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Alles wird Gut – Editorial 2-2010


»Alles wird gut«: Machtlose und Mächtige versuchen sich an neuen Texten, Horizonten und neuer Emphase. Solange der Neoliberalismus als organisierende Ideologie des globalen Finanzkapitalismus gut fungierte, hat die Macht des Faktischen Zustimmung, zumindest Resignation organisiert. Das ist in Krisenzeiten anders. Dem wirtschaftspolitischen Vordenker der britischen Konservativen Philip Blond etwa schwebt ein »tugendhafter Kapitalismus« vor; hierzulande werden Konzepte eines »guten Kapitalismus« auch von links debattiert. »Verbesserungen sind möglich, Veränderungen müssen nicht an die Wurzeln gehen« scheint das Mantra; sogar: »Ein anderer Kapitalismus ist möglich« (Hengsbach). Sicherlich: Transformation über den Kapitalismus hinaus muss immer mit Veränderungen von Kräfteverhältnissen, der Ausweitung von Spielräumen hier und jetzt beginnen. Doch wenn das Andere im Grunde das Immergleiche ist – nur »gut« eben – wird der utopische Horizont besetzt und die transformatorische Fantasie begrenzt, ohne das ganz Andere in den Blick zu nehmen. Dieser »Wellnesskapitalismus« rechnet mit der Annehmlichkeit, dass die Widersprüche des Gegebenen ohne grundlegende Veränderungen verschwinden. Eine zähe Täuschung.»Alles wird gut« untersucht die Versprechungen: guter Kapitalismus, guter Unternehmer, gute Gesundheit, gute Arbeit und gutes Leben. Oftmals brechen die Konzepte Kämpfen und Forderungen die kapitalismuskritische Spitze ab, kanalisieren sie in verträgliche Formen. Doch kann nur ruhig gestellt werden, was unruhig ist: Mit dem Bezug aufs »Gute« verbinden sich Kampfperspektiven und Lebensansprüche. Die »gute Arbeit« kann sich auf Forderungen nach sicherer Beschäftigung und existenzsichernden Löhnen beziehen – was viel ist, aber halbiert. Wenn sie Veränderung der Produktionsverhältnisse und Selbstbestimmung in der Arbeit ins Zentrum stellt, gewinnt sie Dynamik. Das Gute verweist aufs Utopische, das es anzueignen und zu konkretisieren gilt. Brechts Kommunarden wollen das »gute Leben« in »eigener Führung« aufbauen und verbinden damit materielle Ansprüche: Wohnen, Wärme, guter Lohn.

In den Anden hat Buen Vivir – das gute Leben – in den letzten Jahren alle politischen Sphären durchdrungen, bis in die bolivianische und die ecuadorianische Verfassung. Darin verbinden sich Veränderung und Rückbesinnung, ein gutes Leben mit Selbstbegrenzungen auf Produktions-, Konsum- und Lebensweisen. Die Wurzeln des Konzeptes reichen in indigene Sichtweisen wie Sumak Kawsay der Quichua und das Suma Qamaña der Aymara. Und es speist sich aus kritischen Theorien und emanzipatorischen Kämpfen. Es dient als Leitfaden in transformatorischen Praxen. Wir stellen eine ecuadorianische und eine bolivianische Version vor. Das Konzept wird viel und kontrovers diskutiert. Die jeweiligen gesellschaftlichen und natürlichen Voraussetzungen des Buen Vivir sind mitzudiskutieren. Es bleibt zu sehen, ob und wie es in andere als ländlich-indigene Kontexte übersetzt – beispielsweise auf urbane Lebensweise oder die Situation in den hochindustrialisierten Ländern des »globalen Norden«. Auch hier verbinden sich unterschiedliche Hoffnungen und Erwartungen mit ihm. Von indigener Seite werden »westliche« Vorstellungen von Modernisierung, Entwicklung und Fortschritt kritisiert. Andere, meist im Norden, verbinden damit die Hoffnung auf Wohlstand und Wachstum.

Aber die Diskussion liefert Anstöße, um Kultur und Lebensweise in der Transformation von Staat und Ökonomie mitzudenken. Bereits die Zapatistas haben in Mexiko die juntas del bien gobierno eingerichtet – Zusammenkünfte einer guten Regierung, Selbstregierungen der Gemeinden. Jede und Jeder übernimmt im Rahmen eines Rotationsprinzips Regierungs- und Verwaltungsaufgaben – alle sind Regierende und Regierte. Überkommene Praxen werden in Frage gestellt: Hierarchien, Sexismus, Alkoholismus, Gewalt. Hier richtet sich das »Gute« auf Veränderung von Verhältnissen und Selbstverhältnissen, auf In-Bewegung-Setzen, eine andere Entwicklung. Ein Prozess, der durch militärische und alltägliche Gewalt gefährdet ist. Die Subjekte der Veränderung stehen hier im Mittelpunkt. Sofern die Rede vom Guten Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung der Subalternen befördert, mobilisierend gedacht wird, ist sie selbst ein Kampfmittel. Ohne konkrete Subjekte der Veränderung zum Guten wird sie zur leeren Formel, die Widersprüche und Konflikte zudeckt, Politik zum Appell werden lässt, in der Hoffnung, die Herrschenden mögen ein Einsehen haben.