| Auf Kante genäht. Klima und Energie im Koalitionsvertrag

Dezember 2021  Druckansicht
Von Uwe Witt

Der Koalitionsvertrag im Kapitel Klima, Energie, Transformation trägt eine Grüne Handschrift, die FDP hat dennoch an einigen Stellen die Feder geführt mit Techno-Hokuspokus. Die größte Leerstelle: eine sozial gerechte Finanzierung des Umbaus.

Gleich zum Anfang: Die eigentlichen Zumutungen in Sachen Klimagerechtigkeit stecken nicht im Kapitel Klima, Energie, Transformation. Sie liegen vor allem darin, dass eine Umverteilungsperspektive für Einkommen und Vermögen fehlt. Dies wurde von den Liberalen erzwungen und von SPD und Grünen letztlich hingenommenen. Die zusätzlichen Ausgaben für den Klimaschutz werden für die nächsten zehn bis 15 Jahre auf 50 bis 60 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Die öffentliche Hand wird einen relevanten Teil davon übernehmen müssen. Da es keine Steuererhöhungen für Reiche und Besserverdienende geben soll, werden wohl Ausgabenkürzungen, Umlagesysteme und Verbrauchssteuern als Finanzierungsquellen einspringen müssen. Das begründet nicht nur eine neue Runde von Ungerechtigkeiten, es wird auch die Akzeptanz des Umbaus beschädigen.

Klimapolitisches Versagen im engeren Sinne ist vor allem in den Kapiteln Mobilität sowie Gebäude und Wohnen zu finden. Das Klima- und Energiekapitel selbst trägt erwartungsgemäß die Handschrift der Grünen, wobei die FDP dennoch an einigen Stellen die Feder geführt hat.

Am oberen Rand der Paris-Ziele

Der Abschnitt beginnt mit einem wohl selbstverständlichen Bekenntnis zum 1,5-Grad-Pfad von Paris. Das Jahr 2045 als Zieljahr für die deutsche Klimaneutralität könnte dafür aber zu spät gesetzt sein. Denn legt man den Minderungspfad des kurz vor den Bundestagswahlen auf Druck des Bundesverfassungsgerichts novellierten Bundes-Klimaschutzgesetzes zu Grunde (welches ebenfalls auf 2045 abzielt), so ergibt sich folgendes Bild: Der Ampel-Weg (würde er tatsächlich untersetzt und beschritten) führt rechnerisch mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent zu einem deutschen Erwärmungsbeitrag von über 1,7, aber unter 2 Grad[1]. Damit wäre er immer noch mit dem Pariser Abkommen[2] kompatibel, allerdings knapp an dessen oberen Rand. Das ist ein riskanter Pfad, nicht nur angesichts vieler Inseln und Küstenbereiche weltweit, die in einer solchen Welt bereits überflutet werden würden. Es bliebe auch kaum Handlungsspielraum, sollte der Umsetzungsprozess auch nur kurze Zeit ins Stocken kommen, warum auch immer.

Das Bundes-Klimaschutzgesetz will die Koalition im nächsten Jahr ändern und gleichzeitig ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen. In diesem Umsetzungsprozess wird sich zeigen, was die Vorgaben des Koalitionsvertrages wirklich wert sind.

Die im Vertrag angedeuteten Instrumente zur Reform des Gesetzes selbst sind teilweise widersprüchlich. Einerseits soll es einen „Klimacheck“ für alle Gesetzentwürfe durch das jeweils federführende Ressort geben. Ein Vetorecht, etwa des Kanzleramts oder des neuen Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck, ist jedoch nicht vorgesehen. Ferner soll das Bundes-Klimaschutzgesetz nun „sektorübergreifend“ und mit einer „mehrjährigen Gesamtrechnung“ überprüft werden (auf Basis jährlichen Monitorings). Das kann als Abschwächung gelesen werden. Denn momentan muss ein Ressort, das sein Sektorziel zur Treibhausgasminderung im Vorjahr verfehlt hat, ein Sofortprogramm auflegen, um die Lücke in den Folgejahren zu schließen. Hart juristisch sind die Ressorts zwar auch jetzt nicht verpflichtet, sämtliche Zielverfehlungen jeweils im eigenen Sektor wettzumachen. Der explizite Verweis auf eine sektorübergreifende Betrachtung (also auf eine Verrechnungsmöglichkeit zwischen den Ressorts) dürfte aber die erkämpften Sektorziele politisch schwächen. Diese separat zu betrachten (jeweils für Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und sonstige), erschwert zumindest die Praxis einiger Ministerien, Klimaschutzanstrengungen einfach auf andere Ressorts oder die Zukunft zu verlagern.

Kohleausstieg vorgezogen

Um 2045 klimaneutral zu sein, ist ein Kohleausstieg bereits 2030 unerlässlich, und nicht erst 2038, wie es das Kohlausstiegsgesetz bislang vorsieht. Die neue Koalition will diesen Ausstieg nun „idealerweise“ auf 2030 vorziehen. Dass eine klarere Formulierung umgangen wurde, die Kommunen und Beschäftigte in den Revieren eigentlich bräuchten, dürfte daran liegen, dass die Ampel neue Entschädigungszahlungen an die Kohlekonzerne explizit ausschließen möchte. Diese würden bei einem vorgezogenen Abschalten per Ordnungsrecht tatsächlich möglich werden. Und zwar infolge von Klauseln im geltenden Kohleausstiegsgesetz, die die SPD mit zu verantworten hat. Danach entfallen neue Entschädigungen an Konzerne nur dann, wenn ein vorgezogener Kohleausstieg marktlich über den CO2-Preis des EU-Emissionshandels (EU-ETS) erzwungen würde. Dafür, dass letzteres nicht unrealistisch ist, sprechen die absehbaren Marktentwicklungen aufgrund angekündigter Änderungen im EU-Klimaschutzrecht. Um einen solchen Weg zusätzlich abzusichern, erwägt die Koalition einen nationalen Mindestpreis von 60 €/t CO2 für EU-ETS-pflichtige Emissionen.

Das Jahr 2030 zur Abschaltung des letzten Kohlemeilers ist fraglos eine Herausforderung für den Strukturwandel in den Revieren. Diese will die Ampel mit angepassten Instrumenten unterstützen; niemand solle „ins Bergfreie fallen“. Dazu sollen Projekte vorgezogen, arbeitspolitische Maßnahmen wie das Anpassungsgeld entsprechend modifiziert und um eine Qualifizierungskomponente für jüngere Beschäftigte ergänzt werden. Dafür, dass diese Änderungen den Revieren tatsächlich nachhaltige Perspektiven bieten, sollte die LINKE im Verbund mit Gewerkschaften und Kommunen streiten.

Gänzlich unbestimmt ist derzeit noch die im Vertrag angeführte Prüfung eines Organisationsmodells (Stiftung oder Gesellschaft) für den Rückbau der Kohleverstromung und die Renaturierung. Könnte dies den Kohleausstieg und Nachsorge durch Sicherung von Mitteln unterstützen oder würden von der Gesellschaft Teile jener Leistungen übernommen, die nach Bundesbergrecht eigentlich die Betreiber zu übernehmen hätten?

Dem Papier nach will die Koalition auch den Strukturwandel in anderen Sektoren unterstützen. Dafür will sie im Dialog mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden eine „Allianz für Transformation“ schmieden und im ersten Halbjahr 2022 „stabile und verlässliche Rahmenbedingungen“ besprechen. Das Vorbild dürfte die damalige Kohlekommission sein – die jedoch zu einem Ausstiegsbeschluss führte, der weit jenseits einer verantwortlichen Klimaschutzpolitik lag und nun auf Druck der Klimaschutzbewegung korrigiert wird.

Ausbau Erneuerbarer Energien ambitioniert

Das neue Zieljahr für den Kohleausstieg erfordert deutlich mehr Tempo beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Und das liefern die Koalitionäre: 80 Prozent Ökostrom bis 2030 bei einem angenommenen Stromverbrauch von 680 bis 750 Terawattstunden (TWh) im Jahr. Dies ist in der Summe zweifellos sportlich – und ähnelt den Forderungen, die die LINKE in einem Bundestagsantrag vom letzten Jahr formuliert hat. Im Detail liegen die Ausbauziele für Photovoltaik (PV) mit 200 Gigawatt (GW) installierter Gesamtleistung und für Wind auf See mit 30 GW sogar über den damaligen Zielen der LINKEN, allerdings auch, weil von der Koalition ein etwas höherer Stromverbrauch prognostiziert wird.

Für Windkraft konnte sich die Ampel offensichtlich auf kein Ausbauziel einigen, rund 100 bis 125 GW wären rechnerisch hier noch erforderlich. Mehr, und damit eine höhere Ökostromquote, wäre möglich. Die jährlichen Ausbaumengen bei Wind Onshore lagen zumindest in einzelnen Jahren schon einmal über diesem Pfad. Dennoch erfordern die neuen Ziele gegenüber jenem Bestand an Ökostromanlagen, welcher in den letzten 20 Jahren aufgebaut wurde, einen Zubau um den Faktor 3,5 bei Photovoltaik und Wind auf See sowie knapp zwei bei Wind an Land – dies jedoch in der Hälfte der Zeit, bei weniger attraktiven Flächen und mit wachsenden Herausforderungen für die Akzeptanz. Dass sich das rot-grün-gelbe Bündnis dennoch dazu durchrang, dürfte an der Schlüsselrolle des Ökostromausbaus bei der Dekarbonsierung der gesamten Wirtschaft liegen, zu der sich die Bundesrepublik völkerrechtlich verpflichtet hat: Nur mit ausreichend grüner Elektrizität lassen sich Kohle- und Gasverstromung schrittweise abschaffen, können der Restverkehr elektrifiziert und erste Projekte der Wasserstoffwirtschaft in der Industrie angegangen werden.

Entsprechend will die Ampel den Prozess einbetten und absichern. So sollen Hürden bei Planungs- und Genehmigungsprozessen fallen, das Repowering erleichtert und im Baugesetzbuch zwei Prozent der Landesfläche als Vorranggebiet für Windkraft ausgewiesen werden. Die Koalition will rechtlich sogar einen befristeten Vorrang für Erneuerbare Energien festschreiben. Klingt bürokratisch, wäre aber ein scharfes Schwert in Genehmigungsverfahren. Das wird mancherorts auch Widerstände provozieren, etwa, weil es für das Durchdrücken schlechter Planungen missbraucht werden könnte.

Akzeptanz vor Ort wird jedoch eine immer härtere Währung werden. Darum sollen Standortkommunen mehr von den Erträgen der Ökostrombetreiber in ihrer Gemeinde profitieren. Die Ampel will zudem die Rahmenbedingungen für die Bürgerenergien verbessern, etwa indem endlich jene Spielräume genutzt werden, die das EU-Recht seit Jahren bietet, um bei der Windkraftförderung aufwendige Ausschreibungen für kleinere Betreiber umgehen zu können. Um auch private und gewerbliche Verbraucher*innen milde zu stimmen, sollen jene Ökostrom-Kosten, die noch über den Börsenpreisen liegen, künftig aus dem Bundeshaushalt statt über die EEG-Umlage finanziert werden. Außerdem kündigt die Ampel Regeln an, mit denen sie den Ökostromausbau bundesweit gleichmäßiger verteilen möchte, was insbesondere den Nordosten Deutschlands entlasten könnte.

Fraglich ist dem gegenüber, ob der Ökostromhandel zwischen Nachbarn („Energy Sharing“) und die zusätzliche Förderung von Mieterstrom- und Quartierskonzepten (durch Änderungen im Steuer-, Abgaben- und Umlagesystem) zu einem relevanten Zubau führen werden, oder eher zu neuen Umverteilungen zu Lasten jener Verbraucher*innen, die sich kein Solardach leisten können bzw. in städtischen Mietwohnungen ohne ausbauwillige Vermieter*innen sitzen. Auch die Stärkung des umstrittenen europaweiten Handels mit Herkunftsnachweisen für Grünstrom könnte sich als Rohrkrepierer erweisen. Dieser hat erfahrungsgemäß ein hohes Greenwashing-Potenzial. Eine wirklich zielführende Solarpflicht für Dächer will die Ampel dagegen lediglich für gewerbliche Neubauten einführen; für private soll sie „Regelfall“ werden, was immer das heißen mag. Im Gebäudebestand wird auf Ordnungsrecht zum PV-Ausbau gänzlich verzichtet. Gerade in diesem ungleich größeren Segment liegen aber die mächtigsten Potenziale.

Im Wärmebereich ist begrüßenswert, dass die Koalition endlich eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung angeht, wie sie etwa in Dänemark seit Jahren bereits erfolgreich praktiziert wird. Auch Wärmenetze sollen ausgebaut werden. Bis 2030 sollen 50 Prozent der Wärme klimaneutral erzeugt sein. Die Formulierung „klimaneutral“ schließt neben Erneuerbaren Energien auch Wasserstoff nicht aus, was ein Zugeständnis an die FDP sein dürfte. Expert*innen sehen die Verwendung hier aber als extrem inneffizient und teuer an. Dieses Herangehen korrespondiert mit der postulierten Technologieoffenheit im Kapitel Bauen und Wohnen. Hier haben sich die Liberalen mit Formulierungen durchgesetzt, die die eingesparte Menge Treibhausgase je Fläche anstatt eingesparter Energie in den Mittelpunkt stellen. Somit besteht die Gefahr, dass sinnvolle energetische Sanierungen unterlassen werden und an diese Stelle ungedeckte Versprechen treten, man könne den Wärmebedarf später mit regenerativen Energien oder grünem Wasserstoff decken. Ein solches Herangehen überfordert jedoch absehbar das Erneuerbare-Energien-Potenzial und verteuert den Umbau.

Wasserstoff und Erdgas: Potentielle Problemfälle

Generell wird im Koalitionsvertrag viel auf Wasserstoff gesetzt, wenn möglich auf grünen, also mittels Ökostrom erzeugten. Dafür sollen bis zum Jahr 2030 in Deutschland doppelt so viele Erzeugungsanlagen entstehen – 10 GW statt der bislang geplanten 5 GW Elektrolyse-Leistung. Für sich genommen ist diese Größenordnung okay, denn wer den Ausstieg aus den fossilen Rohstoffen beschleunigen will, braucht selbst bei Verbrauchsminderung einen Ersatz in jenen Bereichen, die für eine Elektrifizierung nicht oder nicht vollständig zugänglich sind. So etwa bei der Stahlerzeugung, in Teilen der Chemie, später auch in der Luft- und Seefahrt. Grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte sind jedoch extrem energieaufwändig herzustellen, also teurer Champagner im Klimaschutz. Umso absurder, dass der Pkw-Bereich für wasserstoffbasierte synthetische Kraftstoffe zumindest offengehalten wird. Ein Verbrennerverbot ab 2035 wird es also nicht geben.

Bis 2030 will die Koalition Deutschland zum „Leitmarkt für Wasserstoff“ machen. Wie „grün“ der verwendete Wasserstoff dann wirklich sein wird, ist fraglich. Im Text finden sich einige Passagen, die auch hier „Technologieoffenheit“ predigen, etwa bei der „Wasserstoffregulatorik“ im Rahmen des Hochlaufs der Technologie, zumindest solange es noch nicht genügend grünen Wasserstoff gibt. Dieses Wording öffnet trotz erklärtem Vorrang grünen Wasserstoffs ein Tor für die Anwendung jeglichen Wasserstoffs, also auch für aus Erdgas hergestelltem.

Erdgas selbst wird für eine Übergangszeit als „unverzichtbar“ erklärt, ebenso der Zubau auch von modernen Gaskraftwerken (die umrüstbar auf Wasserstoff sein sollen), um die Versorgungssicherheit bis zur Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien zu sichern. Das dürfte vielen Klimaschützern ein Dorn im Auge sein, befindet sich jedoch in Übereinstimmung auch mit sehr ambitionierten Energiewendeszenarien wissenschaftlicher Institute. Diese sehen ebenfalls den Zubau einiger Dutzend Gaskraftwerke vor. Klar ist, diese dürfen nur wenige hundert Stunden im Jahr laufen, etwa bei Windflaute am Abend, und keinesfalls tausende Stunden in Grundlast. Für den Klimaschutz wäre ersteres unproblematisch. Zum Problem wird es erst, wenn der Ausbau der Ökostromerzeugung und von Speichern langsamer vonstattengeht als geplant. Dann würde Erdgas länger einspringen müssen – mit entsprechenden Folgen für das Klima.

Nicht zuletzt finden sich im Vertrag Ankündigungen für ein neues (und tatsächlich überfälliges) Strommarktdesign, sowie zu Maßnahmen, die ein Abwandern jener Industrien verhindern sollen, welche – vermeintlich oder tatsächlich – durch zusätzliche betriebswirtschaftliche „Klimaschutzkosten“ bedingt Probleme im internationalen Wettbewerb bekommen könnten. Um deren Abwanderung zu verhindern (so genanntes Carbon Leakage), sollen Grenzausgleichsmechanismen der EU unterstützt und bestehende Schutzmechanismen angepasst werden. Eine Gefahr besteht hier darin, dass erneut mehr Unternehmen Industrieprivilegien erhalten als wettbewerbsbedingt zu rechtfertigen wären – einmal mehr auf Kosten anderer Verbraucher*innen oder des Staates.

Aufgabe der LINKEN

Die zentrale Frage, wie die neue Koalition die Bürger*innen davor schützen will, dass die Kosten des Umbaus vor allem auf ihren Schultern landen, bleibt zunächst eine Black-Box. So setzt die Ampel „als wichtiges Instrument“ auf einen weiter steigenden CO2-Preis in den Sektoren Wärme und Verkehr über das geltende Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG), auch wenn sie diesen Preis nicht noch zusätzlich erhöhen will, wie vorab von den Grünen angedacht. Im Gegensatz zum EU-Emissionshandel im Stromsektor wirkt dieser nationale CO2-Preis aber erst bei extrem hohen Preisen lenkend in Richtung Klimaschutz. Das kann starke soziale Verwerfungen zur Folge haben, etwa für einkommensschwache Pendler*innen im ländlichen Raum in schlecht gedämmten Häusern. Die Ampel will die CO2-Preise zwar mit einem „starken sozialen Ausgleich“ verbinden und dabei „insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen unterstützen“. Wie konsequent die Ampel das jedoch handhaben wird, darauf deutet die im Koalitionsvertrag neu geregelte Verteilung des CO2-Wärmepreises hin. Ihn zahlen momentan allein die Mieter*innen, obwohl nur die Vermieter*innen den energetischen Zustand des Hauses und dessen Heizungsart beeinflussen können. Deshalb warben SPD und Grüne ursprünglich dafür, in Zukunft nur die Vermieter*innen zahlungspflichtig zu machen. Herausgekommen ist nun: Beide Parteien sollen je die Hälfte des Aufschlags zahlen. So funktioniert schlecht versteckte Klientelpolitik, nicht aber klimagerechter Umbau.

Generell werden die sozialen Kämpfe um die Ausgestaltung der Umbrüche rasant anwachsen. In Deutschland erst recht unter einem FDP-Finanzminister und einer Koalition, die grundsätzlich auf eine zusätzliche Besteuerung hoher Einkommen zur Finanzierung des Umbaus verzichten will. Eine solche Konstellation bietet enormen Raum für oppositionelle LINKE Politik. Diese muss gerechte Übergänge konsequent einfordern, am besten entsprechende Instrumente entwickeln und in die Debatte einbringen. Dabei sollte sie gelegentlich auftauchende populistische Sackgassen vermeiden, in denen nicht nur berechtigte soziale Forderungen gestellt, sondern nebenher auch notwendige Klimaschutzmaßnahmen diskreditiert werden.

Klimagerechtigkeit hat zudem eine internationale Dimension. So bekennt sich die Koalition zu einem Emissionshandel 2.0 für Wärme und Verkehr auf europäischer Ebene (ETS 2). Auch der soll sozial abgesichert werden. Doch dieser Weg wird (ähnlich wie beim BEHG in Deutschland) teuer werden für viele Gruppen von Verbraucher*innen – vor allem im Vergleich zu einer alternativen Stärkung von Ordnungsrecht, staatlichen Infrastrukturen und Förderpolitik. So wäre der jeweilige CO2-Preis in ärmeren Mitgliedstaaten wie Bulgarien Rumänien genauso hoch, wie in den Hochlohnländern Deutschland oder Frankreich. Es bleibt ein Geheimnis der Koalitionäre, wie das nicht zu sozialen Verwerfungen führen soll. Die europäische LINKE sollte den Kampf gegen den ETS 2, dem viele europäische Länder aufgrund seines sozialen Sprengstoffs ohnehin skeptisch sehen, zu einem ihrer Schwerpunkte machen.

Ferner finden sich im Koalitionsvertrag keine konkreten Angaben darüber, um welchen Betrag der deutsche Beitrag für eine internationale Klimafinanzierung angehoben werden soll. Zusagen für den deutschen Anteil an den 100 Milliarden US-Dollar im Rahmen der UN-Verpflichtungen sollen laut Text lediglich erfüllt und perspektivisch erhöht werden. Gerade hier müssen aber Industriestaaten wie Deutschland deutlich zulegen. Dies erst recht, wenn ihre nationalen Minderungsverpflichtungen rechnerisch eher zu einem Beitrag näher an 2 Grad als an einer Begrenzung auf 1,5 Grad Erderwärmung führen. Die LINKE sollte darum für eine deutliche Erhöhung der Mittel für den Globalen Süden streiten, die als tatsächlich zusätzliche staatliche Zahlungen ausgereicht werden müssen, nicht als rückzahlbare Kredite.

Aufgabe der LINKEN ist aber vor allem, im Verbund mit der Klimagerechtigkeits- und Umweltbewegung dafür zu sorgen, dass der notwendige Umbau tatsächlich Fahrt aufnimmt und sich nicht mittels Problemverlagerungen auf andere Sektoren oder auf Kosten der Entwicklung anderer Länder vollzieht. Darum müssen etwa der Einsatz von Wasserstoff auf ein Minimum begrenzt und Importe von Wasserstoff und seiner Folgeprodukte so weit wie möglich vermieden werden. Eine Schlüsselrolle spielt hier der beschleunigte Ausbau heimischer Erneuerbarer Energien und deren Infrastruktur sowie die Minderung unnötiger Produktion und überflüssigen Verkehrs. Beides sind Konfliktfelder, die auch innerhalb der LINKEN für Streit sorgen dürften. Doch es muss klar sein: Klimaschutz ist deutlich mehr als Verbraucherschutz.

Anmerkungen

[1] Eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag des WWF hat verschiedene deutsche Klimaschutzpfade hinsichtlich deren Paris-Komptabilität untersucht. Das ambitionierte Szenario „Klimaneutrales Deutschland 2045“ entspricht dabei in den angestrebten THG-Minderungsmengen in etwa dem geltenden Bundes-Klimaschutzgesetz – und damit rechnerisch auch dem Pfad, zu dem sich der Koalitionsvertrag bekennt.
Siehe MIND-THE-AMBITION-GAP.pdf (oeko.de).

[2] Die Formulierung lautet hier: Begrenzung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Werten.