| Wie ich feministische Sozialistin wurde

von Hilary Wainwright

Lieber als über sozialistischen Feminismus möchte ich hier über feministischen Sozialismus sprechen. Als Studentin in Oxford war ich 1970 an der ersten Konferenz der Neuen Frauenbewegung im Ruskin College dabei. Meine ganze Welt geriet damals aus den Fugen. Bis zu diesem Punkt war meine Sicht auf die Welt ziemlich hierarchisch gewesen. Für Frauen hieß das, es ging darum, innerhalb des Systems aufzusteigen. Der aufkommende Feminismus brachte all das durcheinander. Er forderte jede Hierarchie grundlegend heraus.
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| Trumpiness

von Tadzio Müller

»Postfaktisch« ist das Wort des Jahres und ein mythomanischer Protofaschist wurde ins Weiße Haus gewählt. (Fast) die Mehrheit der US-Wähler*innen unterstützte Donald Trump, obwohl er ständig der Halbwahrheiten und eklatanten Lügen überführt wird. Warum ist das so?

Eine Erklärung ist, dass es sich um eine Reaktion auf die Ungleichheit in den USA, den Legitimitätsverlust des Systems und die Arroganz der Elite handelt. Das trifft sicher zu, ist jedoch bestenfalls eine Teilerklärung. Woher käme sonst der frenetische Jubel bei den Wahlveranstaltungen von Trump? Wäre er lediglich der Kandidat des Anti-Establishments, hätten die Leute auch die Grüne Jill Stein oder den libertären Gary Johnson unterstützen können.

Eine weitere Interpretation wäre, dass Politiker*innen immer lügen, Leute diesen Lügen auf den Leim gehen und Trumps Lügen die reaktionären Ansichten seiner Unterstützer*innen bedienen. Das mag auf einen Teil seiner Basis zutreffen, gilt aber sicher nicht für alle Trump-Wähler*innen. Und es ignoriert eine häufig beschriebene Tatsache: »Viele seiner Unterstützer glauben die wilden Behauptungen von Trump nicht – aber es ist ihnen egal«, wie die Washington Post schreibt (Johnson 2016). Sie unterstützen ihn nicht wegen, sondern trotz seiner Positionen. Ihnen geht es nicht um ›Inhalte‹, was wiederum erklärt, warum es Trump nicht schadet, wenn er der Lüge überführt wird.

post-truth-politics

Es geht um viel mehr als einen lügenden Politiker. Trumps politischer Diskurs ist ein ideales Beispiel dessen, was in Deutschland postfaktische Politik genannt wird. Der englische Begriff post-truth politics, also Postwahrheitspolitik, geht aber darüber hinaus – denn Wahrheiten sind mehr als Tatsachen. Während der deutsche Begriff den Eindruck vermittelt, dass hier lediglich bestimmte Fakten infrage gestellt werden, der bürgerlich-aufklärerische Kontext, in dem diese existieren, aber weiter besteht, so verweist der englische Begriff darauf, dass der ganze konzeptionelle Rahmen, in dem Fakten erst Sinn machen, ins Wanken gerät. Trumps politische Statements artikulieren keine klassischen Wahrheitsansprüche mehr. Deshalb können sie auch nicht mit den traditionellen Waffen der Ideologiekritik bekämpft werden. Für eine Konstellation, in der Trump inhaltlich sagen kann, was er will, um im nächsten Atemzug das Gegenteil zu behaupten – und in der ihm dies nicht schadet –, hat der Comedian Stephen Colbert in seiner Satiresendung »Late Show« den Begriff »Trumpiness« geprägt (Colbert 2016).

Dieser neuerliche Strukturwandel der Öffentlichkeit bedarf mehr als einer bloß technischen Erklärung à la ›Filterblasen in sozialen Medien‹. Er ist eminent politisch: Das Establishment hat die politische und mediale Wahrheitsproduktion wissenschaftlich und durch unzählige ›Expertenrunden‹ untermauert, um über Jahrzehnte eine Politik gegen die Interessen der gesellschaftlichen Mehrheiten durchzusetzen. Wahrheiten wurden so für viele gefährlich, wurden zu einer abzulehnenden Ideologie. So konnte der Tory Michael Gove im Brexit-Wahlkampf behaupten: »Die Leute haben genug von Experten!«

Die Unterstützer*innen Trumps folgen keinem Kandidaten, der sein politisches Programm rational begründet, der an ihre ökonomischen Interessen appelliert. Sie folgen einem, der fühlt, was sie fühlen, die Wut und die Enttäuschung, aber vor allem und vielmehr: das Begehren nach Anerkennung, danach, wieder dazuzugehören, etwas zu sein – über Handlungsmacht zu verfügen. »Make America(ns) feel great again.« Für Colbert ist Donald Trump deshalb der Politiker der Zeit: »ein emotionales Megafon für Wähler voller Wut« (ebd.). Sein Agieren stellt affektive Resonanzen her. Seine Unterstützer*innen bejubeln nicht den Inhalt seiner Sätze, sondern die Tatsache, dass dort jemand steht, der ihnen ein Gefühl von Stärke und Relevanz gibt, das sie seit Jahrzehnten nicht mehr gespürt haben. Owen Jones erinnert uns daran, dass Wähler*innen vor allem durch »moralische Identitäten und Werte« motiviert würden, auch wenn dies bedeutet, gegen ihre ökonomischen Interessen zu stimmen. Die Linke, so Jones jüngst im Guardian, lebte dagegen oft im Irrglauben, »dass es ausreichen würde, den Leuten die Fakten ins Gesicht zu schreien«, um sie zu überzeugen (Jones 2016).

Trotz alledem im Lebensrausch

Natürlich ist das alles nicht neu. Schon Spinoza argumentierte im »Tractatus politicus«, dass Menschen »mehr von Leidenschaft als Vernunft geleitet sind«. Es stellt aber die Linke vor enorme Herausforderungen. Wir können die rationale Begründung unserer Politik nicht preisgeben und müssen sie doch verbinden mit einer Politik, die es mit dem Gefühl der Ermächtigung aufnehmen kann, welches die Trump-Kampagne und andere Rechtspopulist*innen offensichtlich produzieren. Die Bernie-Sanders-Kampagne hat die Bedeutung von Emotionen und Leidenschaften erkannt. Entsprechend hieß es nicht »I agree with the Bern«, sondern »I FEEL the Bern«.

Eine attraktive linke Politik auf der Höhe der Zeit muss ihre spätaufklärerische Vorsicht und Skepsis gegenüber Körpern und ihren Affekten abschütteln. Sie muss, mit Rosa Luxemburg, trotz alledem im Lebensrausch stehen.

Literatur

Colbert, Stephen, 2016: The Word: Trumpiness, The Late Show, 18.7.2016, www.youtube.com/watch?v=NqOTxl3Bsbw

Johnson, Jenna, 2016: Many Trump supporters don’t believe his wildest promises – and they don’t care, in: The Washington Post, 7.6.2016

Jones, Owen, 2016: The left needs a new populism fast. It’s clear what happens if we fail, in: The Guardian, 10.11.2016

| Donald Trumps Wahrheitspolitik des Geldes

von Jodi Dean

Donald Trump zerreißt den ideologischen Schleier der amerikanischen Politik und gibt den Blick auf eine dahinter liegende Wahrheit frei – eine bizarre Wahrheit des Genießens: Wo andere Kandidaten an eine fiktive Gemeinschaft appellieren oder den Anschein von moralischer Integrität zu erwecken versuchen, zelebriert er die Macht der Ungleichheit. Geld öffnet Türen – warum dies verschweigen? Geld schafft Gelegenheiten – für jene, die es besitzen. Geld erlaubt es, noch die niedrigsten Begierden öffentlich zur Schau zu stellen – zumindest jenen, die viel Geld haben. Es ist nicht nötig, verpönte Triebe zu verheimlichen, wenn es doch niemanden gibt, vor dem man sich schämen müsste – man könnte es das Berlusconi-Prinzip nennen.

Während Trump die Macht des Geldes in der aktuellen amerikanischen Politik offenlegt, ermöglicht, stimuliert und verbreitet er einen bestimmten Genuss (jouissance). Trump bedient sich eines offenen Rassismus und Sexismus, einer Verachtung und Überheblichkeit, die – so zumindest verlangt es jede Form von Höflichkeit und politischer Korrektheit – eigentlich zu unterdrücken wären. Sein Handeln zeigt, was ökonomische Ungleichheit wirklich bedeutet: Höflichkeit ist was für die Mittelschicht, ein normativer Rahmen, der die Wut der Enteigneten und die Verachtung der Enteigner*innen einhegt. Die 0,1 Prozent haben es nicht nötig, so zu tun, als kümmere sie das.

Stellvertretende Ermächtigung

Diese Freiheit von jeder Form von Anstand und das Privileg, seine Überlegenheit ganz offen auszuleben, löst unterschiedliche Reaktionen aus. Alle ermöglichen es jedoch, dieses aktuelle politische Schauspiel in der einen oder anderen Form zu genießen, sich daran aufzugeilen. Manche derer, die ausgebeutet und schlecht bezahlt werden, genießen durch Trump. Er gibt ihnen nicht nur die Erlaubnis, ihrem Rassismus, Sexismus und Hass freien Lauf zu lassen, sie wähnen sich selbst im Besitz seiner Macht und stellen sich vor, jene feuern oder erniedrigen zu können, die ihnen nicht in den Kram passen. Das haben sie in seinen Fernsehsendungen gelernt. Dort haben sie sich auch eine Form des Urteilens und Verurteilens angewöhnt, die nun einfach aus dem Abendprogramm in die Politik umzieht.

Konformistische Rebellion

Andere finden es gut, wie Trumps Brutalität und Direktheit die Lügengebäude, zu denen die traditionellen Parteien verkommen sind, erschüttert und aus dem Tritt bringt. Er zieht genau die Leute über den Tisch, von denen sie über den Tisch gezogen werden. Je öfter Trump Frauen als »Schlampen«, »Hunde« und »Schweine« beschimpft, desto mehr lieben sie seine Art (und dieses ›sie‹ kann durchaus auch manche Frau einschließen). Je beleidigender sein Rassismus, umso besser kommt er an. Trump hat keine Angst, der er nachgeben würde – er ist nicht einmal verärgert. Sein Verhalten gehört zum Geschäft, es macht Sinn, es ist, wie es ist. Als ›echter Amerikaner‹ lässt Trump den obszönen Impulse ihren Lauf, die zu unterdrücken einfach zu anstrengend ist.

Liberale Distinktion

Die bürgerliche Mitte wiederum genießt ihre Empörung. Schließlich bestätigt Trump, wie richtig sie liegt in ihrer Abscheu vor den Wähler*innen der Republikanischen Partei – in Wirklichkeit ist ihre Abscheu jedoch die Verachtung der Arbeiterklasse als solche. Indem sie Trump dazu benutzen, ihr eigenes Selbstwertgefühl zu steigern, bilden sie dessen Verachtung auf einer anderen Ebene ab. Er ist nicht nur ein Kandidat, den sie genüsslich hassen können, sondern er erlaubt es ihnen auch, ihren Hass auf all diejenigen auszuweiten, die Trump unterstützen und keine Millionäre sind: Vor allem diese müssen ihrer Meinung nach wirkliche Idioten sein.

In einer Plutokratie regieren die Plutokraten. Die Republikaner mögen Trump deshalb nicht, weil er diesen Umstand nicht hinter Fahne oder Fötus versteckt. Fahne und Fötus spielen für ihn durchaus eine Rolle, in seiner Wahrheits-Politik sind sie aber nebensächlich. Wer Geld besitzt, gewinnt. Wer keines hat, verliert. Gewinner*innen können machen, was sie wollen, Verlierer*innen müssen es ertragen. Trump entfesselt Triebkräfte, die der amerikanische Wahlkampf normalerweise in vorgezeichnete Bahnen zu lenken versucht – seine Politik des Genusses.

Der Text erschien am 15. August 2016 bei In These Times. Aus dem Englischen von Gerhard Wolf

| »Ich bin New York« Bilanz des kommunalen Personalausweises in New York City

Von Henrik Lebuhn

»Ich bin New York.« In allen nur erdenklichen Sprachen steht der Satz auf den Postern, die derzeit überall in New York hängen: in Schulen, an Bushaltestellen, in Cafés, Nachbarschaftsläden und Bibliotheken. Die vielen unterschiedlichen Gesichter, die von den Postern lachen, erinnern ein bisschen an die Multikulti-Werbung von Benetton. Ganz unten steht in leuchtendem Orange: »Hol’ dir heute noch deinen Stadtausweis!«
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| Ihr repräsentiert uns nicht. Demokratie von rechts und links

Von Alex Demirović

Über die Formen und Praktiken einer linken, sozialistischen Demokratietheorie und -politik nachzudenken bedeutet, Alternativen zu bestehenden Formen von Demokratie zu skizzieren. Das ist ambivalent, denn solche Vorschläge können jene, die künftig über ihre Form des Zusammenlebens frei entscheiden wollen, begrenzen. Gleichzeitig ist es notwendig solche Vorschläge zu machen, um die Richtung einer demokratischen Transformation zu bestimmen.
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| AUSGEHÖHLT. DIE TEA PARTY, EIN ERDSTURZ IN LOUISIANA UND DIE ABGRÜNDE AMERIKANISCHER POLITIK

Von Arlie Russell Hochschild

Manchmal muss man einen langen Weg zurücklegen, um auf Wahrheiten zu stoßen, die im Grunde sehr nahe liegen. In den letzten fünf Jahren habe ich genau dies getan: Ich verließ meine vorzeigeliberale Heimatstadt Berkeley in Kalifornien und begab mich auf eine Reise zu den Bayous, in das Louisiana der Tea Party, wo ich ein anderes Amerika entdeckte. Von dieser Reise bringe ich ein Gleichnis aus dem wahren Leben mit. Es handelt von einem Mann, der viele der Widersprüche unserer Trump’schen Welt in sich vereint.
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| Die alte Tante. Zur Erneuerungs(un)fähigkeit der Sozialdemokratie

Von Mario Candeias

Müssen wir wieder von vorn anfangen? Ausgehend von den Impulsen der Arabellion (vgl. LuXemburg 2/2011) hatte 2011 mit den Platzbesetzungen ein Bewegungszyklus begonnen, der in der Krise eine neue Hoffnung auf Veränderung in die Welt brachte. Am deutlichsten wurde dies in den Demokratiebewegungen der Empörten des 15M in Spanien, auf dem Syntagma-Platz in Griechenland und bei Occupy Wall Street in den USA. Ist dieser Bewegungszyklus an sein Ende gekommen? Ich denke, nein.
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