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Auf dem Weg in den III. Weltkrieg? Das neue globale Pulverfass

Von Michael T. Klare

Was die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten unter Donald Trump, dem Russland Wladimir Putins und dem China Xi Jinpings angeht, sprechen Beobachter*innen aus allen Teilen der Welt derzeit von einer Rückkehr in eine allzu bekannte Vergangenheit. „Jetzt haben wir einen neuen Kalten Krieg“, kommentierte der Russlandexperte Peter Felgenhauer in Moskau, nachdem Präsident Trump jüngst die Aufkündigung des Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) angekündigt hatte. Die Trump-Administration beginne „einen neuen Kalten Krieg“, schrieb auch der Historiker Walter Russell Mead im Wall Street Journal, nachdem im Oktober eine Reihe gegen China gerichteter Maßnahmen durch den Präsidenten gebilligt worden waren. Und viele weitere fallen in den Chor ein.

Die derzeitigen Schritte der politischen Führungen in Washington, Moskau und Peking scheinen dem Narrativ vom „neuen Kalten Krieg“ Glaubwürdigkeit zu verleihen, doch in diesem Fall liefert die Geschichte keine Orientierung. Nach fast zwei Dekaden des 21. Jahrhunderts sehen wir uns nicht einer geringfügig abgewandelten Kopie des Kalten Krieges vom letzten Jahrhundert gegenüber, sondern in einer neuen und womöglich weit gefahrvolleren globalen (Zwangs-)Lage.

Der eigentliche Kalte Krieg, der von den späten 1940er Jahren bis zum Kollaps der Sowjetunion 1991 dauerte, bedeutete ein kolossales Risiko thermonuklearer Vernichtung. Zumindest seit der Kubakrise von 1962 brachte er jedoch auch eine bemerkenswert stabile Situation mit sich – trotz vielfältiger lokaler Konflikte versuchten sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion, jegliche direkte Konfrontation zu vermeiden, die eine wechselseitige Katastrophe hätte auslösen können. Hatte man sich einmal, 1962, dem Abgrund gegenübergesehen, so waren hernach die Führungen beider Supermächte in eine Serie komplexer Verhandlungen und Abkommen involviert, die zu einer substanziellen Reduktion ihrer nuklearen Bewaffnung führten, sodass das Risiko eines zukünftigen Armageddon sank.

Was andere derzeit einen Neuen Kalten Krieg nennen – ich ziehe es vor, von einem neuen globalen Pulverfass zu sprechen –, hat höchstens minimale Ähnlichkeit mit dieser früheren Periode. Ganz wie damals sind die Vereinigten Staaten und ihre Rivalen in ein immer schnelleres Wettrüsten mit atomaren und „konventionellen“ Waffen von immer größerer Reichweite, Präzision und Tötungswirkung verstrickt. Ebenso sind alle drei Länder in der charakteristischen Weise eines Kalten Krieges bemüht, Bündnispartner innerhalb eines immer deutlicher hervortretenden globalen Machtkampfs auf ihre Seite zu ziehen.

Doch hier enden die Ähnlichkeiten. Was die Unterschiede angeht, könnte der erste gar nicht offensichtlicher sein: Die USA stehen nun nicht einem, sondern zwei entschlossenen Gegnern gegenüber, und haben es überdies mit einer weit komplexeren globalen Landkarte von Konflikten zu tun (und damit entsprechend einem Anstieg der Zahl potenzieller nuklearer Krisenherde). Zur gleichen Zeit verschwinden die alten Grenzen zwischen „Frieden“ und „Krieg“ rapide, da alle drei Rivalen sich in dem üben, was als Gefecht mit anderen Mitteln gelten könnte, eingeschlossen Handelskriege und Cyberattacken, die in der Folge den Boden für ein weit größeres Ausmaß an Gewalt bereiten könnten. Um die Gefahr noch zu verschlimmern, sind alle drei Großmächte nunmehr in provokative Aktionen mit dem Ziel der Einschüchterung ihrer Gegenüber verwickelt, wie etwa bedrohliche Seemanöver der USA und Chinas vor chinesisch besetzten Inseln im südchinesischen Meer. Und anstatt an jener Form von Waffenkontrollabkommen zu arbeiten, die im Kalten Krieg die Feindseligkeiten zügelten, scheinen währenddessen die USA und Russland die Absicht zu haben, bestehende Verträge in Stücke zu reißen und ein neues atomares Wettrüsten anzufangen.

Diese Faktoren könnten die Welt bereits auf eine neue kubanische Raketenkrise zutreiben, als die Welt nur um Haaresbreite an einer nuklearen Einäscherung vorbei kam. Diese Krise könnte etwa im südchinesischen Meer oder sogar in der Baltischen See beginnen, wo sich regelmäßige Beinahe-Kollisionen zwischen Schiffen und Flugzeugen der USA und Russlands ereignen.

Weshalb nehmen derartige Gefahren so rasch zu? Um dies zu beantworten, lohnt eine Zusammenschau der Faktoren, welche den heutigen Moment vom historischen Kalten Krieg unterscheiden.

Eine tripolare Welt

Im historischen Kalten Krieg schien der bipolare Kampf zwischen Moskau und Washington als den verbleibenden Supermächten nach Jahrhunderten imperialistischer Rivalität alles zu determinieren, was auf der Weltbühne passierte. Dies brachte selbstverständlich große Gefahr mit sich, doch es gab den politischen Führungen auf jeder Seite auch die Möglichkeit, ein gemeinsames Verständnis für die Notwendigkeit zur nuklearen Begrenzung im Interesse des jeweiligen Überlebens zu entwickeln.

Auf die bipolare Welt des Kalten Krieges folgte das, was viele Beobachter*innen als „unipolaren Moment“ bezeichneten, in dem die Vereinigten Staaten als „letzte Supermacht“ die Welt dominerten. In dieser Periode vom Zusammenbruch der Sowjetunion bis zur russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 bestimmte Washington zum großen Teil die globale Agenda und gebrauchte, wann immer unbedeutende Herausforderer auftraten – etwa der irakische Präsident Saddam –, überwältigende militärische Gewalt, um diese zu zerschmettern. Doch diese militärischen Engagements in verschiedenen Teilen der Welt verschlangen riesige Geldsummen und banden US-amerikanische Kräfte in bemerkenswert erfolglosen Kriegen quer über den Planeten, während Moskau und Peking – ihrerseits weder gleichermaßen finanzkräftig noch gleichermaßen belastet – in der Lage waren, Investitionen in die Modernisierung ihrer militärischen Ausstattung zu tätigen und eine Ausweitung ihrer geopolitischen Rolle zu betreiben.

Heute ist der „unipolare Moment“ Vergangenheit, und wir sehen uns etwas gegenüber, das nur als tripolare Welt beschrieben werden kann. Alle drei Rivalen besitzen übergroße militärische Apparate mit einem erheblichen Aufgebot an konventionellen und Nuklearwaffen. China und Russland haben nun (wenn auch in bescheidenerem Ausmaß) zu den Vereinigten Staaten aufgeholt, was ihren diplomatischen, ökonomischen und militärischen Einfluss jenseits der eigenen Grenzen angeht. Und was noch wichtiger ist, alle drei Rivalen werden von nationalistischen Führern gelenkt, ein jeder fest entschlossen, die Interessen seines Landes voranzubringen.

Eine tripolare Welt wird, schon per definitionem, merklich anders sein als eine bi- oder unipolare, und vorstellbarerweise sehr viel uneiniger, da etwa Donald Trumps Washington potenziell jeden Moment eine Krise entweder mit Moskau oder mit Peking provozieren kann, ohne erkennbare Gründe. Zudem ist in einer tripolaren Welt das Auftauchen von Krisenherden wahrscheinlicher. Während der gesamten Ära des Kalten Krieges gab es nur eine grundsätzliche Linie der Konfrontation zwischen zwei Hauptmächten: die Grenze zwischen NATO und den Warschauer-Pakt-Staaten in Europa. Jegliches Aufflackern von Konflikten entlang dieser Linie hätte tatsächlich eine brachiale Gewalt auf beiden Seiten auslösen können und mit größter Wahrscheinlichkeit zur Anwendung von atomaren sogenannten taktischen oder auf Kriegsschauplätzen eingesetzten Waffen geführt, was wiederum unvermeidlich einen totalen nuklearen Krieg nach sich gezogen hätte. Dank eines solchen Risikos entschlossen sich die politischen Führer*innen jener Supermächte schließlich zu verschiedenen deeskalierenden Maßnahmen, eingeschlossen der INF-Vertrag von 1987, der die Entwicklung von Mittelstreckenraketen, die solch eine Spirale ultimativer Zerstörung auslösen könnten, verbot – und dem nun die Auflösung bevorsteht.

Heute ist die Konfrontationslinie zwischen Russland und der NATO in Europa komplett wiederhergestellt (und seit neuestem bestätigt), und zwar dank der NATO-Osterweiterung während der Ära der Unipolarität bis nach Tschechien, Polen, Ungarn, Rumänien, zur Slowakei und den baltischen Republiken entlang einer Linie, die deutlich näher an russischem Territorium liegt. Am Verlauf dieser Linie sind, ganz wie zu Zeiten des Kalten Krieges, hunderttausende gut bewaffnete Soldat*innen positioniert, um sehr kurzfristig für umfassende Kampfhandlungen bereit zu sein.

Eine ähnliche Linie der Konfrontation wurde gleichzeitig in Asien etabliert. Sie reicht von den fernöstlichen Territorien Russlands bis zum ost- und südchinesischen Meer und in den Indischen Ozean. Im Mai wurde die Pazifische Heeresleitung des Pentagon in Hawaii in „Indo-pazifische Heeresleitung“ umbenannt, was die Ausweitung dieser Konfrontationsgrenze anzeigt. Auch an Punkten dieser Grenze treffen Flugzeuge und Schiffe der USA regelmäßig auf jene der chinesischen oder russischen Seite, oft auch auf Schussweite. Die bloße Tatsache, dass die drei Hauptatommächte nunmehr beständig um Positionen ringen und sich herum schubsen, um Vorteile über bedeutsame Teile des Planeten zu erheischen, lässt die Wahrscheinlichkeit für Zusammenstöße steigen, die ihrerseits eine Eskalationsspirale katastrophischen Ausmaßes auslösen könnten.

Der Krieg hat schon begonnen

Während des Kalten Krieges befanden sich die USA und die UdSSR in Feindseligkeiten gegeneinander verstrickt, die unterhalb des Niveaus bewaffneter Konflikte blieben, z.B. Propaganda und Kriegführung mittels Desinformation, oder auch extensive Spionagetätigkeit. Ebenso versuchten beide, ihren globalen Einfluss durch Stellvertreterkriege auszudehnen – diese wurden in dem Teil der Welt geführt, der Dritte Welt genannt wurde, und zielten auf die Unterstützung oder Eliminierung von Regimes, die loyal an der Seite des einen oder anderen Machtzentrums standen. Diese Konflikts produzierten zwar millionenfache Opfer, führten jedoch nie zum direkten Kampf der Militärs der beiden Supermächte (wenn auch jede Seite ihre Kräfte in Schlüsselregionen stationierte: die USA in Vietnam, die UdSSR in Afghanistan); ebenso wenig ließen die Beteiligten es dazu kommen, dass sich der Funke zum nuklearen Zusammenstoß zwischen ihnen entzündete. Zu damaliger Zeit trafen beide Länder eine scharfe Unterscheidung zwischen derartigen Operationen und dem Ausbruch eines globalen „heißen Krieges“.

Im 21. Jahrhundert nun sind die Grenzen zwischen „Frieden“ und „Krieg“ bereits im Verschwimmen, da die Mächte dieses tripolaren Wettstreits sich in Operationen gegenüberstehen, die zwar noch kein bewaffneter Konflikt sind, jedoch einige Charakteristiken zwischenstaatlicher Konflikte besitzen. Als beispielsweise Präsident Trump zum ersten Mal harte Importzölle und andere ökonomische Strafen gegen China ankündigte, war sein Ziel, wie er verlautbarte, einen unfairen Vorteil, den dieses Land sich in den Handelsbeziehungen verschafft habe, zu beenden: „Monatelang haben wir China dazu gedrängt, diese unfairen Praktiken zu beenden und amerikanischen Firmen faire und reziproke Bedingungen zuzugestehen“, so erklärte er Mitte September und gab die Verhängung von Zöllen auf chinesische Importe im Werte von weiteren 200 Milliarden Dollar bekannt. Offenkundig ist dieser eskalierende Handelskrieg auch dazu gedacht, die chinesische Wirtschaft zu behindern und so Pekings Bestrebungen zu frustrieren, mit den USA als Hauptakteur der Welt gleichzuziehen. Die Trump-Administration versucht, wie Neil Irwin in der New York Times schreibt, „China zu isolieren und erhebliche Veränderungen der chinesischen Handelspraxen zu erzwingen. Das letztliche Ziel … ist dabei, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und dem Rest der Welt auf Null zu bringen.“

Es heißt, dass es dem Präsidenten und seinen Verbündeten mit diesen Schritten vor allem darum geht, Pekings „Made in China 2025“-Plan zu behindern und das ambitionierte Vorhaben mit dem Ziel, die Oberhand im Bereich bestimmter Schlüsseltechnologien der globalen Wirtschaft zu erlangen (eingeschlossen künstliche Intelligenz und Robotik) zu sabotieren. Für China geht es mithin nicht bloß um eine Herausforderung im Rahmen eines Wettkampfs, sondern um eine potenziell existenzielle Bedrohung für den eigenen zukünftigen Status als Großmacht. Von daher sind Gegenmaßnahmen zu erwarten, die sehr wahrscheinlich zu einer weiteren Erosion der Linie zwischen Frieden und Krieg führen werden.

Und wenn es ferner irgendeinen Ort gibt, an dem solche Linien ganz besonders zu erodieren drohen, dann ist es der Cyberspace, eine zunehmend bedeutende Kampfarena der Welt nach dem Kalten Krieg. Einerseits Quelle unfassbaren Reichtums für Firmen, deren Kommunikation und Handel auf dem Internet beruht, ist der Cyberspace ebenso ein weitgehend unkontrollierter Dschungel, in dem Missetäter*innen Fehlinformationen verbreiten, Geheimnisse entwenden oder auch wirtschaftliche oder andere Unternehmungen von kritischer Bedeutung gefährden können. Seine offensichtliche Durchlässigkeit hat ihn zu einem Bonanza für Kriminelle und politische Provokateure jeder Gattung werden lassen, durchaus auch für aggressive Gruppen, die von Regierungen gesponsert werden, denen es darum geht, offensive Operationen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Kampfes zu lancieren oder erhebliche Gefahren für ein bestimmtes Land heraufzubeschwören. Wie zum Schrecken der US-Amerikaner*innen entdeckt wurde, haben Agenten der russischen Regierung sich die zahlreichen Verletzbarkeiten des Internets zunutze gemacht, um in die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 zu intervenieren. Und wie berichtet wird, tun sie dies auch weiterhin, um sich auch zwei Jahre später in die Wahlpolitik Amerikas einzumischen. Von China wird indessen angenommen, das Internet zu benutzen, um an US-amerikanische technologische Geheimnisse zu kommen, darunter auch Daten zum Design und zur Konstruktion hochentwickelter Waffensysteme.

Auch die Vereinigten Staaten haben offensive Cyber-Operationen begonnen, wie etwa im Jahr 2010 die bahnbrechende „Stuxnet“-Attacke, die vorübergehend die Urananreicherungsanlagen des Iran lahmlegte. Berichten zufolge gebrauchten die USA solche Methoden auch für den Versuch, nordkoreanische Raketenabschüsse zu beeinträchtigen. Es ist nicht bekannt, in welchem Maße sich US-Cyberattacken gegen China oder Russland richteten – doch mit einer neuen „Nationalen Cyber-Strategie“, wie sie von der Trump-Administration im August bekanntgegeben wurde, werden solche Vorgehensweisen noch sehr viel wahrscheinlicher. Mittels der Behauptung, diese Länder brächten durch ihre unausgesetzten Cyberattacken die nationale Sicherheit der USA in Gefahr, legitimiert unsere Regierung geheime Vergeltungsschläge.

Die Frage ist: Könnten Handelskrieg und Cyberkrieg eines Tages in einen regulären bewaffneten Konflikt führen?

Muskelspiele in gefährlichen Zeiten

Derartige Gefahren werden von einem weiteren unverwechselbaren Charakteristikum des neuen globalen Pulverfasses begleitet: dem ungebremsten Impuls des offiziellen Top-Personals der drei Mächte, ihre globale Durchsetzungsfähigkeit durch auffallende Zurschaustellung militärischer Macht zu bewerben, selbst durch das Vordringen in defensive oder anderweitige Einflussbereiche ihrer Rivalen. Dies kann unterschiedliche Formen annehmen, wie beispielsweise im Übermaß aggressive militärische „Übungen“ und die Entsendung von Kriegsschiffen in umstrittene Gewässer.

Immer massivere und bedrohlichere Militärübungen sind zu einem prägnanten Merkmal dieser neuen Ära geworden. Solche Operationen umfassen typischerweise die Mobilisierung von Großaufgeboten an Luft-, See- und Landstreitkräften für simulierte Kampfmanöver, die häufig in Gebieten abgehalten werden, welche an die Territorien des Rivalen angrenzen.

In diesem Sommer schellten beispielsweise die Alarmglocken der NATO, als Russland seine größte Militärübung seit dem II. Weltkrieg abhielt, „Wostok 2018“. Mit einer Truppenstärke von ganzen 300 000 Bewaffneten, 36 000 gepanzerten Fahrzeugen und über 1 000 Flugzeugen war diese Übung darauf abgestellt, die russischen Streitkräfte auf eine mögliche Konfrontation mit denen der USA und der NATO vorzubereiten, während gleichzeitig Moskaus Bereitschaft zu solch einem Gefecht signalisiert werden sollte. Die NATO, um nicht übertroffen zu werden, hielt vor kurzem ihrerseits ebenfalls ihre größte Übung seit dem Ende des Kalten Krieges ab. Unter dem Namen »Trident Venture« schloss diese eine Truppenstärke von 40 000 sowie 70 Schiffen, 150 Flugzeugen und 10 000 Bodenkampffahrzeugen in Manöver ein, die ebenfalls einen großen Zusammenstoß zwischen Ost und West in Europa simulieren sollten.

Solche periodischen Truppenmobilisierungen können zu gefährlichen und provokativen Schritten auf allen Seiten führen, insbesondere da Schiffe und Flugzeuge der konkurrierenden Kräfte in umstrittenen Gebieten wie der Baltischen See und dem Schwarzmeer manövrieren. Im Zuge eines Vorfalls im Jahr 2016 flogen russische Kampfjets provokativ in direkter Nähe eines US-Zerstörers, der durch die Baltische See fuhr, was um ein Haar zu einem Beschuss geführt hätte. Noch kürzer zurück liegt ein Zwischenfall, bei dem eine russische Maschine Berichten zufolge über dem Schwarzmeer einem US-amerikanischen Überwachungsflugzeug auf fünf Fuß nahe kam. Bisher wurde während solcher Vorfälle niemand getötet oder verwundet, aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann irgendetwas auf folgenschwere Weise schiefläuft.

Dasselbe gilt für chinesische und US-amerikanische Zusammentreffen im südchinesischen Meer. China hat einige tiefgelegene kleine Inseln und Atolle, die es in diesen Gewässern beansprucht, in Miniatur-Militärstandorte verwandelt, ausgestattet mit Landebahnen, Radaranlagen und Raketenladestationen – Schritte, die von den Nachbarländern der Region verurteilt wurden, welche die Inseln ebenfalls beanspruchen. Die Vereinigten Staaten, die vorgeben, im Namen ihrer Verbündeten in der Region zu agieren, sowie um die eigene „freie Schifffahrt“ in dem Gebiet zu schützen, haben versucht, Chinas provokativem Aufbau mit eigenen aggressiven Akten zu begegnen. Sie entsandten ihre Kriegsschiffe in Gewässer in nächster Nähe zu den befestigten Inseln. Als Antwort entsandte auch die chinesische Seite Schiffe, um die US-amerikanischen zu drangsalieren, und vor kurzem kollidierte eines von diesen um ein Haar mit einem US-Zerstörer. Vizepräsident Pence verlautete hierzu am 4. Oktober in einer Rede über China im Hudson Institute: „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen, und wir werden nicht klein beigeben.“

Es darf geraten werden, was als nächstes passiert, da das Bestreben, nicht klein beizugeben zu werden, sich derzeit in immer aggressivere Manöver übersetzt.

Auf dem Weg zum III. Weltkrieg?

All dies – Angriffe auf die Wirtschaft, Cyberattacken und ständig aggressivere Demonstrationen von militärischer Stärke zusammengenommen –, ergibt eine Situation, in der sich jeden Augenblick eine moderne Version der Raketenkrise auf Kuba zwischen den USA und China oder den USA und Russland, oder sogar zwischen allen dreien, entwickeln könnte. Diesem Risiko noch die Bestrebungen der politischen Führungen aller drei Länder hinzugefügt, die verbliebenen Beschränkungen gegenüber der Anhäufung von Atomwaffen zu annullieren, um ihre Arsenale noch erheblich anwachsen zu lassen, entsteht so das Abbild einer extrem gefährlichen Situation vor unseren Augen. Erst im Februar gab Präsident Trump grünes Licht für einen Deal, der für 1,6 Billionen Dollar eine Überholung der US-amerikanischen Nuklearwaffensysteme leisten könnte und eigentlich schon in den Obama-Jahren angedacht war, um die existierenden Trägersysteme zu „modernisieren“. Darin eingeschlossen sind interkontinentale Raketen, U-Boot-gesteuerte ballistische Raketen und Langstreckenbomber. Auch Russland zielt auf eine ähnliche Überholung seiner nuklearen Waffenlager, während China mit seinem weitaus kleineren Arsenal eigene Modernisierungsanstrengungen unternimmt.

Gleichermaßen besorgniserregend ist, dass alle drei Mächte die Entwicklung nuklearer Kriegswaffen zum Gebrauch gegen konventionelle Kräfte im Fall eines großen militärischen Flächenbrands anzustreben scheinen. Russland etwa hat verschiedene Kurz- und Mittelstreckenraketen entwickelt, die sowohl nukleare als auch konventionelle Sprengköpfe tragen können, etwa die Boden-Marschflugkörper des Typs 9M729, die US-amerikanischen offiziellen Stellen zufolge bereits gegen den INF-Vertrag verstoßen. Die Vereinigten Staaten, die sich gegenüber einer massiven Bedrohung mit konventionellen Waffen lange Zeit auf Flugzeuge als Träger von Nuklearwaffen verlassen hatten, suchen nun nach eigenen zusätzlichen Angriffsmöglichkeiten. Im Rahmen der Neuen Nuklearstrategie vom Februar 2018 wird das Pentagon die Entwicklung eines atomaren Sprengkopfs „mit geringer Reichweite“ für die vorhandenen konventionellen U-Boot-Raketen betreiben und plant im Weiteren die Bereitstellung einer atomar bestückten Rakete für den Einsatz auf See.

Während sie einerseits neue Waffensysteme wie die beschriebenen entwickeln und die Reichweite älterer Systeme auszudehnen versuchen, sind die Großmächte andererseits dabei, das verbliebene Gebäude der Rüstungskontrolle niederzureißen. Die Ankündigung von Präsident Trump am 20. Oktober, dass die USA vom INF-Vertrag von 1987 zurücktreten und im Alleingang neue Raketen entwickeln würden, stellt einen desaströsen Schritt in diese Richtung dar. „Wir werden diese Waffen bauen müssen“, sagte er Reporter*innen in Nevada nach einer Kundgebung. „Wir werden den Vertrag beenden und uns daraus zurückziehen.“

Wie aber reagiert der Rest von uns auf solch eine erschreckende Aussicht in einer immer gefährdeteren Welt? Wie können wir das Tempo des Rennens hinein in den III. Weltkrieg verlangsamen?

Es gibt eigentlich vieles, das getan werden könnte, um sich einer neuen Konfrontation mit Nuklearwaffen entgegenzustellen. Schließlich war es massiver öffentlicher Druck, der in den 1980er Jahren dazuführte, dass die USA und die UdSSR als erste Staaten den INF-Vertrag unterschrieben. Doch dazu muss zunächst als eine zentrale Bedrohung unserer Zeit ein neuer Weltkrieg erkannt werden, eine Gefahr, die womöglich noch höher ist als zu Zeiten des Kalten Krieges. Nur indem dieses Risiko als prioritäre Bedrohung klargemacht und aufgezeigt wird, wie sehr das Durcheinander anderer Entwicklungen in eben solch eine Richtung drängt, kann die Aufmerksamkeit der bereits durch so viele andere Belange und Probleme in Beschlag genommenen globalen Öffentlichkeit wieder in den Fokus gelangen.

Ob ein atomarer III. Weltkrieg noch zu verhindern ist? Ja, aber nur, wenn seine Verhinderung zu einem zentralen, gemeinsamen Ziel unserer Zeit wird. Und die Zeit läuft bereits ab.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 30. Oktober 2018 in  (c) Tom Dispatch [1].