| Wer hat Angst vor einem linken Einwanderungsgesetz?

Von Lena Kreck & Jörg Schindler

Vorschlag für sozialistische Migrationspolitik

Das deutsche Aufenthaltsrecht ist komplex und doch sehr einfach. Neben der befristeten Aufenthaltserlaubnis und der unbefristeten Niederlassungserlaubnis gibt es die Duldung für all jene Personen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben werden können, und die Aufenthaltsgestattung, die einen Aufenthalt bis zum Abschluss des Asylverfahrens legalisiert. Es gibt eine für juristische Laien unüberschaubare Vielzahl von Gründen, die einen legalen Aufenthalt rechtfertigen – deshalb ist das Aufenthaltsrecht komplex.
| mehr »

| ZUHAUSE IST ES DOCH AM SCHÖNSTEN. Zur Debatte um Klasse, Migration und Einwanderung in der LINKEN

Von Thies Gleiss

Die LINKE diskutiert wieder einmal über Migrant*innen, Geflüchtete und die Antworten, die eine linke Partei darauf geben sollte. Oftmals geht es jedoch eher um einen Schlagabtausch festgefügter Positionen, als um einen inhaltlichen Austausch in der Sache. Daher ein paar Überlegungen zum gesellschaftlichen Kontext gegenwärtiger Migrationsprozesse.

Der Kapitalismus erzeugt regelmäßig und schubweise soziale Erosionsprozesse. Volkswirtschaftlich gesehen handelt es sich um Schwankungen in der Zusammensetzung einer nationalen, aber mehr und mehr auch weltweiten industriellen Reservearmee. Aus der Sicht der Beschäftigten und der Arbeiterklasse sind diese Menschen einerseits Konkurrent*innen um Arbeitsplätze, Wohnungen und Transferleistungen.
| mehr »

| Linke Migrationspolitik in der Debatte

Wie sieht eine solidarische linke Migrationspolitik aus, in Zeiten wachsender globaler Flucht- und Migrationsbewegungen und angesichts der politischen Offensive von rechts? In der gesellschaftlichen Linken wie in der Partei DIE LINKE wird diese Frage kontrovers diskutiert. „Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen“ – so steht es im 2011 beschlossenen Parteiprogramm und auch in dem auf dem Parteitag in Leipzig verabschiedeten Beschluss. Was das bedeutet, darüber wird intensiv diskutiert. Wie sind soziale Rechte jenseits des nationalstaatlichen Rahmens denk- und durchsetzbar? Wie sieht eine Politik aus, die das Recht, zu kommen, zu gehen und zu bleiben zusammendenkt? Welche Folgen hat Migration für die Zusammensetzung der Arbeiter*innenklasse, für Politiken der Spaltung und Ausbeutung und wie lassen sich diese überwinden?
| mehr »

| »Einwanderungsschland« − LUXEMBURG 1/2017

Das Heft 1/2017 widmet sich den Herausforderungen linker Politik im EINWANDERUNGSSCHLAND.

Die Rechte stellt die soziale Frage rassistisch. Daran polarisiert sich auch die linke Debatte: Anti-Rassismus in den Vordergrund oder endlich wieder diejenigen ins Zentrum stellen, die linke Politik nicht mehr erreicht? Für globale Gerechtigkeit streiten oder erst mal hier soziale Schieflagen ins Lot bringen? Das Heft sucht nach Ansätzen einer antirassistischen Klassenpolitik jenseits sozialer und politischer Spaltung. Wie lassen sich die Kämpfe der Migration mit sozialen Garantien in einer solidarischen Einwanderungsgesellschaft verbinden? Und wen können wir für ein solches Projekt gewinnen?
| mehr »

| Ein Flirt mit Folgen. Eine kleine Geschichte der grün-schwarzen Annäherung

Von Elsa Koester

Eine grüne Kanzlerin regiert im Team mit Armin Laschet? Dieses
Szenario ist wahrscheinlich geworden, seit die einstigen Protagonisten
der schwarz-grünen Annäherung in der zweiten Reihe Platz
nehmen mussten. Die Romanze zwischen Markus Söder und Robert
Habeck hilft zu verstehen, wie es zu diesem Projekt kommen konnte.

Dieser Beitrag ist eine Vorveröffentlichung aus unserem kommenden Heft »Gewinnen lernen«, das im Mai erscheinen wird.

Hach, als der Robert da war! Der Robert! Als Franziska Schubert in Görlitz an den Besuch ihres Parteichefs dachte, verwandelten sich ihre Augen in zwei glänzende runde Tore in die grüne Zukunft, ja, durch die Kulleraugen der sächsischen Grünen-Politikerin kann jeder sie sehen: Da sind glückliche Kinder, die saubere Luft atmen. Da sind grüne Landschaften, die unter einem blauen Himmel voller (natürlich ganz leise surrender) Windräder lachen. Da ist grüner Strom, er fließt durch grüne Leitungen in ein grünes … nein, halt, in ein weißes Auto von … Ja, ich schwöre: Da ist ein Tesla. Und er ist sexy. Ein verdammt sexy Tesla, wie David Hasselhoffs K.I.T.T., wisst ihr noch, K.I.T.T., das sprechende Auto, das die Welt in Knightrider vor allem Bösen rettete? Genau der. Nur in weiß. In Zukunft. In Tesla. In Görlitz war Franziska Schubert Bürgermeisterkandidatin, im Mai 2019, es war Wahlkampf, Europawahl und Landtagswahl, und ihr Parteichef Robert Habeck war gerade dort gewesen. Smart, sympathisch, verwuschelt, grün.

Und sexy. Das finden alle. Sogar die Union.

Schon nach den Landtagswahlen 2012 in Schleswig-Holstein sagte es CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen: Er hätte sich für seine Partei eine Koalition mit den Grünen vorstellen können, »aber nur, weil es Robert gab«. 2017 dann gab es wegen Robert Jamaika in Schleswig-Holstein, die zweite schwarz-grün-gelbe Koalition auf Landesebene, die wenige Monate später beinahe auch auf Bundesebene zustande gekommen wäre, aber scheiterte – wegen Christian. Aber je näher die Bundestagswahlen 2021 rücken, desto lauter heult das Gespenst einer schwarz-grünen Bundesregierung durch die Talkshows, politischen Feuilletons und Debatten. Denn auch ein Markus Söder spürt die Attraktivität von Roberts Lenden: »Ich glaube, dass Schwarz-Grün einen großen Reiz hätte, weil beide politischen Kräfte die ganz großen Fragen unserer Zeit im Blick haben, wie die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Das wäre aktuell das interessanteste politische Angebot«, sagte der bayerische Ministerpräsident Ende 2020 im Spiegel-Doppelinterview mit dem Grünen-Chef.

Schwarz-Grüner Flirt

Es ist bizarr: Schwarz-Grün als kommende Koalition gilt seither fast schon als ausgemacht. Dabei könnte es ganz anders kommen. Nicht nur personell – dass Schwarz-Grün nicht an diesen beiden Männern hängt, die diese Möglichkeit eröffnet haben, zeigen die Debatten in Union und bei den Grünen um die Kanzlerinnenkandidaturen ja deutlich. Und auch die Wahlen könnten ganz anders ausgehen. Rötlicher etwa. Oder: gelber. Und trotzdem. Und trotzdem war da diese ›Öffentlichkeit‹, die sie wollte irgendwie, Markus Söder und Robert Habeck, sie saßen bei Anne Will, und die wollte nicht nachgeben: Na, gibt es schon eine Idee, na? Schwarz-Grün? Kanzlerschaft? Na? Und während sie Söder löcherte, flirtete Habeck schon so heftig mit dem Gelöcherten, dass die Luft brannte, trotz Tausender Kilometer zwischen Berlin und Bayern, trotz berührungsloser Videoschalte, trotz Social Distancing, allem zum Trotz gab es da dieses Knistern, Söder und Habeck, Habeck und Söder.

Habeck weiß, wie man flirtet. Immer schön auf Distanz halten. Bei der Frage, was er denn von Schwarz-Grün halte, antwortet er stets: »Ich wurde gefragt, welche Konstellation ich mir wünsche, und das wäre eine grüne geführte Regierung mit der SPD.« Nun fehlt in dieser Wunschkoalition eine Farbe, und da das nicht nur die Linke weiß, sondern auch Markus Söder, nimmt er dieses Habeck’sche Zwinkern mit dem überlegenden Lächeln der Angebeteten hin.

Abwendung und Zuwendung

Es ist keine drei Jahre her, da lag ein schwarz-grünes Bündnis auf Bundesebene in weiter Ferne. 2018 war der Höhepunkt der Polarisierung zwischen dem rechten und dem linken Lager in Deutschland erreicht. Die Rechte erstarkte seit der Gründung der AfD und den rechtsradikalen Pegida-Mobilisierungen 2014, der Einzug der AfD in die Parlamente mündete 2017 in einen Stimmenanteil von 12,6 Prozent bei den Wahlen zum Bundestag. Die CDU wurde wegen einer Angela Merkel, die für die als »Grenzöffnung« bezeichnete Entscheidung, an den Grenzen und auf der Balkanroute nicht mit Waffen auf Hunderttausende Geflüchtete loszugehen, von Rechten als »sozialdemokratisch« bezeichnet. Im bayerischen Wahlkampf hingegen entschied sich Markus Söder für die andere Richtung: Er trat in Horst Seehofers Fußstapfen und versuchte, der AfD in Sachen rechter Hetze hinterherzujagen. »Der Islam gehört nicht zu Deutschland«, hatte Horst Seehofer im März 2018 gesagt, Migration sei die »Mutter aller Probleme« im September, und als Krönung bezeichnete er die Abschiebung von 69 Migrant*innen nach Afghanistan quasi als Geschenk zu seinem 69. Geburtstag. Im Streit um die Zurückweisung von Geflüchteten direkt an der Grenze zerlegte Seehofer nicht nur beinahe die Union, sondern auch die Bundesregierung in Berlin. Im unionsinternen Kampf mit der CDU stärkte Söder Seehofer noch im Juni den Rücken und sagte jenen Satz, der inmitten der Skandale einen richtigen Skandal auslöste: »Wir müssen endlich den Asyltourismus beenden.«

Robert Habeck hingegen kämpfte 2018 gegen die Aussetzung des Familiennachzugs. Er postete Kinderfotos von sich; er schlug ein Einwanderungsgesetz vor und die Einrichtung von Kontingenten für Geflüchtete, damit sie die gefährliche Fluchtroute nicht auf sich nähmen. Abschiebeverfahren hingegen wollte Habeck durchaus beschleunigen. Dass die Grünen 2018 so selbstverständlich den anderen Pol zur AfD bildeten, hat vielleicht mehr mit ihrer Position in der Parteienlandschaft zu tun als mit realpolitischen Vorschlägen. Anders als es sich für die CDU, die LINKE und die SPD darstellte, waren die Grünen und ihre Unterstützer*innen in ihrer Haltung zur Asyl- und Migrationspolitik nicht gespalten. Mit anderen Worten: Bei der Bundestagswahl 2017 wanderten von den Unionswählenden 980 000 zur AfD ab, von der SPD 470 000, von der LINKEN 400 000 – und von den Grünen 40 000.

Diese Spaltung begann keineswegs erst 2018, doch fand sie in diesem Jahr ihren Höhe- und Wendepunkt. Nachdem die linke Zivilgesellschaft seit 2014 wie gelähmt auf die bis ins Bürgerliche hinein anschlussfähige Mobilisierung der extremen Rechten gestarrt hatte, begann sie 2018, aktiv zu werden. Die zivile Seenotrettung fand Verstärkung und machte das Sterben auf dem Mittelmeer sichtbar: durch Rettungsschiffe voller beinahe ertrunkener Menschen, die vor den Häfen Europas warteten. Die Zeit verdeutlichte, beabsichtigt oder nicht, mit einer Schlagzeile, was hier eigentlich verhandelt wird: Sollen wir sie sterben lassen? Im August dann Chemnitz: Nach der Messerstecherei auf einem Stadtfest, bei der ein Mann erstochen wurde, instrumentalisierte die AfD die Trauer für den Versuch einer rechten Diskursverschiebung. Seite an Seite demonstrierten AfD-Kader der ersten Reihe mit Neonazis.

Die gesellschaftliche Linke bewegte sich endlich. Die Seebrücke gründete sich, bundesweit entstanden Organisationen, die sich für sichere Fluchtwege und die Aufnahme von Geflüchteten aussprechen. Über 100 Städte erklärten sich zu »sicheren Häfen«. In München demonstrierten im Juli, inmitten des Söder’schen Wahlkampfs, Zehntausende gegen die Hetzrhetorik der CSU, und in Berlin versammelten sich im Oktober 240 000 Menschen unter dem Hashtag #unteilbar.

Und dann entschied sich Markus Söder eben um. Das Wort »Asyltourismus« will er plötzlich nicht mehr verwenden. Bei einer Rede im Festzelt von Anger bei Berchtesgaden dankte er den Bürgermeister*innen, Kirchen und Flüchtlingshelfer*innen für ihren Einsatz seit 2015: »Vergelt’s Gott. Wenn es um Humanität geht, dann steht Bayern, dann macht Bayern.« Kehrtwende. Noch im Juni hatte Söder verkündet, zu seiner Abschlusskundgebung im Landtagswahlkampf komme »keine Bundeskanzlerin, sondern ein Bundeskanzler«: der österreichische Regierungschef Sebastian Kurz. Im August kündigte er dann einen gemeinsamen Auftritt mit Angela Merkel an, auf dem Europa-Symposium in Ottobeuren. Und vier Tage vor der bayerischen Landtagswahl, einen Monat nach der Seehofer’schen Problemvermutterung der Migration, schaffte Söder es gar, den Satz »Die Migration is’ ja ned per se ein Problem« in das Mikro des Bayerischen Rundfunks zu schnoddern.

Solch eine Wende um 180 Grad ist nicht neu in der Söder’schen Politbiografie, sie gehört schon seit seinen Jugendjahren zu seinem taktischen Repertoire. Mit 27 Jahren, Söder ist Landtags-Direktkandidat für seinen Stimmkreis in Nürnberg-West, nutzt er eine geplante Geflüchtetenunterkunft in Nürnberg als Steilvorlage für seinen Wahlkampf: Er lädt zur Versammlung für 1994 bereits »besorgte Bürger« ins Wirtshaus »Brauner Hirsch«. 120 Menschen kommen, die Stimmung ist hitzig, am Ende wird eine Bürgerinitiative gegen das Wohnheim gegründet, »nicht zuletzt auf Betreiben des CSU-Orstverbandschefs Markus Söder«, schreiben die Nürnberger Nachrichten. Söder verspricht, seinen Einfluss zu nutzen, um das Wohnheim zu verhindern. Die CSU sieht sich damals der Konkurrenz durch die Republikaner ausgesetzt und will abspenstige Wähler*innen zurückgewinnen. Nach der Veranstaltung wird Söder jedoch Rassismus vorgeworfen, den er nicht nur weit von sich weist: Zudem lässt er die Junge Union eine Kampagne gegen Fremdenhass starten. Erst hetzen, dann in der Schlichtung den Helden spielen, das hat 2018 noch einmal funktioniert.

Diese Geschichte ist in der Söder-Biografie von Roman Deininger und Uwe Ritzer nachzulesen, die Söder als einen Politiker charakterisiert, dem es schlicht um Macht geht. Seine frühen Wegbegleiter bezeugen dies: Beziehungen und politische Situationen analysiere Söder klug – und nutze sie dann, um seine Position auszubauen. Markus Söder hatte 2018 keinen Anfall humanistischer Einsicht, vielmehr war die Einsicht eine andere: Die Jagd nach Stimmen im AfD-Lager ging arithmetisch nicht auf. Die Umfragen waren im Keller: 38 Prozent für die CSU. Söder musste handeln. Wenn die Union im rechten Lager unterginge – wo würde es dann im neu polarisierten Parteiensystem einen Platz für sie geben? Durch den im Sommer 2018 spürbaren Wandel der gesellschaftlichen Stimmung, machtvoll angeschoben durch die Mobilisierungen der aufschreienden linken Zivilgesellschaft, wurde Söder (der sich selbst gern als »Bauchdemoskop« bezeichnet) klar: Wenn ein blaues Schwarz nicht machbar ist, hilft nur die Flucht nach vorne. Ins Grüne. »Ich war ja auch mal Umweltminister«, sagt Söder, »die Bewahrung der Schöpfung« habe ihn schon immer bewegt.

So verliebte sich ein Markus Söder 2018 also in einen Robert Habeck.

Doch wie schon gesagt: Söder und Habeck sind nur das wuschelige Personal, die Handlung ist eine andere. Wenn 2018 der Wendepunkt der gesellschaftlichen Stimmung war, dann war 2019 der Wendepunkt vom fossilen Industriekapitalismus hin zum grünen Kapitalismus. Am 15. Februar fand in Deutschland der erste große Streik der Fridays for Future statt, 30 000 Schüler*innen gingen auf die Straße. Am 15. März waren es 300 000. Am 20. September waren es 1,4 Millionen.

Mit dem zweiten Hitzesommer in Folge kam eine leise Ahnung nach Nordeuropa, wie die Auswirkungen der Klimakrise auch den globalen Norden treffen könnten. Erstmals wurde in Deutschland die Temperatur von 42 Grad überschritten. Es regnete kaum. In 1523 Bränden wurden 2711 Hektar Wald zerstört, so viel wie zuletzt 1977.

Die Gesellschaft begann, breiter über individuelle und strukturelle Maßnahmen zu diskutieren, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Es wurde über Flugscham diskutiert, Greta Thunberg segelte über den Atlantik zum Treffen der Vereinten Nationen, die Debatte über Elektroautos nahm an Fahrt auf. Am 12. November 2019 kündigte Tesla-Chef Elon Musk schließlich den Bau einer Gigafactory in Brandenburg an: In Grünheide wolle er eine Produktionsstätte für E-Autos und Batterien errichten. 100 000 Autos jährlich wolle Tesla produzieren, im Dreischichtbetrieb, an 24 Stunden am Tag, pro Schicht 2100 Beschäftigte. Ostdeutschland soll also zum Autoland werden – was für eine Ankündigung ausgerechnet zum 30. Jubiläum des Mauerfalls.

Jahrelang war die politische Debatte von einer gesellschaftlichen Polarisierung geprägt, die keine Zukunft kannte: Auf den Tisch kamen Rassismus, Diskriminierung von Ostdeutschen, die Abwicklung der DDR. Die AfD rückte den Blick weit, weit zurück: Sie verteidigte nicht nur die deutsche White Supremacy, sondern auch das alte Familienmodell, patriarchale Geschlechterverhältnisse, die bürgerliche Lebensweise auf dem Land und in Kleinstädten, das Auto und das Einfamilienhaus. Wenn Grüne und Linke 2018 noch auf derselben Seite standen, wenn es um den gesellschaftlichen Entwurf von Vielfalt, Offenheit und Solidarität ging, konnten die Grünen 2019 etwas liefern, was niemand sonst vermochte: eine Zukunftsvision.

40 Jahre lang hatten die Grünen eine spezielle Expertise angesammelt, die 2019 endlich gebraucht wurde: Nachhaltigkeit. In einer gesellschaftlichen Situation, in der die Abgehängtheit der Peripherie durch die rechte Bedrohung von ebendort ins Zentrum rückte, in der Prekarität, Zukunftsangst und Kränkung der unteren Mittelschicht ins Licht rückten, musste einem Robert Habeck, stets darauf bedacht, durch pragmatische Politik die Mitte zu erreichen, klar werden: Wer als Volkspartei jetzt an die Regierung will, muss Perspektiven schaffen. Und zwar wirtschaftliche Perspektiven. Denn während die Grünen in den Jahren 2018/19 mit bis zu 24 Prozent auf Volkspartei-Größe anwuchsen, blieb das linke Lager insgesamt in der Minderheit. Rot-Rot-Grün schaffte es selbst im stärksten Grünen-Hoch auf nicht mehr als 45 Prozent. Die Union hingegen hatte verstanden, dass sie an der Ökologie nicht mehr vorbeikommt. Sie wandte sich den Grünen zu. Und: Sie bietet die Möglichkeit, an jene untere Mittelschicht heranzukommen, die den Grünen bislang wenig zugeneigt war.

Die Tesla-Gigafabrik in Grünheide, die ab 2021 produzieren soll, steht wie kaum etwas anderes für die Zukunft der deutschen Wirtschaft: grüner Kapitalismus. Gutes Gewissen, bislang nicht wirklich nachhaltig, aber mit dem Versprechen, wirklich nachhaltig zu werden; wie eh und je auf Leistung und Ausbeutung setzend; erstaunlich unsozial, was die Arbeitsbedingungen betrifft; und den Osten ins 21. Jahrhundert katapultierend. Tesla versöhnt das grüne und das konservative Milieu der Mittelschicht. Tesla ist in ein ostdeutsch-US-amerikanisches Auto gegossenes Schwarz-Grün.

Hach. So verliebte sich ein Robert Habeck also 2019 in einen Markus Söder.

Aber all das ist schon wieder so lange her: eine Pandemie, in der Annalena Baerbock sich profilierte und Habeck in sich versank; eine grüne Wildpferde-Fotoaffäre; eine CDU-Korruptionsaffäre; ein Hahnenkampf um die schwarze Kanzlerschaft. Verliebt ist nicht verlobt ist nicht verheiratet. Und nach der ersten wilden Liebe kommt bekanntlich die Zeit der Pickel-Entdeckungen. Unreine Haut gibt es genug zu finden: Der Habeck zum Beispiel spricht zwar viel davon, sich die Erziehungs- und Hausarbeit genau halbe-halbe mit seiner Frau geteilt zu haben – muss aber zugeben, dass dies seit seinem Leben als Spitzenpolitiker nicht mehr klappt. Naja, trotzdem ein Feminist. Ein Ex-Umweltminister Markus Söder etwa hat eigentlich keine so überzeugende Bilanz bei der Windkraft vorzulegen. Naja, trotzdem ein Bewahrer der Schöpfung. Tesla-Autos sind so groß und schwer, dass sie in ihrer Klimabilanz eigentlich nicht nachhaltig sind, naja. Trotzdem ein Zukunftstraum. Und Franziska Schubert von den Grünen in Görlitz? Kam in der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl auf beinahe 30 Prozent! Naja, dann musste sie in der Stichwahl ihre Kandatur zurückziehen – und die CDU unterstützen, um die AfD zu verhindern. Trotzdem, ein Hauch von Habecks Sexyness auf sächsischen Landschaften.

Es gibt da noch eine sehr interessante Geschichte in Claudia Reshöfts Habeck-Biografie. Die Windenergie soll ausgebaut werden, im Kreis Plön in Schleswig-Holstein. Die Gemeinde sorgt sich um die Seeadler, die sich dort angesiedelt haben. Der Umweltminister Habeck fährt hin. Er hört sich die Sorgen an, nimmt sie ernst und verspricht, sich dafür einzusetzen, dort doch keine Windräder aufzustellen. Ein paar Wochen später schreibt er der Gemeinde einen Brief: Sorry, die Pläne lassen sich leider doch nicht mehr ändern. Noch heute erzähle man sich in dem kleinen Dorf von dem Besuch des Ministers, schreibt Reshöft: Persönlich habe der sich entschuldigt! So ernst nahm er die Sorgen der Dorfbewohner*innen. Der Habeck. Naja, was kümmert’s die Seeadler.

Der grüne Weg durch schwarzes Land ist lang, sagt Franziska Schubert in Görlitz. Hach.

| Bevölkerung und Klassenpolitik. Gramscis hegemonietheoretische Annäherung an die Frage der Migration

Von Alex Demirovic

Die Migrationsfrage als Herausforderung für die Linke

Seit dem Sommer 2015 und der Nichtschließung der deutschen Grenzen für die zahlreichen Flüchtlinge vor allem aus dem Kriegsgebiet Syriens, die in Ungarn und Österreich sowie in den Balkanländern gestrandet waren, wird in der deutschen Öffentlichkeit wieder einmal erregt über die Fragen von Asyl und Einwanderung diskutiert und gestritten. Bereits Anfang der 1990er Jahre gab es einen Diskurs mit ähnlichen Frontstellungen. Nach der undemokratisch betriebenen Vereinigung der zwei deutschen Staaten wurde die große Zahl von Asylsuchenden vor allem aus Osteuropa von den konservativen Parteien und der Regierung offensichtlich genutzt, um eine nationalistische Stimmung zu erzeugen. Im Ergebnis wurde das Grundrecht auf Asyl 1993 faktisch abgeschafft; nach diesem Recht wurden 2017 weniger als ein Prozent der 600 000 gestellten Anträge bewilligt (vgl. taz, 9.8.2018).
| mehr »

| Für einen grenzenlosen Pragmatismus. Umrisse einer fortschrittlichen Migrationspolitik

Von Christoph Spehr

Die Auseinandersetzung um Horst Seehofers radikalen Abschottungskurs war ein Beispiel dafür, wie die Migrationsdebatte nicht geführt werden sollte. Für die meisten Außenstehenden waren verschiedene Punkte überdeutlich: nämlich, dass dieser Unions-interne Streit zur Lösung der realen Probleme nahezu nichts beiträgt; es in erster Linie um eine machtpolitische Auseinandersetzung geht, bei der die Migrationsfrage bestenfalls als Vehikel dient; die Debatte weitgehend taktisch motiviert ist, es also vor allem um Signale an unterschiedliche Zielgruppen geht, denen man gefallen will; dabei außerdem unverantwortlich mit der Frage umgegangen wird, was diese Signale insgesamt in der Gesellschaft bewirken; und man schließlich nicht weiß, für welche Perspektive die Union die Menschen eigentlich gewinnen möchte. Aus all den genannten Gründen hat diese Auseinandersetzung die CDU/CSU politisch geschwächt.

Unglücklicher Weise trifft ein Teil der genannten Beschreibungen auch auf die LINKE zu
| mehr »

| Eine Frage der Haltung

Von Mario Candeias

Über Streit in der Linkspartei, eine fortschrittliche Migrationspolitik und einen »lebendigen« Internationalismus

​Showdown in der LINKEN! Oder wie viele sagen: »endlich eine Klärung herbei führen« – und sei es zum Preis der Spaltung der Partei. Den Gegner niederringen, damit die Position ein für alle Mal klar ist. Manche nennen das Streitkultur, wenn mit Pappkameraden, Zuschreibungen und Polemiken gearbeitet wird. Rechthaberei und Distinktionsverhalten prägen das Bild.
| mehr »

| Eine Politik der Solidarität

Von Karina Moreno

Um Trump zu besiegen, müssen Latin@s und die muslimische Community gemeinsam handeln

Seit den Attentaten vom 11. September 2001 stellt die US-amerikanische Regierung Einwanderung zunehmend als Bedrohung dar. Zum ›Schutz‹ Amerikas etablierte George W. Busch 2008 unter anderem das Secure-Communities-Programm, das sowohl dem Ministerium für Innere Sicherheit (Department for Homeland Security, DHS) als auch der Einwanderungsbehörde (Immigration and Customs Enforcement, ICE) Zugang zu den biometrischen Daten lokaler Behörden erlaubt.
| mehr »

| Offene Grenzen sind machbar

Von Elke Breitenbach & Katina Schubert

Eine migrationspolitische Agenda für Die Linke

Die Partei DIE LINKE ist klar antirassistisch aufgestellt: »Deutschland ist ein Einwanderungsland. DIE LINKE lehnt eine Migrations- und Integrationspolitik ab, die soziale und politische Rechte danach vergibt, ob Menschen für das Kapital als ›nützlich‹ oder ›unnütz‹ gelten. Wir wollen die soziale und politische Teilhabe für alle in Deutschland lebenden Menschen erreichen. Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen«, heißt es im 2011 beschlossenen Grundsatzprogramm der Partei.
| mehr »