| »Bildung ist keine Ware«. Studierendenbewegung und neue Linke in Kroatien

Juni 2013  Druckansicht
Andrea Milat im Gespräch mit Ana Veselinovic und Boris Kanzleiter

Seit einigen Jahren kommt es an Universitäten in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens regelmäßig zu Protesten. Erstmals seit Ende der Kriege lassen sich hier Ansätze einer neuen, transnationalen Linken beobachten. Wie haben sich die Proteste entwickelt?

Der Bologna-Prozess hat seit 2005 die Kommerzialisierung von Bildung in der Region massiv beschleunigt. Diese Veränderungen im Bildungssystem verliefen so rapide und drastisch, dass es nahe lag, sich dagegen zu wehren. Die Proteste begannen in Kroatien, später kamen Slowenien und Serbien hinzu, aber die Bewegungen entwickelten sich zunächst unabhängig voneinander. Nachdem die Demonstrationen in Zagreb keinen Erfolg zeigten, schauten wir genauer auf die Aktivitäten unserer KollegInnen in Belgrad und Ljubljana. Wir bemühten uns, durch Austausch von Erfahrungen die Taktiken der Proteste zu verbessern.

Außerdem versuchten wir die Forderung nach einem öffentlich finanzierten Bildungssystem in einem breiteren politischen Kontext zu formulieren. Die Kommerzialisierung von Bildung wird nicht nur als wichtiger Aspekt des so genannten Transitionsprozesses in den postsozialistischen Ländern interpretiert, sondern auch als globaler Prozess, der sowohl in den Ländern des Zentrums des Kapitalismus als auch in den Ländern der so genannten Peripherie stattfindet, in der wir uns befinden. Auch deshalb bot es sich an, die Proteste transnational zu koordinieren.

Wie funktionierte dieser Austausch von Protestformen und Entscheidungsfindungsprozessen zwischen den lokalen Protestbewegungen?

Die Studierenden in Belgrad hatten bereits bei ihren Streiks 2006/2007 Methoden der Direkten Demokratie genutzt, und in Ljubljana waren damals schon Fakultäten besetzt worden. So konnten wir in Zagreb 2008/2009 auf diese Erfahrungen zurückgreifen und beide Methoden kombinieren. Im Laufe der Zeit passten wir die Protestformen entsprechend unserer eigenen Situation und Bedürfnisse an.

Für die Methoden der Direkten Demokratie entschieden wir uns nicht nur aus prinzipiellen Erwägungen, sondern auch, um die größtmögliche Zahl von Leuten wirklich in die Aktivitäten einzubinden. Die Gründe für den Protest betrafen ja alle Studierenden, also versuchten wir allen Studierenden eine Möglichkeit zur Partizipation zu geben, und dazu, ihre Stimme zu erheben.

Die Hauptinstitution während der 35-tägigen Besetzung der Universität in Zagreb und der Besetzung der Universitäten in acht anderen Städten in Kroatien im Frühjahr 2009 war das tägliche Plenum, also eine Art Generalversammlung. Dies war der Höhepunkt und das Zentrum der täglichen Aktivitäten. Alle Entscheidungen wurden hier abgestimmt. Auch darüber, ob die Besetzung am nächsten Tag weitergeführt werden sollte.

Wie wurden die Besetzungen medial aufgenommen?

Das Plenum war für alle Interessierten offen, unabhängig davon, ob es sich um Studierende oder andere Menschen handelte. Dies war wichtig für die öffentliche Wahrnehmung. Alle Interessierten, auch JournalistInnen – die ja im laufenden Betrieb wenige Zugang haben – konnten nun zu jeder Zeit in die Fakultäten kommen, dort herumlaufen und die zahlreichen alternativen Lehrveranstaltungen besuchen oder an Workshops und Filmvorführungen teilnehmen, die von einer der Arbeitsgruppen organisiert wurden.

Interessant ist auch, dass es während der Besetzung zu keiner Sachbeschädigung kam. Nichts wurde gestohlen, nichts wurde zerstört, absolut nichts. Das hat die Sympathien eines Teils der Öffentlichkeit geweckt. Die Versuche von Politikern und Medien, die Besetzung als einen Ausdruck von Unreife, Faulheit, Verantwortungslosigkeit und letztlich Vandalismus zu denunzieren, liefen ins Leere. Ich denke, dass vor allem das hohe Niveau der kollektiven Selbstorganisation und die spontane Disziplin dazu geführt haben, dass die Besetzung in Zagreb einen positiven Widerhall unter den Studierenden in der Region gefunden hat.

Ihr habt ja zu den gemachten Erfahrungen auch ein »Kochbuch« veröffentlicht …

Ja, wir haben unsere Organisationsformen in einem »Besetzungs-Kochbuch« (Blokadna kuharica) genau beschrieben. Es wurde auch ins Englische, Deutsche und in einige andere Sprachen übersetzt. Kurz nachdem es in Kroatien erschienen war, wurde es von Studierenden aus Serbien ›übersetzt‹: Sie formulierten ihre Forderungen um. Wie in Kroatien stellten nun auch die Studierenden in Serbien ihre Forderungen in einen größeren politischen, sozialen und ökonomischen Kontext. Die zentrale Forderung ist in beiden Fällen die »komplette öffentliche Finanzierung der Bildung«, diese wurde nun aber mit breiteren gesellschaftlichen Implikationen verknüpft. Der Slogan der internationalen Studierendenbewegung, die AktivistInnen rund um den Globus vernetzt, ist »Eine Welt, ein Kampf, Bildung ist nicht für den Verkauf bestimmt«. Die Studierenden in Kroatien machten sich diesen Slogan zu eigen. Ein anderer emblematischer Slogan ist »Bildung ist keine Ware«. Er kam zuerst in Zagreb auf und wurde dann zum Hauptslogan in Belgrad. Er ist wichtig, weil er sich direkt gegen das General Agreement on Trade in Services (GATS) der World Trade Organization (WTO) im Feld der Bildung richtet. Das GATS-Regime in Kroatien und Serbien sowie in anderen post-sozialistischen Staaten bedeutet ein noch unmittelbareres Durchschlagen von Marktmechanismen, als in der Europäischen Union der Fall ist.

Die Protestbewegung hat inzwischen den Campus verlassen und ein breites Echo in der Gesellschaft gefunden. Mit welcher Strategie habt Ihr versucht, Bündnispartner zu finden?

Der Zagreber Studierendenbewegung ist es gelungen, eine Sprache zu finden, die einen Teil der Öffentlichkeit fasziniert, einschließ- lich einiger vage linksorientierter Journalisten. Das war zu Beginn überraschend, weil sich unsere Medienstrategie bewusst gegen die Nutzung etablierter Formen der öffentlichen Kommunikation und Public Relations richtete. Wir hatten beispielsweise täglich rotierende SprecherInnen, um eine Personalisierung in der öffentlichen Wahrnehmung der Proteste zu vermeiden. Wir haben täglich unsere offiziellen Pressemitteilungen verlesen und den JournalistInnen schriftlich zur Verfügung gestellt. Das war aber der einzige offizielle Kanal in der Kommunikation mit der Presse – wir wollten sie zwingen, sich mehr mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen. Unsere Mitteilungen enthielten auch Analysen des breiteren sozialen Kontextes der Proteste. Man könnte wahrscheinlich nachweisen, dass der Begriff »Neoliberalismus« als Resultat der Studierendenproteste in die Mainstreammedien in Kroatien eingezogen ist. Bis zum Ausbruch der Proteste waren sowohl der Begriff als auch seine politische Kritik im öffentlichen Diskurs praktisch nicht vorhanden. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Strategie war, den Begriff der Solidarität gegenüber dem der Konkurrenz zu betonen. Die Studierendenbewegung ließ sich nicht darauf festnageln, sie vertrete nur die partikularen Interessen der Studierenden. Im Gegenteil: Sie suchte die Verbindung mit Kämpfen von ArbeiterInnen und Kleinbauern, die in Kroatien stattfanden. Es ist, wie Boris Buden feststellte: Die Studierenden halfen dabei, die soziale Frage wieder zu stellen, die während der post-sozialistischen Periode sowohl von den Nationalisten als auch den Liberalen unter den Teppich gekehrt worden war.

Die Protestbewegung war der Durchbruch für eine neue transnationale Linke. Das Internetportal der Streikbewegung publiziert seit Jahren Texte internationaler, marxistisch orientierter AutorInnen. Im Februar 2013 erscheint die erste Ausgabe der kroatischen Le Monde Diplomatique. In der Redaktion sitzen eine Reihe der führenden AktivistInnen der Studierendenproteste. Auf Konferenzen und Seminaren wird auf hohem Niveau über die Analyse der Situation in der Region und politische Perspektiven der Linken diskutiert. Das alles war vor kurzer Zeit noch undenkbar. Abgesehen vom Kampf gegen die Privatisierung von Bildung, was sind die Themen und Strategien dieser neuen Linken?

Ein weiterer wichtiger Kampf der vergangenen Jahre war der gegen Gentrifizierung sowie gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung öffentlichen Raums. Beide entwickelten sich zunächst unabhängig von der Studierendenbewegung, näherten sich ihren Themen aber über die Kritik neoliberaler Politiken an. Außerdem wurden die Studierendenbewegung und ihr Umfeld Teile einer breiteren aktivistischen Szene, sie gründeten neue NGOs oder beeinflussten bereits bestehende. Sie griffen Themen wie die Rechte der ArbeiterInnen und drohende Privatisierungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen auf. Solche Fragen wurden bis dahin vom konventionellen linksliberalen Menschenrechtsdiskurs meist ignoriert. Im Moment sehen wir aber, dass sich einige der Menschenrechtsorganisationen gegenüber sozialen und ökonomischen Fragen öffnen. Das gibt uns Hoffnung, dass eine breite Koalition einer pluralistischen Linken entstehen könnte. Ich denke sogar, dass die Gründung der Gewerkschaft Akademische Solidarität ohne die Studierendenbewegung nicht möglich gewesen wäre. Diese Organisation wird demokratisch von allen Universitätsangehörigen, Lehrenden und Studierenden, geführt.