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Blockupy und weiter

Von Thomas Seibert

Anmerkungen zu einer Mobilisierung, die konstituierender Prozess werden will

Die Blockupy-Bewegung geht in diesem Jahr in ihre dritte und bisher wichtigste Runde. Wie schon 2012 und 2013 wird sie auch diesmal eine Frankfurter und zugleich eine deutschland- und europaweite Angelegenheit sein. Darin liegt ja ihr leider noch nicht überall verstandener Witz. Den Auftakt bilden die europäischen Aktionstage im kommenden Mai, die am 15. Mai, dem Jahrestag der spanischen 15M-Bewegung, beginnen. Zwei Tage später folgen Demonstrationen in Hamburg, Berlin, Stuttgart und Düsseldorf, eingebettet in eine Vielzahl von Demonstrationen überall in Europa. Ihr Abschluss am 25. Mai fällt mit der Europawahl zusammen.

Ein dichtes Programm, das für Blockupy selbst auch mobilisierenden Charakter hat. Denn irgendwann gegen Jahresende wird die Europäische Zentralbank (EZB) ihr neues Frankfurter Domizil beziehen, ihren von überall sichtbaren Twin Tower, der nicht nur seine nächste Umgebung – ein einstmals proletarisches Viertel – in seinen Schatten stellen wird. Die imperialen Eliten müssen die Eröffnung ihrer Kontinentalkanzlei feiern und den Einzug zu einem Spektakel mit europaweiter Ausstrahlung machen – komme was und wer da wolle. Blockupy will und muss Mittel und Wege finden, die Einweihung der Twin Tower zum Debakel werden zu lassen.

2012/2013: Wie sollen wir da mithalten?

Blockupy ist aus einer doppelten Verlegenheit entstanden. Die erste betraf und betrifft die Linke in Deutschland und liegt in dem Umstand, dass es hier gelungen ist, die Mehrheit der Gesellschaft, alle politischen Parteien (außer der LINKEN) und die maßgeblichen Gewerkschaften (voran die IG Metall) in die Troika-Politik einzubinden. Zwar ist man in Deutschland nicht glücklicher als anderswo, doch leben die meisten hier vergleichsweise geschützt – während in Griechenland, Spanien und Portugal bereits gehungert und aus Mangel an medizinischer Grundversorgung gestorben wird. Was im Einzelfall des privaten Lebens verständlich sein mag, ist politisch eine Fatalität, die bislang nicht aufzubrechen war.

Zum Global Action Day 2012, angesetzt auf den 12. Mai, hätte die Linke in Deutschland deshalb kaum etwas beizusteuern gehabt. In dieser Situation kam eine ältere Idee zum Zug, sich das Missverhältnis zwischen der imperialen Bedeutung der Stadt Frankfurt und der räumlichen Enge ihres Bankenviertels zunutze zu machen. Besetzte man wochentags, so die Überlegung, dessen zentrale Verkehrsachsen und rief damit ein paar Tausendschaften Polizei auf den Plan, wäre die Stadt unter Mithilfe der Staatsmacht effektiv blockiert. Führte man diese Aktion, nicht am Global Action Day, sondern ein paar Tage später aus, würde sie nicht nur symbolisch wettmachen, was man an Teilnehmermasse nicht hätte anbieten können.

Wie man weiß, ist diese Idee nicht nur 2012, sondern auch 2013 aufgegangen, auch wenn die taktisch eingerechnete Zuarbeit der Polizei brutaler ausfiel als geplant. Dabei beweisen die jüngsten Hamburger Vorkommnisse, dass der polizeistaatliche Rechtsbruch Methode hat: Die deutsche Polizei schlägt »präventiv« zu, kesselt Tausende über Stunden ein und verhängt im Anschluss über Tage hinweg den lokalen Ausnahmezustand.

Wenn die Idee Blockupys dennoch aufging, liegt dies daran, dass der staatliche Vorsprung auf der Ebene des Gewalthandelns politisch zur Niederlage wurde, schon im Verlauf der Aktion und dann – was wiederum auch für die Hamburger Vorkommnisse gilt – in der Zeit danach. Setzte die Polizei auf die Spaltung der Demonstration und damit des Blockupy-Bündnisses, hat ihre Gewalt dessen Einheit nachhaltig gestärkt. Mehr noch: Das politisch ausdrücklich gedeckte Vorgehen der Polizei hat Teile der liberalen Öffentlichkeit und des rotgrünen Milieus zum offenen Widerspruch, 2013 schließlich sogar zur aktiven Beteiligung an der Folgedemonstration provoziert. Insofern hat Blockupy das Potenzial, zum gemeinsamen Bezugspunkt aller zu werden, die sich dem Krisenpakt verweigern: in Zeiten einer Großen Koalition nicht zu unterschätzen, wenn auch weiterhin Sache einer Minderheit.

Trägt das denn? Und wenn: wie weit?

Relevant wird das im Bezug auf die zweite Verlegenheit, auf die Blockupy zu antworten sucht. Die besteht in der Nötigung, die in der Troika verdichtete imperiale Kooperation transnational bekämpfen zu müssen. An dieser Stelle kommen die beiden Hauptvorwürfe ins Spiel, die gegen die Blockupy-Mobilisierungen erhoben werden. Kritisiert wird zum einen die »eventzentrierte Kampagne«: eine Kritik, die übrigens auch im Bündnis und sogar in der Interventionistischen Linken (IL) erhoben wird. Ihr folgt der Vorwurf einer quasi antiimperialistischen »Solidaritätspolitik«: Aus Unlust am mühseligen Geschäft unspektakulärer Tageskämpfe im eigenen Land ergötze man sich am imaginären Beitritt zum südeuropäischen oder gar weltweiten Massenwiderstand. Beide Vorwürfe sind offensichtlich nicht ohne Anhalt in der Sache – was aber nicht ausreicht.

Dass die Linke sich nicht allein in »Event«-Mobilisierungen, sondern zunächst mit ihren Interventionen in lokalen sozialen Kämpfen zu bewähren hat, ist eine unbestreitbare Basisbanalität politischen Handelns. Genauso richtig ist aber, dass diese nicht immer von strategischer Bedeutung sind. Stattdessen geht es heute darum, einer klassenübergreifenden gesellschaftlichen Minderheit einen Ort, eine Gelegenheit und schließlich die Stimme ihrer politischen Artikulation zu schaffen. Das ist Blockupy gelungen: in der Verbindung eines entschiedenen »Demokratieprotests« mit einem zwar vagen, doch ausdrücklich gegen die imperiale Konstitution der EU gerichteten Antikapitalismus. Dem entspricht die orientierende Rolle, die im Bündnis der IL bzw. den eher linksradikalen Teilen in der Bejahung eines forcierten zivilen Ungehorsams wie seiner inter-, trans- bzw. antinationalen Ausrichtung zufällt. Im Umkehrschluss heißt das allerdings, dass sich zumindest dieser Teil des Bündnisses auch auf diese Aufgabe konzentrieren muss – anstatt sich in der Anbahnung oder im Verstärken lokaler sozialer Kämpfe zu verzetteln, die für eine Weile ganz gut ohne linksradikale Intervention auskommen. In einigen internen Diskussionspapieren ist an dieser Stelle von der Bildung einer »radikalen gesellschaftlichen Linken« die Rede, einer spektrenübergreifenden (»mosaik-« bzw. »transformationslinken«) Allianz. Ihr Konsens: »Ihr wollt Kapitalismus ohne Demokratie, wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus!«

Die Krise zurückgewinnen

Beansprucht Blockupy in seiner Form und seinem inhaltlichem Konsens zu einem symbolisch und effektiv transnationalen Widerstand zu gehören, so muss ihm auch eine strategische Bedeutung zukommen. Die Blockupy gestellte Herausforderung liegt deshalb weniger in einer Änderung der politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland als in dem Versuch, gegen das »Europa der Troika« ein »Europa von unten« zu konstituieren. Die Bewährungsprobe eines solchen »konstituierenden Prozesses« liegt darin, aufeinander verwiesene, bislang aber noch getrennt verlaufende, auch sehr verschiedene Kämpfe zu verknüpfen. Was aber verbindet, um das von den Extremen her zu fassen, den Versuch des SYRIZA-Bündnisses, die Mehrheit der griechischen WählerInnen zu gewinnen, mit dem Versuch des Blockupy-Bündnisses, zur Stimme der gesellschaftlichen Minderheiten zu werden, die sich dem nordeuropäischen Krisenpakt verweigern?

Dies kann als Gegenbewegung zum aktuell letzten Zug des herrschenden Blocks gefasst werden. Dieser geht jetzt dazu über, von der Krise als einer bereits gelösten und abgeschlossenen Krise zu sprechen und entsprechend zu handeln. Dem entspricht die »sozialdemokratische« Selbstinszenierung der Großen Koalition, dem entspricht auch der Vorstoß des EU-Parlaments, eine Auflö- sung der Troika zumindest in Aussicht zu stellen. In beiden Fällen werden die bereits durchgesetzten »Reformen« des imperialen Krisenregimes – analog zum Umgang mit den »Reformen« des Hartz-IV-Regimes – nicht nur nicht angerührt, sondern gerade in der Revision »unnötiger Härten« sowie in den Programmen zur »Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit« ausdrücklich bestä- tigt. Die darin noch einmal konsolidierten Herrschaftsverhältnisse kann eine mögliche SYRIZA-Regierung so wenig beseitigen wie eine Blockupy-Bewegung, der es erfolgreich gelungen wäre, das Fest der EZB in ein Desaster zu verkehren. Gemeinsam mit allen anderen Widerstandsbewegungen aber können sie dem Euro-Empire genau die Krise wieder aufzwingen, die diese um jeden Preis beenden möchte. Politisch wäre ihm damit die eigene Existenzberechtigung abgesprochen, die ja aktuell vor allem in dem Anspruch besteht, »alternativlos« die Macht zu sein, welche die Krise bändigen und Ordnung schaffen kann. Der besondere Beitrag Blockupys liegt dabei in dem aktuell eher symbolischen Vorgriff auf den »Metropolenstreik«: eine Form des Kampfes, die seit dem Arabischen Frühling zu dem Gespenst wird, das alle herrschenden Mächte, wer sie auch seien, beunruhigt, bisweilen verschreckt, immer häufiger auch in Panik versetzt. Kurz: Ein konstituierender Prozess ist schön, macht aber viel Arbeit. Save the date!