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Autos, Krise, Klimawandel und Klassenkampf

Lars Henriksson

2008: Es scheppert im Karton, die Finanzkrise schlägt überall durch. Plötzlich wird die Überproduktion in der globalen Automobilindustrie gut sichtbar. In Schweden war das besonders problematisch.

Zwei der weltweit kleinsten Massenhersteller (Volvo Car und Saab Automobile AB, Anm. d. Red.) stellten große, spritfressende Mittelklasseautos her. In einem Land mit neun Millionen Einwohnern hat man also zwei bankrotte Autohersteller samt ihrer ganzen Subunternehmerkette (und zwei LKW-Hersteller, die ihrerseits in der Krise sind).

Die Krise der Automobilindustrie (vgl. LuXemburg 3/2010 [1]) wurde dann natürlich zu einer politischen Angelegenheit; und das bleibt sie auch.

Da ich eine der wenigen kritischen Stimmen in der Automobilindustrie bin, wurde mir häufig die Frage gestellt: Was denken Sie, soll getan werden?

Die in Schweden im politischen Mainstream geführte Diskussion kennt, wie anderswo auch, zwei Strategien:

1|      Die schöpferische Zerstörung‘: „Der Markt hat sein Urteil gesprochen und einige der Unternehmen sind dem Untergang geweiht.“ Nicht am Markt herumbasteln, das wird die Sache nur verschlimmern. Oder: „Autos schädigen das Klima. Wir brauchen sie oder die Unternehmen, die sie herstellen, gar nicht. Es ist doch gut, wenn die Autoindustrie verschwindet.“

2|      Die Industrie unterstützen: Die Regierung muss den Unternehmen in dieser schweren Zeit durch Subventionen helfen, sodass sie, wenn sich alles normalisiert hat, wieder wachsen können. Dazu noch Kredite, Abwrackprämien, Steuererleichterungen usw. Das war die Stoßrichtung der Sozialdemokratie, der Industrie selbst, der meisten KommentatorInnen und der Gewerkschaften. Auch meine Gewerkschaft machte bei dieser Sache mit oder, besser gesagt, sie brachte uns Mitglieder dazu mitzumachen, indem sie einen Vertrag unterschrieb, der für uns eine vorübergehende Lohn- und Arbeitszeitreduktion vorsah.

Meine Antwort war, dass beide Strategien falsch und verheerend sind.

Die ‘Unterstützt die Industrie‘-Strategie fußt auf einer fundamental falschen Annahme. Es wird kein „Zurück zur Normalität“ geben, zumindest nicht wenn man unter „Normalität“ eine endlose Ausweitung der Automobilproduktion versteht.

Der Straßenverkehr ist in der EU-15 für ca. 20 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, und der Verkehrssektor ist derjenige, in dem die Emissionen am schnellsten ansteigen.

Aber selbst wenn wir gar nicht vorhätten, den Klimawandel aufzuhalten, ist die Zeit des Autos doch vorbei: Die Ölproduktion, der ‚siamesische Zwilling‘ des Autos, wird in naher Zukunft seinen Höhepunkt erreichen (peak oil), sodass diese günstige Form der Energie nicht mehr in dem Maß zur Verfügung stehen wird, wie es aktuell noch der Fall ist. Überhaupt ist ein auf dem automobilen Massenverkehr basierendes Verkehrssystem keine Option mehr. Die Antwort der Industrie darauf ist das ‚grüne Auto‘; effizient im Verbrauch und betrieben durch erneuerbaren Treibstoff. Ich halte das aber für eine Illusion.

Das von Neuwagen pro Kilometer im Durchschnitt emittierte CO2 nimmt ab und der Benzinverbrauch bei Neuwagen in der EU ging im Zeitraum zwischen 1995 und 2002 im Durchschnitt um 13 Prozent zurück. Dennoch stieg im selben Zeitraum der Gesamtverbrauch um 7 Prozent, was daher kommt, dass der Verkehr insgesamt zugenommen hat. (Holden, 2007, 170)

Biokraftstoff ist ebenfalls keine Lösung. Ein Beispiel: Im waldreichen Schweden erzählt man uns, dass die Zukunft im Dimethylether (DME) liege, einem synthetischen Diesel, das aus Forstprodukten gewonnen wird (hauptsächlich aus Holz). Aber allein um den momentanen Ölverbrauch des Verkehrs zu ersetzen, bedürfte es jährlich eines Ertrags von sechs Milliarden Hektar Wald. Und in diesem Szenario ist noch nicht einmal die Verarbeitung von Holz für Möbel, Bau, Papier usw. berücksichtigt. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Wälder der Erde nur eine Fläche von vier Milliarden Hektar bedecken (mit abnehmender Tendenz); und das ist nur die Theorie.

Mit demselben Problem werden andere Arten von alternativem Kraftstoff konfrontiert, wie etwa Ethanol: Es existiert einfach nicht genug anbaufähiges Land und Wasser, um das von uns verbrauchte Öl zu ersetzen. Außerdem steht die Gewinnung des Ethanols aus Korn oder die Gewinnung von Diesel aus Soja in unmittelbarem Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion für die weltweit ärmsten Menschen.

Und was ist, könnte man jetzt fragen, mit dem Elektroauto? Oder dem Wasserstoffmotor?

Nun, weder Wasserstoff noch Strom sind Energiequellen. Sie sind Energieträger, die selbst erst produziert werden müssen, indem Energie irgendwie zugeführt wird. Heute etwa werden zwei Drittel des weltweiten Stroms in Kohlekraftwerken erzeugt. „Wir können uns des Emissionsproblems im Verkehrssystem nicht durch Innovationen entledigen“, sagt Prof. Jacqueline McGlade, geschäftsführende Direktorin der Europäischen Umweltagentur (EEA).

Soweit ich es sehe, gibt es keine Zukunft für ein Verkehrssystem, das auf der Grundlage des Privatwagens funktioniert. Ich sage nicht, dass alle Autos abgeschafft werden sollten, aber das Ausmaß des Verkehrs, und speziell des Straßenverkehrs, muss so angepasst werden, dass er auf lange Sicht nachhaltig ist.

Letztlich wird die ökonomische Krise, die noch lange nicht vorbei ist, die Automobilindustrie ohnehin grundlegend umgestalten. Je schneller wir von einem business-as-usual-Denken wegkommen, desto besser. Die ‚Lasst es zugrunde gehen‘-Haltung ist jedoch noch viel schlimmer; und zwar aus sozialen, praktischen und politischen Gründen. Zumindest in Schweden wird die ‚schöpferische Zerstörung‘ nur zur Hälfte funktionieren; und zwar nach der Zerstörungsseite hin. Industrien kamen und gingen. In den 1960er Jahren etwa wanderte die Textilindustrie aus. In den 1970er und 1980er Jahren passierte das gleiche mit den Werften. Andere Bereiche wuchsen, u.a. die Automobilindustrie und der Öffentliche Dienst. Es wurde zur offiziellen Politik, sowohl der Gewerkschaften als auch der Sozialdemokratie, diesen strukturellen Wandel zu befördern. Heute jedoch ist kein anderer Bereich mehr im Aufschwung und auch der öffentliche Sektor ist von Kürzungen bedroht.

Die Automobilindustrie ist nicht einfach eine Ansammlung von Maschinen und Gebäuden. Vor allem ist sie eine Organisation von Menschen. Würde man diese Organisation auflösen, dann wäre das ungefähr so, als würde man einen Wagen auseinandernehmen; als würde man die Reifen, die Kurbelwelle, die Verkabelung und die Achsen auf verschiedene Haufen eines Schrottplatzes werfen. Die Teile wären nach wie vor dieselben, aber sie wären kein funktionierendes Ganzes mehr und könnten nicht mehr gebraucht werden.

Die Kunst der Massenproduktion nutzen

Angesichts der schwierigsten Aufgabe, welche die Menschheit je zu bewältigen hatte – eine Ökonomie und eine Produktionsweise umzustellen, die 250 Jahre lang durch die Nutzung fossiler Energie funktionierte – müssen wir alle Ressourcen nutzen, die wir haben. Es wäre völlig unverantwortlich, einen ganzen Industriezweig zu zerstören (und dabei Ressourcen zu verschwenden), der fast über ein Jahrhundert lang aufgebaut und entwickelt wurde.

Stattdessen habe ich also versucht, eine dritte Strategie zu entwickeln. Die Automobilindustrie ist eine raffinierte Maschine, ein System der Massenproduktion von fortgeschrittenen, hochqualitativen technischen Gütern, das nur so lange funktioniert, wie die Organisation dieser Elemente intakt bleibt und nicht aufgelöst wird. Es ist schon lange her, dass ein Auto aus nichts anderem bestand als aus einem Lenkrad, vier Rädern und einem Gestell. Heutzutage bestehen Autos aus einer Vielzahl von komplexen Systemen und ein jedes ist Resultat fortgeschrittener Forschung und Produktion. Ihre Herstellung bedarf nicht nur der Expertise auf allen Feldern der Mechanik und Metallurgie, sondern auch in Bereichen wie etwa der Akustik und der Verhaltensforschung. Viel wichtiger ist jedoch das signifikanteste Merkmal der Automobilindustrie: die Fähigkeit zur effizienten Massenproduktion. Diese Fähigkeit wurde zwar häufig maßlos und auf Kosten der dort arbeitenden Menschen betrieben, aber dennoch besitzt diese Industrie viel Expertise in Hinsicht auf Logistik, Produktionstechnik, Produktionsdesign, Qualitätskontrolle usw. All das könnte auf jede Art der Produktion angewandt werden. Und gerade die effiziente Massenproduktion brauchen wir, wenn wir die Ökonomie fossilen Kraftstoffs ersetzen wollen. Die Massenproduktion ist es schließlich, die komplizierte technische Geräte billig macht und deswegen sollte sie in der Herstellung von Windkrafträdern und sonstigem Zubehör für erneuerbare Energieproduktion eingesetzt werden. Sie sollte aber auch in der Produktion von Straßenbahnen, Zügen sowie anderen Fahrzeugen und Systemen zum Einsatz kommen, die für ein nachhaltiges Verkehrssystem stehen.

Selbst auf den untersten Ebenen der Produktion, auf denen meine KollegInnen und ich uns aufhalten, existiert (unausgesprochenes) Wissen über die Kunst der Massenproduktion sowie über die darin eingesetzten Methoden.

Wichtig ist auch, dass wir an Wandel und industrielle Konversion schon gewohnt sind. Die Tendenz der Automobilindustrie in den letzten Jahrzehnten ging dahin, in immer kürzeren Intervallen neue Modelle einzuführen. Umrüsten, umbauen und umlernen sind also feste Bestandteile des Alltags. Wie vielleicht bekannt ist, hat eine solche Konversion historisch auch bereits stattgefunden. In den Monaten nach dem Angriff auf Pearl Harbor untersagte die US-Regierung die Produktion von Privatwagen und gab stattdessen der Automobilindustrie die Anweisung, auf Produktion für den Krieg umzuschwenken. Diese Industrie war offensichtlich eine, die leicht umwandelbar war und von dessen Produkt leicht abgesehen werden konnte. Ford und andere Hersteller gehorchten (und verdienten viel Geld), indem sie ihr Wissen über die Massenproduktion bei der Herstellung von Panzern und Bombern einsetzten. Dasselbe passierte auch in Schweden.

Zusammenfassend kann also gesagt werden: Die Automobilindustrie ist eine fantastische und vielseitige Organisation, die nicht daran gebunden sein muss, Autos herzustellen. Sie könnte eine wichtige Rolle bei der Umwandlung unserer Gesellschaft in eine nachhaltige und CO2-neutrale spielen.

Aber wenn diese beiden Gründe (soziale und technische/praktische) gute Gründe sind, so sind sie nicht die schwerwiegendsten für meine Ablehnung der beiden kapitalistischen Strategien für die Automobilindustrie.

Konversion und Klassenkampf

Die Klimafrage ist nicht eine Frage der Technologie, sie ist eine Frage der Politik. Mit anderen Worten: Sie ist eine Frage des Klassenkampfes.

Es scheint ein weitverbreitetes Einvernehmen darüber zu bestehen, dass die Menschheit die Emission von Treibhausgasen reduzieren muss; und zwar zügig. Aber wie wir alle wissen, passiert dies dennoch nicht. Es passiert nicht etwa deshalb nicht, weil die Machthaber nicht aufgeklärt genug wären oder weil sie schlechte Menschen sind und die Menschheit auslöschen wollen, sondern weil die Maßnahmen, die unternommen werden müssten, sowohl die grundlegende Funktionsweise des Kapitalismus als auch die Macht der Unternehmen, die unsere Gesellschaft regieren, in Frage stellen würden.

Sobald es um die Klimaproblematik geht, stehen sich, wie in vielen anderen Fällen auch, Vernunft und die Macht materieller Interessen unversöhnlich gegenüber; und in einem Kampf zwischen Vernunft und materiellen Interessen gewinnen die materiellen Interessen in 100 von 100 Fällen. Wenn wir also wollen, dass die Vernunft siegt, dann müssen wir sie mit sozialen Kräften bewaffnen und ausstatten, damit sie der bestehenden Macht gegenübertreten kann. Genau das ist der Punkt, an dem wir, die Beschäftigten der bedrohten Automobilindustrie, ins Spiel kommen. Für unsere Arbeitsplätze zu kämpfen, ist einerseits ein gesunder Reflex, der im Gegensatz dazu steht, einfach aufzugeben und auf die Marktkräfte zu hoffen. Wenn wir in der Lage sein wollen, für irgendwas zu kämpfen, dann müssen wir das ArbeiterInnenkollektiv zusammenhalten. Beginnen muss das Ganze mit der Klassensolidarität; damit, dass wir uns vereinigen und für unsere Arbeitsplätze kämpfen. Dies ist ein sehr harter Kampf und im Grunde unmöglich zu gewinnen, wenn er nur innerhalb eines Betriebes oder einer Branche geführt wird. Deshalb müssen wir innerhalb der gesamten Gesellschaft um Unterstützung und Intervention werben. (Einige führende schwedische PolitikerInnen begannen, als die Krise ausbrach, selbst das V-Wort zu benutzen; Verstaatlichung, ein Wort, das Jahrzehnte fast ein Äquivalent zum Begriff Gulag war)

Wenn wir allerdings einfach nur sagen würden: „Gießt die Steuergelder in die multinationalen Unternehmen, damit sie damit fortfahren können, Maschinen herzustellen und damit die Welt zu zerstören“, dann würden uns die meisten Leute für eine Gruppe mit einem Einzelinteresse halten, die es kaum wert ist, unterstützt zu werden.

Im Herbst 2008, als die Krise noch jung war, nahm ich teil an einer Radiodebatte, u.a. zusammen mit dem schwedischen Industrieminister. Als ich die Automobilindustrie und ihre Produkte kritisierte und mich für eine Konversion der Produktion aussprach, fragte mich der Journalist, ob ich damit nicht den Ast, auf dem ich säße, absägte. Ich antwortete, dass es sich gerade umgekehrt verhält: Wenn wir, die in der Automobilindustrie tätig sind, uns weiterhin an der Idee festklammern, dass unsere Zukunft in der Automobilherstellung liegt, dann sind wir verloren – als Beschäftigte und als Menschen.

Wir können stattdessen sagen: „Die Unternehmensleitungen, die jetzt beim Staat um Hilfe betteln, haben ihr Recht, die Automobilindustrie zu leiten, verwirkt. Der Staat sollte ihre Herrschaft und ihre fortgesetzte zerstörerische Produktion nicht subventionieren. Stattdessen muss die Gesellschaft eingebunden werden, die Kontrolle über die Industrie übernehmen und sie dafür einsetzen, die Aufgabe zu lösen, derer sich die Gesellschaft gegenübersieht. Verstaatlicht die Industrie und wandelt sie so um, dass sichere Arbeitsplätze geschaffen werden und dass eine Produktion stattfindet, die uns helfen kann, von einer auf fossilen Treibstoff aufbauenden Ökonomie Abstand zu nehmen.“ Das ist die dritte Strategie, für die ich mich seit diesem Zeitpunkt einsetze.

Das wäre eine Plattform für ein breites soziales Bündnis, das helfen könnte, sowohl die Arbeitsplätze zu retten als auch den Planeten. Es wäre eine beträchtliche Waffe in den Händen der Vernunft. Ist es möglich, dieses Bündnis aufzubauen? Ist es möglich, von der untersten Ebene der Arbeit aus Forderungen für eine alternative Produktionsweise bis nach oben durchzusetzen? Und wenn ja, wie kann das bewerkstelligt werden? Das ist, wie ich denke, der interessanteste hier zu diskutierende Aspekt.

Drei Schritte

Es ist wichtig, dass die Konversion der Produktion glaubwürdig ist. Im Werk, in dem ich arbeite, fehlt den Beschäftigten beinahe jedes Selbstvertrauen. Das ist generell die größte Hürde für die schwedische Arbeiterklasse. Und es wurde denn auch von Seiten der Unternehmensleitung in den letzten Jahren verstärkt ausgenutzt. Die Werksordnung hat einen zunehmend autoritären und überwachenden Charakter angenommen.

Die Idee, dass wir, die Kleinsten der Kleinen, wir, die bis auf den letzten Schritt und den letzten Bruchteil der Sekunde überwacht und kontrolliert werden, wir, die nicht einmal selbst entscheiden dürfen, in welcher Reihenfolge die Muttern und die Schrauben anzubringen sind an den Autos, die wir zusammenstellen, wir, die nicht einmal in unserer eigenen Gewerkschaft das Sagen haben, die Idee also, dass wir dazu fähig seien, nicht nur das Werk selbst zu betreiben, sondern das ganze Unternehmen und dann auch noch die Produktion zu verändern… Tja, für die meisten meiner KollegInnen klingt das ziemlich nach Sciencefiction. Wir wüssten nicht einmal wie oder wo wir beginnen sollten.

Der erste Schritt besteht darin, anzufangen, darüber zu reden und zu schreiben, diese Idee also zu verbreiten. Das ist die Ebene, auf der ich gerade noch bin. Das ist auch der Grund, weshalb ich darüber ein Buch schreibe, nämlich um mir in der öffentlichen Debatte eine Plattform aufzubauen.

Genau genommen ist das aber eigentlich gar nicht wirklich der erste Schritt. Der erste Schritt ist, zu lernen wie man überhaupt als Kollektiv für irgendetwas kämpft. Wenn wir nur über diese großen Vorhaben reden, ohne uns in den täglichen kleinen Kämpfen zu engagieren, dann wird man das, was wir sagen, für bloßes Geschwätz halten, für Luftschlösser. Und das zu Recht.

Ein zweiter Schritt könnte sein, konkrete Pläne zu entwerfen, wie die unterschiedlichen Bereiche umgewandelt werden sollen. Im Jahr 1980 gab es in Schweden ein Referendum über ein Atomkraftwerk. Eines der wichtigsten Dinge, welche die Umweltbewegung getan hat, war es, einen Plan vorzulegen: den Plan zur alternativen Energie. Er zeigte im Detail auf, wie Atomenergie abgeschafft und durch erneuerbare Energie ersetzt werden konnte. Er war ein wichtiges Werkzeug in dieser Kampagne, weil er einerseits die AktivistInnen schulte und ihnen andererseits Selbstvertrauen gab.

Im Mai 2009 trafen sich in Köln UmweltschützerInnen, BürgerInnengruppen, ForscherInnen und GewerkschaftsrepräsentantInnen aus verschiedenen europäischen Ländern, um über ein nachhaltiges Transportsystem zu diskutieren. Sie verfassten die Kölner Erklärung gegen die Privatisierung der Gleise und für einen nachhaltigen Verkehr. Auf der Konferenz wurde RailEurope2025 vorgelegt, ein konkreter Plan zur Transformation des europäischen Transportsystems innerhalb von 15 Jahren. Damit soll in diesem Bereich das emittierte CO2 um 75 Prozent reduziert werden und damit der Gesamtausstoß um die Hälfte. Dieser Plan könnte von Gewerkschaften und anderen Bewegungen dazu genutzt werden, politischen Druck aufzubauen.

Der dritte und wichtigste Schritt wäre, all diese Pläne zu den wirklichen Arbeitsplätzen in Bezug zu setzen; in Bezug zur untersten Ebene der Produktion. Etwas ähnlich Bedeutsames ist das einzige Mal in den 1970er Jahren vorgekommen; damals bei Lucas Aerospace (siehe dazu Wainwright/Bowman 2010, 80ff). Auch wenn dieses Vorhaben letzten Endes fehlschlug, so hatte es durchaus weltweite Auswirkungen; und es hat sie noch. Ich denke nicht, dass ich jetzt hier sitzen würde, wenn es diesen Kampf, die Diskussionen sowie die Bücher und Artikel darüber nicht gegeben hätte.

Es ist nicht so, dass das Konzept einer alternativen Produktion einfach umzusetzen wäre. Im Gegenteil. In den späten 1970er Jahren befanden sich in Schweden unterschiedliche Industriebereiche in der Krise: die Schiffsindustrie, die Stahlindustrie und die Überbleibsel der Textilindustrie. „Alternative Produktion“ wurde damals eine Zeit lang zu einem Hoffnung erweckenden Schlagwort, aber beinahe alle Versuche, Arbeitsplätze zu retten, schlugen fehl, weil „alternative Produktion“ für die meisten nichts anderes bedeutet als „andere profitable Produkte“. Man kann über die KapitalistInnen ja eine Menge sagen, aber eines kann man ihnen nicht vorwerfen, nämlich dass sie ihren eigenen Job nicht verstehen. Wir können sie auf ihrem eigenen Feld nicht besiegen! Wir können die Idee der „alternativen Produktion“ jedoch so einsetzen, dass wir unsere Bereitschaft herausstellen, unsere Fähigkeiten dafür einzusetzen, sozial nützliche und notwendige Produkte herzustellen, völlig unabhängig davon, ob sie jetzt im kapitalistischen Sinne profitabel sind oder nicht. Das war die Stärke des Vorhabens damals bei Lucas Aerospace, nämlich von sozialer Nützlichkeit zu sprechen anstatt von privater Profitmacherei.

Für mich gibt es aber bei dieser Erfahrung mit Lucas Aerospace noch einen anderen interessanten Aspekt: nämlich das, was passiert, wenn man aus der täglichen Tretmühle der Unterwerfung heraustritt. Thomas Paine drückte das im späten 18. Jahrhundert folgendermaßen aus: „Revolutionen bringen Genie und Talent hervor; aber diese Ereignisse bringen sie nur zum Vorschein. Es gibt Vieles, das im Menschen schlummert, das aber, wenn es nicht angeregt wird, mit dem Menschen untergehen wird und zwar in diesem Fall ins Grab.“

Ich denke, da ich Jahrzehnte damit verbracht habe, stupide Arbeiten am Fließband zu verrichten, dass in diesen Zeilen viel Kraft steckt. Als ich im Frühling 2009 bei einer Gewerkschaftskonferenz war, war ich sehr erfreut zu hören, dass entschieden wurde, einen Plan zur Umwandlung der Produktion, basierend auf lokaler Teilnahme, auszuarbeiten. Ich denke, dass das ein Schritt nach vorne ist.

Kapitalismus und Verkehr

Die Behörden in Schweden haben eine Statistik über Verkehrsunfälle im ersten Halbjahr 2009 veröffentlicht. An der Statistik lässt sich, im Vergleich zum ersten Halbjahr 2008, ein starker Rückgang der Unfälle mit Todesfolge ablesen. Die Zahlen belegten, dass es im Zeitraum zwischen 2007 und 2008 zum ersten Mal zu einer Reduktion der CO2-Emissionen im Straßenverkehr kam. Liege ich also vielleicht doch falsch? Entwickelt sich doch alles in die richtige Richtung?

Bedauernswerterweise waren diese beiden Entwicklungen keinesfalls gewollt. Sie waren vielmehr eine Art „Kollateralnutzen“ der schwerwiegendsten Krise des Kapitalismus in den letzten 50 Jahren. Die Schrumpfung der Ökonomie führte zu einem substanziellen Rückgang des Verkehrsvolumens, was wiederum diese positiven Effekte erzeugte. Mit anderen Worten: Die kapitalistische Gesellschaft ist nur dann fähig, sich in die Richtung zu bewegen, die notwendig wäre, um die Menschheit zu retten, wenn sie selbst in eine tiefe Krise eintritt. Ich denke, dass das ein symbolischer Hinweis darauf ist, was wir mit dem Kapitalismus anstellen sollten. Es gibt da eine Szene in dem ziemlich lächerlichen Film „Independence Day“. Der tapfere Pilot hat ein böses Alien gefangen und der ebenso tapfere Präsident fragt es: „Was können wir für dich tun?“ Das böse Alien antwortet mit der Stimme eines sterbenden Menschen: „STIRB!“

Nun, das ist offensichtlich das Beste, was der Kapitalismus für uns tun kann. Also lasst uns ihm dabei ein wenig behilflich sein.

 

Aus dem Englischen von Andrei Draghici

Literatur

Holden, Erling, 2007: Achieving Sustainable Mobility: Everyday and Leisure-time Travel in the EU, Ashgate

Wainwright, Hilary, und Andrew Bowman, 2010: Lucas Combine – Erfahrungen mit betrieblicher Konversion, in: LuXemburg 3/2010 [1], 80ff