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Mehr Mut – Über Anspruch und Wirklichkeit linker Justizpolitik

Von Ronald Pienkny und Volkmar Schöneburg

Zehn Jahre lang war die LINKE in Brandenburg für das Justizressort verantwortlich. Sie kämpfte – anders als von bürgerlicher Seite unterstellt – für eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Wichtige Vorhaben linker Rechtspolitik konnten auf den Weg gebracht werden. Doch es fehlte der Mut, als Landesregierung mit der schwarzen Null zu brechen.

Dieser Beitrag erscheint in unserer Reihe Regieren? Und wenn ja, wie?  [1]Hier werden bisherige E­rfahrungen und unterschiedliche Perspektiven auf linke Regierungsbeteiligung diskutiert.

Es gehörte zu den folgenschweren Irrtümern des implodierten Staatssozialismus, dass die Rechtsstaatskonzeption nichts anderes als eine bombastische Phrase sei. Geschuldet war dies der Tatsache, dass das Recht in der DDR auf seine Instrumentalität reduziert wurde. Es war Funktion der Macht, aber nicht deren Maß. Begreift man jedoch den Rechtsstaat und seine anerkannten, verfassungsrechtlich verankerten Grundsätze als Limitierung der Staatsgewalt im Interesse der Bürger*innen, so wird deutlich, dass an ihnen kein Freiheitsweg vorbeiführt. Das Rechtsstaatsprinzip ist ein Strukturprinzip. Es garantiert Rechtssicherheit, sagt aber andererseits nichts über die Rechtsrichtigkeit. Noch immer sind nämlich Rechtsverhältnisse in die Rechtsform übersetzte soziale Machtverhältnisse. Aber die rechtsstaatlichen Grundsätze bieten Möglichkeiten für eine Demokratisierung von Staat und Gesellschaft.

Insofern war es unser politisches Bestreben, nachdem wir mit der Bildung der ersten Koalition zwischen SPD und Linkspartei in Brandenburg am 9. November 2009 in das Justizministerium einzogen zur Stärkung des Rechtsstaates beizutragen. Als „Unrechtsstaatsleugnern“ schlug uns dabei eine frostige Atmosphäre entgegen. Im Folgenden sollen einige herausgehobene Projekte darstellen, wie unsere Arbeit im Justizministerium die Rechtsstaatlichkeit stärken konnte – wohl wissend, dass in unserer Verfassungsordnung ein Missverhältnis zwischen der Rechts- und Sozialstaatlichkeit besteht.

Gerichtsstandorte erhalten

Eines der ersten Projekte der fünften Wahlperiode lag auf der Hand.  Das von der alten Landesregierung aus SPD und CDU vorbereitete Konzept zur Schließung von bis zu sieben Gerichtsstandorten in der Fläche des Landes musste trotz der Beharrlichkeit des Koalitionspartners abgelehnt werden. Das Vorhaben, das sogar die Schließung eines ganzen Landgerichtsbezirk in Erwägung zog, war eingebettet in eine Polizeireform und eine Verwaltungsmodernisierung, die verfassungsrechtlich sehr bedenklich war und auch die Justiz erfassen sollte. Was wir nicht erwartet hatten, war, dass ein Konzept, das auf die Abschaffung einer bürgernahen Justiz im Flächenland Brandenburg zielte, auch in unseren Reihen aus finanziellen Gründen zum Teil befürwortet wurde.

Demgegenüber vertraten wir den Standpunkt, dass die Justiz nicht unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt werden dürfe. Unser Maßstab war das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der Bürger*in auf ein zügiges und faires Verfahren. In einem Flächenland sind kurze Wege zu den Gerichten die Voraussetzung für eine bürgernahe Justiz. Außerdem gilt, dass Konflikte dort gelöst werden sollten, wo sie entstanden sind. Zudem war es angesichts rechter und rechtsradikaler Vorfälle in Brandenburg für die LINKEN im Justizministerium undenkbar, sich aus der Fläche zurückzuziehen und den „Rechten“ symbolisch das Feld zu überlassen.

Es folgten harte Auseinandersetzungen, die sich nicht nur auf den Koalitionspartner beschränkten. Doch am Ende war das von dem durch die LINKE geführten Justizministerium erarbeitete „Gesetz zur Neuordnung von Land, Amts- und Arbeitsgerichtsbezirken und zur Änderung von Vorschriften der Gerichtsorganisation“ von 2011 nicht nur Ausdruck einer zukunftssichernden, effektiven, bürgernahen und in der Fläche präsenten Rechtspflege, sondern auch der erste Erfolg linker Justizpolitik in Brandenburg – einer Politik, die die unabhängige Justiz und ihre verfassungsrechtlich garantierte Stellung zu verteidigen wusste.

Autonomie der Justiz bewahren

Gerade vor dem Hintergrund entfesselter Finanz- und Wirtschaftssysteme muss die sogenannte Dritte Gewalt im Sinne einer sozialen und rechtsstaatlichen Entscheidungsmacht aufgewertet werden. Insofern war es nur konsequent, dass sich Brandenburg auf Bundes- und Landesebene für einen Ausbau der Autonomie der Justiz einsetze. Dazu zählt auch die Aufhebung des Weisungsrechts der Justizminister gegenüber den Staatsanwaltschaften. Hierfür wurde im Frühjahr 2010 die „Projektgruppe Richterliche Selbstverwaltung“ ins Leben gerufen. Sie sollte Vorschläge für ein gemeinsames Richtergesetz der Länder Brandenburg und Berlin erarbeiten und gleichzeitig konkrete Überlegungen zu einer autonomen Justiz anstellen. Ein Erfolg war die Novellierung des Brandenburger Richterrechts (2012/19), das mit seinen weitgehenden Mitbestimmungsrechten zu einer Demokratisierung der Justiz beiträgt.

Strafvollzug: Rechte der Gefangenen stärken

Zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen gehört, dass Legislative und Exekutive an den Normbestand der Verfassung gebunden sind. Bereits 1973 leitete das Bundesverfassungsgericht aus dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 GG) den Anspruch des Strafgefangenen auf Resozialisierung ab. Der Gefangene solle nicht als „Outlaw“ begriffen werden, der sich außerhalb der Gesellschaft gestellt hat. Vielmehr bleibe er Mitglied der Gesellschaft mit einem Anspruch auf soziale Hilfe. Diesen Anspruch auf Resozialisierung hat das Land Brandenburg 1992 in seine Verfassung aufgenommen (Art. 54). Um ihn mit Leben zu erfüllen, erarbeitete das durch die LINKE geführte Justizministerium den Entwurf eines Justizvollzugsgesetzes, der 2013 vom Parlament verabschiedet wurde.

So wenig man einem Nichtschwimmer das Schwimmen auf dem Trockenen beibringen kann, so schwierig ist es, einen Menschen unter den Bedingungen der Unfreiheit zu einem gesetzeskonformen Leben zu befähigen. Der Knast ist zuerst ein Ort der Fremdbestimmung, der Machtdemonstrationen und Gewalt. Unser Gesetzesentwurf sollte demgegenüber die Resozialisierung und die Rechte der Gefangenen stärken. Dazu gehören die Erhöhung der Besuchszeit, die Senkung der Hürden für Lockerungsentscheidungen, die Schaffung von Wohngruppen und die Stärkung des Offenen Vollzugs. Außerdem muss frühzeitig die Entlassung in den Blick genommen werden, da vor allem Arbeit und Wohnung elementare Voraussetzungen für eine gelingende Wiedereingliederung sind. Mit diesem seit 2013 geltenden Gesetz ist Brandenburg bundesweit beispielgebend. Aus heutiger Sicht sind jedoch vor allem die Ermessenstatbestände nicht konsequent genug reduziert worden. Ein zu weites Ermessen der Gefängnisleitung bei Entscheidungen ermöglicht es der Verwaltung, die Intentionen des Gesetzes zu unterlaufen.

Sicherungsverwahrung entschärfen und perspektivisch abschaffen

Die Sicherungsverwahrung wird von der LINKEN aus verfassungs- und menschenrechtlichen, humanitären und historischen Gründen abgelehnt. Dieses Instrument ist schon durch seine Nähe zur NS-Gesetzgebung vergiftet und ermöglicht es, einen Menschen nach Verbüßung seiner nach Tatschwere und Schuld bemessenen Strafe ein Leben lang gefangen zu halten. Ihm wird somit sein Recht auf Freiheit abgesprochen, nach dem er die eigentliche Strafe schon verbüßt hat.

Im Dezember 2009 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung in Deutschland, die seit 1998 kontinuierlich verschärft wurde, menschenrechtswidrig sei. Das eröffnete die Möglichkeit, in der Debatte um die anstehende Neuausrichtung der Sicherheitsverwahrung Druck von links zu machen und mit rechtsstaatlichen Argumenten wenigstens zur Entschärfung dieser Sanktion beizutragen. So kritisierte Brandenburg 2010 im Bundesrat den Versuch der Bundesregierung, die gesetzlichen Grundlagen der Sicherheitsverwahrung nur kosmetisch zu verändern, scharf und formulierte fünf Änderungsanträge zum Gesetzentwurf. Die Anträge fanden zwar keine Mehrheit, aber im Mai 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht mit ähnlichen Argumenten das gesamte Recht der Sicherheitsverwahrung für verfassungswidrig und beauftragte den Bundes- und Landesgesetzgeber, die Materie bis zum Mai 2013 neu zu regeln. Dass die Sicherheitsverwahrung auf der Basis eines Landesgesetzes in Brandenburg inzwischen stärker therapie- und freiheitsorientiert vollzogen werden kann, ist auch dem Druck von links geschuldet.

Jugendarrest: Kein Warnschuss, sondern soziales Training

Auf dem Feld der strafrechtlichen Sanktionen ist ein drittes Beispiel zu nennen, das den Gebrauchswert linker Justizpolitik in Regierungsverantwortung deutlich macht: das Brandenburger Jugendarrestvollzugsgesetz (2014). Der Jugendarrest, der ebenfalls auf die Nazigesetzgebung zurückgeht, disqualifiziert sich schon durch die hohe Rückfallquote von etwa 70 Prozent. Er gehört somit abgeschafft, doch das unterliegt nicht der Gesetzgebungskompetenz eines Bundeslandes. Die Länder können jedoch den Vollzug des Jugendarrestes regeln. Hier nahm Brandenburg eine Voreiterrolle ein. Der Arrest wurde nicht länger als „Warnschuss“ konzipiert, sondern erzieherisch, als stationäres soziales Training. Er wurde zudem bundesweit erstmals auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, was bei einem solch gravierenden Grundrechtseingriff überfällig war. Im Ministerium ging der größte Widerstand gegen das Projekt von der damaligen Abteilungsleiterin des Strafvollzugs, Susanne Hoffmann, aus. Sie ist heute die von der CDU gestellte Justizministerin.

Mehr Personal in den Sozialgerichten

Aufgrund ihrer Zuständigkeiten lag uns zudem die Sozialgerichtsbarkeit besonders am Herzen. Hier werden alle Themen, die mit der Sozialversicherung zu tun haben, verhandelt. Zentral ist auch hier der aus dem Rechtsstaatsprinzip erwachsende Justizgewährungsanspruch, also das Recht des Einzelnen auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen Gericht. Dieser Anspruch ist auch in der Brandenburger Landesverfassung explizit benannt, ihm musste aber unsere Ansicht nach deutlich mehr Rechnung getragen werden. Insbesondere den Betroffenen der unsozialen und auch handwerklich schlecht gemachten Hartz-IV-Gesetzgebung, musste die Chance eingeräumt werden, ihre Bescheide schnell auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen.

Die Lage an den Sozialgerichten war schon angespannt, obgleich die große Klagewelle in den ALG-II-Verfahren (Hartz IV) noch bevorstand. Von 2004 bis 2009 hatten sich die Eingänge bei den Klageverfahren aller Sozialgerichte von 11 613 auf 18 509 erhöht, ohne dass zusätzliches Personal dauerhaft eingestellt wurde. Insbesondere im sogenannten mittleren Dienst war eine übergroße Anzahl lediglich befristeter Aushilfskräfte zu finden.

Noch im Dezember 2009 konnte dies durch 28 Entfristungen und durch Neueinstellungen, – das entsprach weit mehr als einem Viertel der Beschäftigten in diesem Bereich –, nachhaltig geändert werden. Dabei handelte es sich überwiegend um Verträge mit meist in Brandenburg ausgebildeten Justizfachangestellten, denen damit eine soziale Perspektive gegeben wurde. Wie noch lange später berichtet wurde, waren die Weihnachtsfeiern 2009 in den Sozialgerichten ganz besonders fröhliche.

Die Situation bei den Sozialgerichten hatte sich damit jedoch noch nicht entspannt, da der Höhepunkt der ALG-II-Klagen die Sozialgerichte erst in den Jahren 2011–2013 erreichen sollte und auch später lediglich maßvoll zurückging. Die Personalausstattung der Sozialgerichtsbarkeit wurde so zu einem Dauerprojekt unserer Politik.

Den Verfahrensstau abarbeiten

Ein weiteres Augenmerk richteten wir auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit, also Gerichte, die sich um Streitthemen zwischen Behörden und Bürger*innen kümmern. Sie sind zum einen wichtig, um die die subjektiven Rechte der Bürger*innen zu gewährleisten. Zum anderen üben sie aber auch eine Herrschaftskontrollfunktion aus, indem sie sicherstellen, dass die Exekutive in dem von der Legislative gesetzten Rahmen bleibt.

Sehr erfolgreich, zumindest bis zum massenhaften Anstieg der Asylverfahren, war der Abbau von Altbeständen an den Verwaltungsgerichten. Das sind unerledigte Verfahren, die seit mindestens 21 Monaten nicht zum Abschluss gebracht wurden. Die hohen Fallzahlen mit inakzeptablen Verfahrenslaufzeiten bei tatsächlich mangelnder Personalausstattung waren ein Erbe der SPD/CDU-Koalition. Um dem entgegenzuwirken, wurde zum 1. Oktober 2010 das „Konzept zum Abbau der Altverfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Brandenburg“ ins Leben gerufen. Dafür wurden junge Richter*innen aus anderen Bereichen für drei Jahre an den Verwaltungsgerichten eingesetzt.

Nach Abschluss der Maßnahme, Ende September 2013, zeigte sich, dass trotz des hohen Anstiegs der Neueingänge die Altverfahren drastisch reduziert werden konnten. Beim Verwaltungsgericht Potsdam reduzierte sich die Anzahl von 2.255 Verfahren auf 492 Verfahren, beim Verwaltungsgericht Frankfurt Oder von 1 251 auf 444 Verfahren und beim Verwaltungsgericht Cottbus von 438 auf 199 Verfahren. Damit sanken auch die durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten um mehr als 40 Prozent. Hier zeigte sich, dass linke Justizpolitik im Land Brandenburg tatsächlich gestalten konnte.

Prozesskostenhilfe für Einkommensschwache

Die Tragweite linker Rechtspolitik über das Land Brandenburg lässt sich auch am Beispiel der Prozesskostenhilfe zeigen. Sie regelt die Übernahme von Gerichts- und Anwaltskosten durch den Staat bei Mittellosigkeit. Das entscheidet wesentlich darüber, ob der Zugang zu den Gerichten allen gleichermaßen offensteht oder Einkommensschwachen faktisch unmöglich gemacht wird.

Im Mai 2013 verabschiedete der Bundestag das sogenannte zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Hintergrund war eine jahrelange Diskussion um die Forderung der Bundesländer, den Ausgabenanstieg im Bereich der Prozesskosten- und Beratungshilfe einzudämmen und den Kostendeckungsgrad der Justiz zu verbessern. Denn obwohl der Rechtsstaat nicht unter Finanzierungsvorbehalt steht, waren die Haushalte der Justiz in vermutlich allen Ländern chronisch unterfinanziert. Und das, obgleich die Justiz über Kosten und Gebühren einen Großteil ihrer Finanzierung selbst aufbringen kann.

In langwierigen und intensiven Verhandlungen zwischen Bund und Ländern nahm das linke Brandenburger Justizministerium eine deutlich vernehmbare Position ein, sie sich von allen anderen wesentlich unterschied: Denkbar waren für uns nur sozial ausgewogene Änderungen der Prozesskosten- und Beratungshilfe, niemals dürften Anpassungen einseitig zulasten von sozial Schwachen gehen. Nicht nur sozialpolitische, auch verfassungsrechtliche Argumente konnten wir in die Diskussionen bringen. In diesem Sinne urteilte im Februar 2010 auch das Bundesverfassungsgericht: der Justizgewährungsanspruch und das Sozialstaatsgebot beinhalteten ein unverfügbares Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das im Recht der Prozesskostenhilfe unbedingt zu beachten sei. Im Recht seien alle gleich und niemand dürfe gezwungen werden, zur Verfolgung eigener Rechte sein Existenzminimum einzusetzen.

Das Ergebnis war letztendlich ein Kompromiss, aber ein außerordentlich beachtlicher. Noch während des Gesetzgebungsverfahrens des Bundestages wurden letztere Änderungen auf Druck Brandenburgs erreicht. Unsere linken Positionen fanden sich erkennbar in dem am Ende verabschiedeten Gesetz wieder.

Die LINKE als Korrektiv neoliberaler Sicherheitspolitik

Im Strafrecht ist seit den 90er Jahren ein schleichender Paradigmenwechsel vom Ideal eines (rechtsstaatlichen) fragmentarischen Strafrechts hin zum Versprechen lückenloser Sicherheit durch Prävention zu beobachten. Kriminolog*innen sprechen von einem Übergang von der „post-crime logic“ zu einer „pre-crime logic“.

Dieser Übergang zeigt sich in einer allmählichen Verdrängung des freiheitlich verfassten Schuldstrafrechts durch ein präventiv und polizeilich orientiertes Sicherheitsstrafrecht. In diesem Kontext produziert der Bundestag zunehmend unbestimmte Strafrechtsnormen. Diese politische Produktion von Strafgesetzen dient dabei nicht nur der realen Strafverfolgung, sondern wird für die symbolische Demonstration von Handlungsfähigkeit, Werten, Macht und Einfluss missbraucht. Es gibt kaum gesellschaftliche oder soziale Probleme, für die nicht strafrechtliche Lösungen angeboten werden. Strukturveränderungen, mit denen tatsächlich Einfluss auf die Probleme genommen werden könnte, geht die Politik in der Regel nicht an. Gesellschafts- und Sozialpolitik wird durch eine Strafrechtspolitik zu Lasten der Grundrechte ersetzt, während die Justiz mit präventiv-gestaltenden Steuerungsaufgaben überfordert wird. Durch beide Phänomene wird gegen das Fundament des Rechtsstaates verstoßen. Zum einen gegen das Prinzip der Gesetzlichkeit („keine Strafe ohne Gesetz“) und zum anderen gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung der unterschiedlichen staatlichen Hoheitsbereiche.

Gegen diese Tendenzen musste und muss linke Justizpolitik als Korrektiv wirken. Sie muss verdeutlichen, dass durch Strafverschärfungen weder gesellschaftliche noch individuelle Änderungen zu erreichen sind. Ob Dopingbekämpfung im Sport, der Schutz gegen Stalking oder die Bekämpfung des Terrorismus – neue oder höhere Strafen bewirken mitnichten mehr Schutz oder weniger Kriminalität. Eine solche Kausalität gibt es nicht.

Die Justizpolitik der LINKEN als Gegenentwurf

Die LINKE muss Grund- und Persönlichkeitsrechte konsequent schützen, durchsetzen und ausbauen, mit einem Fokus auf dem Sozialstaatsprinzip und der Menschenwürde. Sie darf vor allem nicht in den Ruf nach mehr und härteren Strafen einstimmen. Vielmehr muss sie die liberale, rechtsstaatliche Funktion des Strafrechts, staatliche Eingriffe zu begrenzen, verteidigen.

Das Strafrecht besteht eben nicht nur aus Strafandrohungen, sondern auch aus der Sicherung von Verfahren und der Zusage von Garantien für die Akteure in diesen Verfahren. Eine grundrechtsorientierte Kriminalpolitik ist muss auch Alternativen zur überkommenen staatlichen Strafen stärken, die unter Umständen eine bessere präventive Wirkung entfalten. Ein Beispiel dafür ist der Täter-Opfer-Ausgleich. Daneben muss das Phänomen der Kriminalität immer wieder in den sozialen Kontext gestellt werden. Das Hauptaugenmerk bei der Kriminalpolitik muss auf strukturelle Benachteiligungen im ökonomischen, sozialen und erzieherischen Institutionsgefüge der Gesellschaft gelegt werden. Nicht mehr Repression, sondern mehr Prävention war unser Credo in den rechtspolitischen Auseinandersetzungen.

Auf anderen Rechtsgebieten müssen die Instrumentarien des Rechtsstaates konsequent genutzt werden. Ein Gericht muss zügig entscheiden können, ob etwa Ansprüche der Bürger*in bestehen oder ob Investitionsvorhaben hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit rechtmäßig sind. Dafür braucht es Gerichte und Staatsanwaltschaften. Der resozialisierende Strafvollzug braucht das notwendige, gut qualifizierte Personal. Es sollte auf der Hand liegen, dass eine linke Justizpolitik, die diese Grundlagen schafft, ein wesentlicher Gewinn für die gesamte Gesellschaft ist.

Finanzielle Spielräume erkämpfen

Die Reduzierung der Beschäftigten in der Landesverwaltung auf ca. 40 000 wurde durchaus zutreffend als „Eintrittskarte“ für die Regierungsbeteiligung der Linken in Brandenburg bezeichnet. Dem lagen vor allem die düsteren Aussichten bei den Landesfinanzen zugrunde.

So ging man noch im Januar 2011 von einem Haushaltsvolumen für 2014 von 9,556 Mrd. Euro aus. Im Vergleich dazu betrug das veranschlagte Haushaltsvolumen für das abgelaufene Jahr 2010 noch 10,511 Mrd. Euro. In allen Bereichen, vor allem bei Justiz und Polizei, sollten massiv Stellen eingespart werden. Eine Haushaltskonsolidierung und radikale Einsparungen schienen unumgänglich.

Die Rahmenbedingungen änderten sich jedoch in den folgenden Jahren gravierend. Wider Erwarten stiegen die Steuereinnahmen des Landes erheblich. Dies führte für 2014 zu einem Haushaltsvolumen von 10,654 Mrd. Euro, also über eine Milliarde Euro mehr als drei Jahre zuvor angenommen, ohne neue Kredite aufzunehmen. Zudem wurden ab Juli 2015 die Einnahmen bei einer wesentlichen Landessteuer durch Anhebung der Grunderwerbssteuer erhöht. Die günstigen konjunkturellen Entwicklungen und die stabil hohen und weiter steigenden Steuereinnahmen führten zu einer Rücklage bei den Landesfinanzen von weit über zwei Milliarden Euro. Auch darüber hinaus waren die Bedingungen zur Umsetzung sozialer linker Politik in Brandenburg so glänzend wie nie. Doch warum gelang es nicht, mehr damit zu machen?

Genau hier liegt der Kardinalfehler der LINKEN als Regierungspartei in Brandenburg. Ohne aus den Fehlern anderer Regierungsbeteiligungen zu lernen und im krassen Gegensatz zu linker Politik auf Bundesebene und den eigenen Forderungen auf der harten Oppositionsbank wurde „die schwarze Null“ zum Inbegriff linker Politik in Brandenburg. Das Land sozial gestalten, ja nachhaltig verändern zu wollen, wurde auf einzelne Leuchtturmprojekte beschränkt und so weitgehend aufgegeben. Investitionen in Infrastruktur, in Bildung, in die Beschäftigten, in soziale Institutionen und Projekte standen immer unter Finanzierungsvorbehalt.

Politisch gescheitert sind wir letztlich also an unserem eigenen Anspruch. Obgleich es für eine solidarische Partei ungewöhnlich ist, wurde stets gefordert, Mehrausgaben an einer Stelle durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen. Die Folge waren Verteilungskämpfe. Nicht selten wurde dann Ministerkolleg*innen der LINKEN, die die Einsparvorgaben nicht mittragen konnten oder wollten, unsolidarisches Verhalten vorgeworfen.

Konterkariert wurden so auch die Erfolge, die wir etwa bei der Ausstattung der Gerichte, insbesondere in der Verwaltungsgerichtsbarkeit erzielt hatten. Sie wurden durch ein unzureichendes personelles Nachsteuern aufgrund des dramatischen Anstiegs vor allem der Asylverfahren in den Jahren 2016 und 2017 gefährdet. Erst auf massiven Druck aus dem Ministerium, dem Landtag und aus der Gerichtsbarkeit selbst, wurden, neue Stellen geschaffen, mehrfach nur über einen Sonderweg im Haushaltsausschuss des Landtages Brandenburg. Um den verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein zügiges Verfahren zu gewährleisten und der Anhäufung von Altverfahren entgegenzuwirken, geschah dies deutlich zu spät.

Letztlich hat die LINKE damit die Möglichkeit weitgehend verpasst, hier politische und tatsächliche Handlungsfähig- und Gestaltungswilligkeit zu demonstrieren, bei einem Thema, das man dankbar zur politischen Profilierung hätte aufgreifen können.

Diese Art von Austeritätspolitik fand eine bemerkenswerte Zuspitzung in den Informationen des Finanzministeriums über den politischen Gestaltungsspielraum. Ob von Landesregierung, Landtagsfraktionen oder Partei  − regelmäßig wurde Brandenburg als finanziell de facto handlungsunfähig dargestellt, ungeachtet der jährlich rasant steigenden Einnahmen, der vorgenommenen Schuldentilgungen und der gleichwohl evident steigenden Rücklagen. Die Haushaltsmittel schienen immer schon längst ausgegeben und jegliches fachliche und politische Hinterfragen wurde als persönlicher Affront gewertet.

Die Folgen für den Rechtsstaat und für die linke Justizpolitik waren verheerend. Trotz deutlicher Korrekturen zum Ende der letzten Wahlperiode war es nur im Ansatz möglich, den Koalitionsvertrag zwischen SPD und LINKEN im Bereich der Justiz umzusetzen. Durch das prinzipielle Festhalten am Stellenabbau, weitgehend losgelöst von verfassungsrechtlichen Vorgaben und gesetzlichen Notwendigkeiten, wurden wir insbesondere bei den Kernthemen unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, etwa einer humanitären Gestaltung des Strafvollzugs und der akzeptablen Personalausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Im Strafvollzug wurde so die Umsetzung der deutschlandweit modernsten Landesvollzugsgesetze gefährdet.

Auch innerhalb der Landesregierung ist es uns nur zu einem kleinen Teil gelungen, auf sachgrundlos befristete Beschäftigungsverhältnisse zu verzichten. Dies war angesichts des guten Startes Ende 2009 innerhalb des Justizressorts besonders misslich. Getragen von der entsprechenden bundesweiten Kampagne der LINKEN waren die Hoffnungen groß. Doch in der Praxis wurden viele Arbeitsverträge für dauerhaft anfallende Tätigkeiten befristet abgeschlossen. Hier zeigte sich: Allein die politische Forderung nach einer Abschaffung von Befristungen reicht nicht aus. Es hätten stellenwirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um die Forderung auch umzusetzen. Am Ende steht und fällt damit auch die eigene Glaubwürdigkeit.

Die LINKE als Rechtsstaatspartei

Wir sehen immer noch Nachholbedarf, was den Stellenwert linker Justizpolitik für linke Politik allgemein angeht: sie ist essentiell für soziale Gerechtigkeit, für Bildungsgerechtigkeit, für die Zähmung neoliberaler und kapitalistischer Auswüchse. Dies erfordert nicht nur das notwenige Wissen, sondern vor allem den Mut, das Grundgesetz und das bestehende Recht links zu interpretieren und sich der Erosion des Rechtsstaates entgegenzustellen. Es erfordert noch mehr Mut, in Regierungsverantwortung konsequent linke Politik in Recht umzusetzen.

Linke Justizpolitik muss deutlich stärker als Mittel und Hebel genutzt werden, um die Gesellschaft sozial gerecht zu ändern, die Bürger*innen auch vor ungerechtfertigten Eingriffen des Staates zu schützen, ihnen soziale und rechtsstaatliche Sicherheit zu geben. Den demokratischen und sozialen Rechtsstaat links, innovativ und mutig zu gestalten, darf für uns LINKE keine bloße Utopie, kein Wahlversprechen bleiben. Nicht Austerität, sondern Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip müssen die Leitlinien jeder linken Politik bleiben. Linke Justiz- und Rechtspolitik muss innenpolitisch so selbstverständlich die Basis, die Maxime und der Maßstab sein wie das Völkerrecht außenpolitisch.

Dies ist umso wichtiger für einen erfolgreichen Kampf gegen eine im bürgerlichen Gewand daherkommende Rechtsnationalisierung der gesellschaftlichen Mitte und damit der AfD und ihrem billigen Populismus.

Um das Profil der LINKEN als Partei der Schwachen, der Ausgegrenzten aber auch als Partei der Bürgerrechte, der Grund- und Persönlichkeitsrechte im Digitalen Zeitalter zu schärfen, muss linke Justiz- und Rechtspolitik weiter ins Zentrum der politischen Arbeit gerückt werden.

Zehn Jahre linke Justizpolitik in Brandenburg waren keine verlorenen Jahre, weder für die Gesellschaft noch für die Partei. Mit mehr Mut hätte die LINKE jedoch den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt signifikant stärken und die Gesellschaft sozial deutlich gerechter gestalten können. Für die Zukunft möge es frei nach Ernesto „Che“ Guevara lauten: Seien wir mutig, versuchen wir das Unmögliche.