt viele ikonische Bilder von Rosa Luxemburg. Eines zeigt sie an der SPD-Parteischule, wo sie ab 1907 Dozentin war. Luxemburg steht links am Rand, außer ihr sind kaum Frauen im Bild. Während ihre Freundin Clara Zetkin ausgebildete Lehrerin war, hatte Luxemburg keinen pädagogischen Hintergrund. Doch ein Blick in ihre Texte zeigt, was sie für diese Tätigkeit neben ihrem Wissen und analytischen Scharfsinn qualifizierte: ihre Fähigkeit, Zusammenhänge darzulegen und Sachverhalte zu erklären.
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| Eine neue Zivilisation

Von Alex Demirović

Rosa Luxemburg löst bis heute unversöhnliche Reaktionen aus. Vielen in der Führung der SPD war sie zu radikal und zu demokratisch. Das war auch unter ihren Nachfolgern in der Führung der KPD der Fall. Von Ruth Fischer wurde ihr Verständnis von Freiheit als Freiheit der anderen als ein »Syphilisbazillus« diskreditiert. Aus demselben Grund schloss Ernst Thälmann sich dem Urteil Stalins an, demzufolge der »Luxemburgismus« aufs Schärfste zu bekämpfen sei, weil er einen Übergang zur bürgerlichen Ideologie und zum Sozialfaschismus bilde (vgl. Bierl 1993, 9f). Der Extremismusforscher Eckhard Jesse wiederum kritisiert, dass Luxemburg aufgrund ihrer Kritik an Lenin und ihres Freiheitsverständnisses vielen Linken als eine Art Lichtgestalt und Vertreterin eines demokratischen Sozialismus gelte. Doch viele hätten sich nur Illusionen gemacht.
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| »Wer weitergeht, wird erschossen!«

Von Jörn Schütrumpf, Ingar Solty und Uwe Sonnenberg

Warum die soziale Revolution 1918/19 scheiterte

Es ist eines der aussagekräftigsten Bildmotive aus dem Revolutionsgeschehen 1918/19 in Deutschland. Soldaten halten ein Schild, darauf unmissverständlich die Warnung aufgedruckt: »Wer weitergeht wird erschossen!« HALT! rufen sie und sperren damit öffentliche Plätze ab. Seit Januar 1919 finden sich solche Aufforderungen in Deutschland.
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