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»Nicht länger zwischen Aktivismus und Care Work entscheiden«


Wohin geht’s, Linkspartei? Um das herauszubekommen, haben wir mit Genoss*innen einen Ausflug ins Jahr 2025 gewagt und sie nach ihren strategischen Perspektiven für die LINKE gefragt. Hier der Beitrag von Bettina Gutperl und Kerstin Wolter.

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Das Szenario: Spätsommer 2025. Du bist auf einer Mitgliederversammlung der LINKEN und wirst um eine Bilanz der letzten fünf Jahre gebeten: Wie ging es weiter nach dem Parteitag 2020 – welche Weichen wurden dort gestellt? Und was kommt in der Zukunft auf die LINKE zu?

Wir können uns als Mitglieder auf die Schultern klopfen dafür, dass wir beim Parteitag 2020 entschieden haben, dass …

… wir mit einem klaren Kurs, mit Mut, Herz und Zuversicht in die kommende Zeit gegangen sind. Bereits vor fünf Jahren war klar, dass die Corona-Krise zwar nicht die Ursache, aber der Verstärker der Krisen sein wird. Wir haben entschieden, dass soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Feminismus, Antirassismus und Frieden nur in einer gemeinsamen Strategie und im gemeinsamen Kampf die Krise lösen werden. In diesem Sinne haben wir auch einen neuen Parteivorstand und neue Vorsitzende gewählt. Diese Entscheidung hat sich ausgezahlt…

Denn heute, fünf Jahre nach dem Parteitag und vier Jahre nach der Bundestagswahl, hat die Partei es geschafft, dass …

… wir nicht nur von uns selbst überzeugt sind, sondern auch viele Menschen da draußen für unseren Kurs gewinnen konnten. Wir haben es geschafft, dass Ideen, die vor fünf Jahren noch als radikal und unrealistisch galten, heute wieder en vogue sind. Ob Enteignen, Abrüsten oder Arbeitszeitverkürzung – wir haben einen neuen Trend gesetzt und der kommt von LINKS.

Mit Blick auf die vergangenen Jahre bist Du besonders stolz darauf, dass …

… sich die Mitmach-Kultur unserer Partei verändert hat. Wir sind nicht mehr „nur“ ein Ort der lebhaften Diskussion, sondern auch ein Ort des Zusammenkommens und Mitmachens. Unsere Aktivitäten erstrecken sich über Sportangebote, Hausaufgabenhilfe für Kinder, soziale, rechtliche und IT-Beratungen, Musikkurse uvm. Eine Partei, die einen unmittelbaren Nutzen für Menschen hat und trotzdem weiter für einen radikalen Wandel kämpft.

Die LINKE hatte in der Wirtschaftskrise und den Verteilungskämpfen nach Corona richtig reagiert, sie …

… hat deutlich gemacht, dass es einen Rettungsschirm für die Vielen braucht und nicht für Großkonzerne wie Tönnies oder Lufthansa, die Beschäftigte unter üblen Bedingungen arbeiten lassen. Wir trugen dazu bei, dass sich Menschen während der Krise nicht nur politisierten, sondern auch organisierten. Wir haben deutlich gemacht, dass während der Pandemie mitnichten alle in einem Boot saßen. Als die Nachricht die Runde machte, dass das Vermögen der Superreichen in 2020 trotz der Corona-Krise um 20 Prozent gestiegen ist, wurde das Wort Vermögenssteuer durch unsere Kampagne zum Wort des Jahres 2021.

Realpolitisch hat die LINKE in den Bereichen Arbeit und Arbeitszeitverkürzung wichtige Erfolge feiern können. Entscheidend war, dass sie …

… aufgehört hat, sich um sich selbst zu drehen und als gesamte Partei den Schritt nach draußen gewagt hat. Sie hat sich darauf konzentriert, sich in Nachbarschaften, in Betrieben, Vereinen und Gewerkschaften zu verankern. Dadurch ist es ihr gelungen, ein breites gesellschaftliches Bündnis für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich aufzubauen. Dieses Bündnis ging durch die Decke, weil es das erste Mal gelang, ein Thema zu setzen, das den Menschen als Ganzes mit seinen Bedürfnissen und Sehnsüchten in den Mittelpunkt stellt. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit ist laut aktuellen Umfragen bereits die Zufriedenheit gestiegen, die Zahl psychischer Krankheiten zurückgegangen und der CO2-Ausstoß gesunken.

Wenn man heute Linkspartei googelt, kommt als weiteres Schlagwort …

4-Tage-Woche.

Die größte gesellschaftspolitische Herausforderung ist nun …

… dass die freigewordene Zeit tatsächlich allen zugutekommt. Die riesigen feministischen Streiks der letzten drei Jahre haben zwar die Verteilung der Care Arbeit zu einer zentralen gesellschaftlichen Aufgabe erhoben, aber es bleibt noch viel zu tun. Außerdem konnten wir international beim Klimaschutz noch keinen Durchbruch erringen. Doch das Comeback sozialistischer Ideen als Folge der Weltwirtschaftskrise, hat auf dem ganzen Globus zu einem linken Wahlerfolg nach dem andern geführt. Wir leben in Zeiten der Hoffnung.

Deswegen schlagt ihr eurem Ortsverband für 2035 vor, sich für die kommende Zeit noch stärker darauf zu konzentrieren, das Leben in den Mittelpunkt zu stellen, denn dadurch…

… bekommen wir einen besseren Blick dafür, welche Tätigkeiten und Produkte wir eigentlich brauchen – und auf welche wir getrost verzichten können. Für ein gutes Leben brauchen wir keine Drohnen und Panzer, aber wir brauchen saubere Energie und KiTa-Plätze für alle. Zudem drängen die vielen neuen Mitglieder viel stärker als die frühere Generation, auf die Frage, wie wir eigentlich Politik machen wollen. Dabei spielt die Emanzipation einer jeden die zentrale Rolle – auch die Köchin muss den Staat regieren, ist das Gebot der Stunde! Dabei ist das role model nicht mehr der 24/7-Aktivist, der Privates aus der Politik raushält. Heute gehören das Kümmern umeinander und Selbstsorge selbstverständlich zur politischen Praxis. Die 4-Tage-Woche erleichtert es uns allen, uns nicht länger zwischen Aktivismus und Care Work entscheiden zu müssen.

Am Ende eures Beitrags wollt ihr nochmal Folgendes loswerden:

Seit Gründung der LINKEN haben sich immer wieder Frauen und Queers zusammengetan, um ihre Anliegen stark zu machen. Sie haben für einen linken (Queer-)Feminismus gekämpft, der die Inhalte, die Kampagnen, die Strukturen und die Kultur unserer Partei durchdringt und Strahlkraft in die Gesellschaft hat. Nach der Strategiedebatte 2020 ist es uns gelungen, die größte und schlagkräftigste Vernetzung von Frauen und Queers ins Leben zu rufen, die es je in einer linken Partei gegeben hat.*

Nach der Mitgliederversammlung trefft ihr euch im Biergarten. Ein paar Interessierte sind auch gekommen, um euch Genoss*innen kennenzulernen. Ihr unterhaltet euch mit einer Krankenpflegerin am Charité-Krankenhaus, die gerade Mutter geworden ist. Euer zentrales Argument, warum eure Gesprächspartner*in an diesem Abend in die LINKE eintreten soll, …

… ist, dass wir als LINKE über die bloße Forderung nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinausgehen, denn Care-Arbeit und Erwerbsarbeit müssen jeweils grundlegend verändert und auf alle Menschen verteilt werden. Unsere Forderungen zielen darauf, sorgende und kreative Tätigkeiten genauso in den Mittelpunkt zu stellen, wie die Herstellung von Produkten. Wir wollen eine Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen, Wünschen und Träumen der Menschen orientiert und nicht am Profit.

Wir sind erleichtert, dass wir unserer Gesprächspartnerin sagen können, dass wir auf allen unseren Partei-Veranstaltungen eine Kinderbetreuung haben. Denn es reicht nicht, wenn wir als LINKE „nur“ die besseren Forderungen und gesellschaftlichen Entwürfe haben. Wir müssen heute schon mit den Veränderungen beginnen, die den Weg für eine grundlegend andere Gesellschaft ebnen. Unsere Partei hat hier in den letzten fünf Jahren einen riesen Schritt nach vorn gemacht. Dass die Verteilung der Care-Arbeit nach der Corona-Krise und monatelang geschlossenen KiTas und Schulen in die Mitte der gesellschaftlichen Debatte gerückt ist, hat auch uns verändert.

Auf deinem Spazierweg nach Hause denkt ihr euch:

Es hat sich gelohnt, dass wir vor fünf Jahren mutig vorangegangen sind und den Rechten, Tyrannen, Nazis und Marktradikalen trotzig entgegenhielten: Jetzt erst recht! Leise stimmen wir die Internationale an.


* Damit das Wirklichkeit wird, meldet euch: linker.feminismus@die-linke.de [2].