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Bezahlt wird nicht!

von Miguel Sanz Alcantára

Die SAT: Gewerkschaft im Spannungsfeld von Arbeitskampf, Politik und sozialer Bewegung

Die Andalusische Arbeitergewerkschaft (Sindicato Andaluz de Trabajadores, SAT) ist eine der kleinen Gewerkschaften, die eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Mobilisierung in Spanien spielen. Und sie ist eine der wenigen, die auch auf dem Land sichtbar aktiv ist. Lange war sie vor allem durch ihren Vorsitzenden Sánchez Gordillo, den Bürgermeister des linken, genossenschaftlich organisierten Dorfes Marinaleda, bekannt. Doch spätestens seit Medien wie Spiegel-Online im Sommer 2012 »Wirtschaftskrise: Spanische Gewerkschafter plündern Supermärkte« titelten, gelangte sie zu großer Bekanntheit. Diese symbolische Aktion der SAT alarmierte das spanische Innenministerium wie auch konservative Medien. AktivistInnen hatten in Sevilla und Cádiz ohne zu bezahlen Einkaufswagen, gefüllt mit Grundnahrungsmitteln, aus zwei großen Supermärkten hinausgeschoben, um sie an bedürftige Familien zu verteilen. Die Aktion gab auch der Debatte über die Rolle der Gewerkschaften in den Krisenprotesten neue Nahrung.

Die Aktivitäten der SAT sind nicht auf betriebliche Arbeit beschränkt, zusammen mit sozialen Bewegungen wie dem 15M mischt sie sich in die spanische Gesellschaft ein. Sie war eine der ersten Organisationen, die Demonstrationen und Besetzungen von Banken und staatlichen Institutionen gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise initiierten, und ist eine der am stärksten unter Repressionen leidenden Gewerkschaften Europas.1

Die Herkunft der SAT

Die Geschichte der 2007 gegründeten SAT reicht weit zurück. Sie ging aus der SOC, der andalusischen Landarbeitergewerkschaft, hervor. Andalusien ist eine arme, auf Agrarwirtschaft spezialisierte Region mit wenig Industrie. Arbeitslosigkeit und Saisonbedingtheit der Arbeit führten in dem hoch politisierten Kontext nach dem Ende der Franco-Diktatur zu einem Anstieg von Arbeitskämpfen in der Landwirtschaft. Als die SOC 1976 gegründet wurde, bestand sie hauptsächlich aus saisonal beschäftigten ErntehelferInnen, die auf den Feldern der mittleren bis großen GrundbesitzerInnen arbeiteten.

Politisch war sie in ihrer Anfangszeit durch verschiedene linke Traditionen geprägt: Ein großer Teil der ersten Gewerkschaftsführung stammt aus der 1967 gegründeten PTE, einer maoistischen Abspaltung der kommunistischen Partei Spaniens (PCE). Obwohl die Wahlergebnisse der PTE immer bescheiden blieben (sie erreichte nie mehr als zwei Prozent), war sie in einigen Dörfern Andalusiens fest verwurzelt und stellt in einigen Gründungsgemeinden der SOC den Bürgermeister. 1976 kam es zwischen der PCE und einigen links von ihr stehenden Parteien (unter ihnen der PTE) zum Machtkampf um die Kontrolle der CCOO (des kommunistischen Gewerkschaftsdachverbandes). In den ländlichen Regionen Andalusiens führte dies zur Abspaltung von diversen CCOOOrtsgruppen, die sich dann an der Gründung der SOC beteiligten. In der Anfangszeit spielten außerdem AktivistInnen aus einer christlichen Basis-Tradition sowie einige vom Anarchosyndikalismus der CNT beeinflusste Mitglieder eine wichtige Rolle. Diese Kombination aus Maoismus, Basis-Christentum und Anarchosyndikalismus prägte die SOC in ihrer Anfangszeit. Kurz nach ihrer Gründung entwickelte sie sich zur größten Gewerkschaft in den ländlichen Gebieten Andalusiens und setzte sich damit gegen die CCOO und die mitgliederreichste spanische Gewerkschaft UGT durch. In einigen Dörfern war sie unter den ErntehelferInnen so stark verwurzelt, dass sie sich dort auch als politische Kraft konstituierte. 1979 entschied die Gewerkschaftsführung, die Vereinte Arbeiter Kandidatur (CUT) zu gründen, um an den Kommunalwahlen teilnehmen zu können und den Einfluss der SOC auf die Lokalpolitik auszuweiten. Nur in dem Dorf Marinaleda gelang es, mit absoluter Mehrheit ins Rathaus einzuziehen. Dennoch war der politische Einfluss der SOC in vielen Dörfern so groß, dass sie sich erfolgreich für die Unterstützung und Durchsetzung von Forderungen der ErntehelferInnen einsetzen konnte. So gelang es, die Gemeindearbeit in den 1980er Jahren zu erweitern sowie Arbeitslosenhilfe und Tarifverträge in den 1990er Jahren durchzusetzen. Außerdem setzte die SOC mit Landbesetzungen die Verstaatlichung privater Ländereien durch.

Gründung der SAT

Die Entwicklungen, die 2007 zur Gründung der SAT führten, beschreibt Sánchez Gordillo folgendermaßen: »Es kamen Arbeiter vom Bau und aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe zu uns. […] Sie merkten, dass die großen Gewerkschaften ihre Interessen nicht vertraten. Deshalb riefen wir die SAT ins Leben. Ihre Gründer teilen die gleichen Anschauungen über die direkte Aktion, eine gesellschaftspolitisch, gegen das bestehende System eintretende Gewerkschaft, in der die Basis jeder Ortsgruppe die Entscheidungen trifft […], dies ist die Gewerkschaft, die wir aufbauen müssen.« (zit.n. Vergara 2012, 75)

Die soziale Basis der SOC hat sich seit dem Eintritt Spaniens in die EU stark verändert. Seit zwei Jahrhunderten liefert Andalusien nicht nur Naturprodukte, sondern auch unqualifizierte Arbeitskräfte für die Industrialisierung anderer Regionen des Landes. Jene wiederum setzen ihre Produkte in Andalusien ab. An dieser Zulieferrolle für die spanische und auch europäische Wirtschaft hat sich durch den EU-Beitritt nichts geändert, sie hat sich sogar noch verstärkt: Die andalusische Landwirtschaft wird mittlerweile von einer hochtechnisierten Agroindustrie dominiert (vgl. Delgado Cabeza 2002). Allerdings sind die Beschäftigtenzahlen merklich zurückgegangen: Zwischen 1980 und 2000 ist der Anteil der in der Agrarwirtschaft Beschäftigten von 24,1 auf weniger als zehn Prozent gefallen (Peña Sánchez 2006). Daraus zog die Führung der SOC Anfang 2000 den Schluss, dass sich ihre soziale Basis in einem Veränderungsprozess befindet, folglich ihre Bedeutung in der andalusischen Wirtschaft abnimmt. Hinzu kam die steigende Unzufriedenheit vieler ArbeiterInnen und links-gewerkschaftlicher AktivistInnen mit den großen Gewerkschaften. Dies war ein wichtiger Faktor für die Gründung einer alternativen Gewerkschaftsstruktur.

Die soziale Basis der SAT

Die SAT hat um die 5 000 Mitglieder, von denen zwischen 2007 und 2011 ca. 3 753 Personen Beiträge gezahlt haben. 2012 stieg die Mitgliederzahl um etwa 20 Prozent an. Besonders in den Provinzen Sevilla und Cádiz sowie zu einem geringeren Teil in Córdoba, Granada, Jaén und Almería ist die SAT stark. Drei von vier Mitgliedern kommen aus der SOC und sind somit im landwirtschaftlichen Bereich tätig. Die anderen Mitglieder sind einfache Verwaltungsangestellte in Rathäusern und Universitäten, Professoren (besonders in Sevilla) und unqualifizierte Arbeitskräfte im Hotel- und Gaststättengewerbe. In großen Industriebetrieben besitzt die SAT keine nennenswerte Präsenz, da diese die traditionellen Bastionen von CCOO und UGT darstellen.

Im Spannungsfeld von sozialer Bewegung und Gewerkschaft

Die Gründung der SAT übt außerdem eine gewisse Anziehung auf bestimmte Teile der andalusischen Linken aus: Autonome, andalusische SeparatistInnen, AntikapitalistInnen, revolutionäre SozialistInnen u.a. Neue Mitglieder kommen teils aus diesen Zusammenhängen und sozialen Bewegungen. Diese AktivistInnen arbeiten in der so genannten Asamblea (Versammlung), dem lokalen Komitee der SAT, während ArbeiterInnen, die darüber hinaus nicht linkspolitisch aktiv sind, eher in ihren Betriebsgruppen organisiert sind. Dieses lokale Komitee ist ein Erbe der SOC: Wegen des temporären Charakters der Beschäftigungsverhältnisse waren Versammlungen der ErntehelferInnen nicht an bestimmte Betriebe gebunden. Diese Asamblea-Struktur erleichtert heute zwar die Integration prekär Beschäftigter und Arbeitsloser, die Bildung von Betriebsgruppen bleibt allerdings hinter dem Mitgliederzuwachs der letzten Jahre zurück. Allein sie sichern jedoch Einfluss bei Tarifverhandlungen und in den Institutionen gewerkschaftlicher Interessenvertretung.Zweifellos sind der Kampfgeist, die Radikalität und die revolutionäre Perspektive der SAT zu einem großen Teil ihren politischen Aktivitäten jenseits der reinen Arbeitskämpfe zu verdanken. Dadurch eignen sich die Mitglieder eine über den betrieblichen Konflikt hinausgehende Kapitalismuskritik an. Der Großteil der sozialpolitischen Aktionen der SAT wird jedoch von linken AktivistInnen zusammen mit einer geringen Anzahl von ArbeiterInnen aus den wenigen Betriebsgruppen getragen. An der Supermarkt-Aktion im Sommer 2012 nahmen beispielsweise hauptsächlich Mitglieder der ehemaligen SOC aus Marinaleda, Arbeitslose und junge AktivistInnen ohne Bezug zu einer Betriebsgruppe teil.3

Die Aktionen sind radikal und wirkungsvoll. Durch die Präsenz eines starken aktivistischen Kerns außerhalb der Betriebe und die Kooperation mit sozialen Bewegungen wie der 15M – der Bewegung der Empörten – ähnelt die SAT oft eher einer sozialen Bewegung als einer traditionellen Gewerkschaft, die potenziell in der Lage ist, strategisch wichtige Teile der Arbeiterklasse in ihren Betrieben zu mobilisieren.

Izquierda Unida und das Problem der Politik

Nach den Massenmobilisierungen gegen den Eintritt Spaniens in die NATO 1986 trieb die PCE zusammen mit kleineren linken Organisationen die Gründung der Izquierda Unida (IU, Vereinte Linke) voran. Die SOC entschied sich, im Rahmen der CUT in die IU einzutreten. Bei der CUT handelt es sich nicht wirklich um eine reale politische Organisation: Während ihres dreißigjährigen Bestehens haben nur zwei eigene Kongresse stattgefunden, und ihre Führung ist identisch mit der der Gewerkschaft. Vor dem Eintritt in die IU bestand die CUT somit lediglich aus einer Wahlliste. Als Teil der IU muss sie nun mit der PCE und anderen um ihren Anteil an den zu vergebenden Ämtern kämpfen. Deshalb ist Sánchez Gordillo seit 2008 nicht nur Bürgermeister, sondern auch Abgeordneter der IU im andalusischen Parlament. Der Einfluss der CUT ist jedoch auf die Provinz Sevilla beschränkt. Dort stellen ihre Mitglieder ein Drittel der IU in der Provinz. Ihr Einfluss war aber bisher nicht groß genug, um innerhalb der IU ein wirkliches Gegengewicht zur Hegemonie der PCE zu bilden und für antikapitalistische Politik einzutreten. Diese Situation hat in den letzten Jahren zu starken Spannungen zwischen der CUT und anderen Strömungen innerhalb der IU geführt. Mehrmals hatte die CUT mit Austritt gedroht. Mit der Beteiligung der IU an einer Koalitionsregierung mit der PSOE in Andalusien im März 2012 erreichten diese internen Spannungen ihren bisherigen Höhepunkt. Die Koalition verkörpert, was CUT und SAT ablehnen: einen Pakt mit der PSOE und die (vermeintliche) Ausführung der von Madrid und der EU auferlegten Kürzungspolitik. Nach langen Konflikten kam es nun insofern zu einer Einigung mit der Führung der IU, als auch die CUT nun einige Führungspositionen innerhalb der IU besetzen kann.

Referenzpunkt der Kämpfe und möglicher Austritt aus der IU

Durch ihre kämpferische Tradition sowie ihre Intervention in den Mobilisierungen der 15M ist die SAT zu einem Bezugspunkt der andalusischen Linken geworden. Vor allem Menschen, die sich der revolutionären und antikapitalistischen Linken zugehörig fühlen, sind auf der Suche nach einer neuen politischen Perspektive zur SAT gestoßen. Sie sprechen sich tendenziell für einen Austritt aus der IU aus, in der Hoffnung, die IU-kritischen Kräfte für eine neue Organisation zu gewinnen. Ihrer Einschätzung nach ist der »Rechtsruck« der IU in Andalusien im Rahmen der Koalitionsregierung nicht aufzuhalten. Die SAT hat mehr Mitglieder als jede andere Organisation der radikalen Linken in Andalusien und annähernd so viele aktive Mitglieder wie die andalusische IU. Es gibt jedoch auch einige Mitglieder der SAT, vor allem aus den Ortsgruppen in den Provinzen Cádiz und Sevilla, die Ämter und Aufgaben im Rahmen der IU übernehmen. Sie haben entsprechend wenig Interesse an einer möglichen Loslösung.

Gewerkschaft und/oder Partei?

Die SAT steht also vor zwei großen Herausforderungen: Zum einen muss sie sich als Gewerkschaft konsolidieren und gegen die Kürzungspolitik protestierende ArbeiterInnen einbinden. Zum anderen sollte sie sich als Bündnispartner der sozialen Bewegungen etablieren und sich für die Bündelung dieser Kräfte einsetzen. Dabei wäre es wichtig, sich hauptsächlich auf Basisarbeit zu konzentrieren, ohne aber eine Beteiligung an institutionalisierter Politik auszuschließen.

Angesichts der aktuellen Konstellation sind diese Aufgaben nicht zu unterschätzen: In der Führung der SAT hat es in den letzten 20 Jahren kaum Wechsel gegeben, neue Mitglieder werden nicht ausreichend gefördert, es gibt wenig Organizer; es fehlt an Diskussionen über Strategie und Ausrichtung – vor allem hinsichtlich der Frage, wie neue Betriebsgruppen aufgebaut und die Präsenz in den Betrieben verbessert werden könnte. Ungeklärt ist außerdem das Verhältnis der SAT zur IU. Seit der Entstehung des 15M und des Wahldebakels der PSOE in den letzten Parlamentswahlen verzeichnen sowohl die IU und ihr nahestehende Parteien als auch IU-kritische, links-nationalistische Parteien deutliche Zuwächse und Wahlsiege. Der regionale Erfolg der Galizischen linken Alternative (AEG) mit 14 Prozent, der Baskischen Linken (Izquierda Abertzale) mit 25 Prozent sowie der Einzug der Kandidatur der Volkseinheit – Alternative Linke (CUP-AE) mit 3,5 Prozent ins katalanische Parlament stehen für ein linkes Potenzial jenseits der IU. Diese Entwicklung könnte in Andalusien durch die Gründung einer Partei links der IU genutzt werden. Ob dies allerdings zur Pluralität und Stärkung oder zur Spaltung der Linken führen würde, ist schwer abzuschätzen.

Aus dem Spanischen von Rabea Hoffmann.

 

Literatur

Delgado Cabeza, Manuel, 2002: Andalucía en el siglo XXI: una economía crecientemente extractiva, in: Revista de estudios regionales, Nr. 63, 65–83
Ocaña Escolar, Luis, 2006: Los orígenes del SOC, Sevilla
Peña Sánchez, Antonio, 2006: Productividad y estructura productiva en Andalucía: un análisis comparativo a nivel sectorial, Documentos de trabajo, Centro de Estudios Andaluces, Serie 1, Nr. 12
Vergara, Jesús, 2012: Juan Manuel Sánchez Gordillo. La utopía y el hombre, Sevilla

Anmerkungen

1 Gegen die SAT wurden insgesamt Bußgelder in Höhe von 400000 Euro erhoben, und gegen 300 ihrer Mitglieder laufen Gerichtsverfahren, häufig mit Androhung von Gefängnisstrafen.
2 Die so genannte institutionalisierte Gewerkschaftsvertretung wird in Spanien in jedem Betrieb einzeln gewählt. Alle Beschäftigten sind zu diesen Wahlen zugelassen. Je nach Anzahl ihrer VertreterInnen darf eine Gewerkschaft an den Tarifverhandlungen teilnehmen oder nicht. Die SAT ist zurzeit an keiner Tarifverhandlung beteiligt.
3 In Marinaleda besitzt die SAT die Kontrolle über die Kooperative, bei der die Mehrheit der Dorfbevölkerung beschäftigt ist. Sie konnte also die Arbeit aussetzen, damit die Beschäftigten an den Protestaktionen teilnehmen konnten. Die Bevölkerung Marinaledas stellt seit 20 Jahren den überwiegenden Teil der TeilnehmerInnen an Arbeits- und Sozialprotesten der SOC bzw. der SAT.